Noch gibt es im Europaparlament angeblich eine Mehrheit für die umstrittenen Urheberrechtsreform. Doch die Kritiker wollen ihre Aktionen vor der Abstimmung nächste Woche massiv ausweiten. Manche Abgeordnete stehen bereits unter großem Druck.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Das Europaparlament wird am Dienstag oder Mittwoch nächste Woche abschließend über die Reform des Urheberrechts (Copyright) abstimmen. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen Beobachter davon aus, dass eine Mehrheit für die Richtlinie stimmen wird, die die Rechte von Autoren, Künstlern, Musikern und Videofilmern gegenüber digitalen Plattformen stärken und dazu beitragen soll, dass die Kreativen an den Anzeigenerlösen von Google und Co beteiligt werden.

 

Doch schon länger kursieren im Netz zahlreiche Videos mit sachlich unzutreffenden Behauptungen zur Reform. Dort heißt es etwa, das Internet sei „in seinem Bestand“ gefährdet. Zudem laufe die EU-Gesetzgebung auf „Zensurmaschinen“ für das Internet hinaus. Tatsächlich sieht aber die Richtlinie vor, dass künftig die digitalen Plattformen dafür verantwortlich sind, wenn sie über ihre Seiten Nutzern Zugang zu Musik, Videos oder anderen urheberrechtlich geschützten Inhalten gewähren.

Anrufe rund um die Uhr

In diesen letzten Tagen vor der Abstimmung versuchen die Gegner der Reform mit immer drastischeren Mitteln Druck auf die Europaabgeordneten auszuüben. Internetseiten fordern dazu auf, direkt in den Büros derjenigen anzurufen, die noch nicht ihr „Nein“ angekündigt haben. Seiten vermitteln Gratis-Anrufe und zeigen Fotos von den Abgeordneten, die kontaktiert werden sollen. Die Gegner haben es vor allem auf den Bonner CDU-Europaabgeordnete Axel Voss abgesehen, der als Verhandlungsführer des Europaparlaments seit Jahren für die Reform streitet. Mitarbeiter in Voss Wahlkreis-Büro kämpfen mit Dauer-Anrufen. Rund um die Uhr, auch nachts steht das Telefon nicht still, der Anrufbeantworter quillt über. Voss selbst wird im Netz übel beleidigt. In sozialen Medien ist letzte Woche eine Bombendrohung gegen sein Wahlkreis-Büro aufgetaucht. Die Spuren führen nach Finnland.

Die Europaabgeordnete Julia Reda (Piraten), die im Parlament die profilierteste Gegnerin der Reform ist, hat sich beim Kurznachrichtendienst Twitter so eingelassen: „Die Auseinandersetzung über Artikel 13 wird sachlich hart geführt. Wo viel auf dem Spiel steht, kann es auch einmal emotional werden.“ Persönliche Beleidigungen seien allerdings unangebracht, Drohungen verurteile sie aufs Schärfste.

Wikipedia schaltet ab

Die FAZ hat Hinweise darauf gefunden, dass mehreren deutschen Youtubern, die über hohe Abonnentenzahlen verfügen, Geld angeboten wurde, wenn diese sich in eigenen Videos kritisch mit der Urheberrechtsreform auseinandersetzen. Zudem sollen mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Reise- und Hotelkosten übernehmen, wenn sich Bürger nach Brüssel und Straßburg aufmachen und ihren Protest bei den Abgeordneten abladen.

In den nächsten Tagen wird der Protest an Schärfe zunehmen. So hat Wikipedia angekündigt, seinen Dienst am Donnerstag, 21. März, für 24 Stunden abzuschalten. Offensichtlich will das Internet-Lexikon damit seinen Nutzern die Folgen der Reform deutlich machen. Die Maßnahme von Wikipedia überrascht, da von Anfang an klar war, dass die EU-Gesetzgebung auf nicht kommerziell arbeitende Plattformen nicht angewendet wird. Um dies noch einmal zu unterstreichen, steht nun ausdrücklich im Gesetzentwurf, dass Wikipedia nicht betroffen ist. Vom Protest hält das die Plattform nicht ab.

Innerhalb der EU ist der Protest in Deutschland am größten. Am 23. März sind in 25 deutschen und 14 europäischen Städten Demonstrationen gegen die Reform geplant. Auch innerhalb der Koalition ist der Druck groß. So hat die CDU nun den Vorschlag gemacht, bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht dafür zu sorgen, dass es „keine Upload-Filter“ geben wird. Die Richtlinie selbst sieht zwar keine Upload-Filter vor. Doch Gegner befürchten, dass Plattformen wie Youtube technische Einrichtungen dazwischenschalten müssen, die auch Upload-Filter genannt werden. Diese Technologie soll erkennen, ob hochgeladene Inhalte womöglich urheberrechtlich geschützt sind und diese dann blockieren. Statt zu filtern solle Youtube Lizenzen mit Urhebern und Verwertungsgesellschaften abschließen, so der Vorschlag. Die deutsche CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament signalisiert Sympathie für diese Lösung. Und der vehementeste Kritiker unter den deutschen Sozialdemokraten in Brüssel, Tiemo Wölken, reklamiert die Idee für sich: Er freue sich, wenn die Unionsabgeordneten ihn diesmal bei der Abstimmung unterstützen würde.

Worum geht es eigentlich – die zwei Artikel, über die gestritten wird:

Artikel 13 sieht vor, dass künftig nicht mehr Nutzer verantwortlich sind, wenn sie urheberrechtlich geschützte Werke im Internet herunterladen, sondern die digitalen Plattformen wie Google, Facebook und Youtube selbst. Die Plattformen sollen Lizenzen mit den Urhebern über die Nutzung der Werke abschließen. Kritiker glauben, dass Plattformen technische Einrichtungen („Uploadfilter“) nutzen werden, um urheberrechtlich geschützte Werke zu identifizieren und zu blockieren. Sie bezeichnen dies als Möglichkeit zur Zensur. Tatsache ist, dass Filtertechnologien bereits heute im Einsatz sind, etwa um verbotene Pornografie, Aufrufe von Impfgegnern und Terroraufrufe zu identifizieren.

Die zweite umstrittene Regelung findet sich in Artikel 11: Dieser sieht vor, dass Plattformen Verlage und Journalisten beteiligen müssen, wenn sie Nutzern Zugang zu urheberrechtlich geschützten Presseerzeugnissen gewähren. Kritiker sagen, dass dieses so genannte Leistungsschutzrecht nicht dazu führen werde, dass die Verlage neue Erlöse generieren. Dies habe das Beispiel Deutschland gezeigt, wo es das Urheberrecht bereits seit einigen Jahren gibt.