Trotz des verheerenden Erdbebens melden die Tourismus-Veranstalter in Antalya und an der Ägäis kaum Stornierungen deutscher Feriengäste. Woran das liegt.

Für Deniz Ugur ist die Entscheidung klar: „Wer jetzt seine Ferien in der Türkei storniert, schadet dem Land.“ Und nicht nur wirtschaftlich, meint der Chef des türkischen Reiseveranstalters Bentour – weil Hinreisen auch eine Form von Solidarität sei, so der 44-Jährige. Katrin Rüter, die Pressesprecherin der Anex Tourism Group, zu der die Marken Bucher, Öger oder Neckermann gehören, pflichtet ihm bei. Viele Beschäftigte in den Urlaubsgebieten um Antalya kämen aus den 600 Kilometer entfernten Erdbebengebieten, und die seien auf Touristen, auf Unterstützung angewiesen.

 

Erdbebenopfer wohnen vorläufig in Hotels

Die allermeisten Urlauber sehen das offenbar ähnlich. Nach dem schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion mit fast 50 000 Todesopfern verzeichnet der türkische Tourismus kaum nennenswerte Stornierungen. „In Antalya hat es ja keine Schäden gegeben. Auch deshalb bringen Angehörige viele Erdbebenopfer in den zurzeit 160 geöffneten, zumeist großen Hotels unter“, sagt Deniz Ugur. Die seien in der Nebensaison ohnehin nur bis zu 30 Prozent belegt und hätten genug Kapazitäten.

Auch beim Schweizer Charterflieger Edelweiß rechnet man nicht mit Stornierungen für die Hauptsaison, sagt Pressesprecher Andreas Meier. Kurzfristige Buchungen liefen zwar im Moment verhaltener, ergänzt Katrin Rüter, aber alle Experten sind sich mit Ugur einig: „Ende Februar wird es wieder anziehen.“

Bei Tui reagiert man ebenfalls gelassen. Nach der Hauptbuchungsphase sei im Januar ein leichter Rückgang durchaus normal, sagt Pressesprecherin Anja Braun. Auch die Coral Traqvel Group teilt mit, Storno- und Umbuchungsanfragen seien „verschwindend gering“. Bei Neubuchungen allerdings gebe es schon einen Dämpfer, und das in der gesamten Branche, sagt ihr Sprecher Koral Cavdir.

Jetzt erst recht in die Türkei

Murat Babatas vom Reisebüro Babtours sagt: „Aktuell haben wir aufgrund des Erdbebens keine Stornierungen für Reisen etwa nach Antalya oder die Ägäis. Ganz im Gegenteil: Wir hatten diese Woche wieder neue Buchungen in die Türkei. Den Buchenden sei klar, dass es eine große Entfernung zum Geschehen gibt. Im Austausch mit anderen Kollegen habe ich eine ähnliche Situation beschrieben bekommen.“

So hält man auch auf türkischer Seite an den anspruchsvollen Zielen für dieses Jahr fest. Bereits seit dem vergangenen Jahr waren nach der Coronakrise wieder rund 15,5 Millionen Urlauber in die Türkei gereist, die für einen Umsatz von 52 Milliarden Euro sorgten. In zwei bis drei Jahren sollen es wie geplant allein an der 600 Kilometer langen Riviera zwischen Kas und Alanya 20 Millionen Gäste werden.

Sorge um Istanbul

Doch gibt es auch Sorgenfalten, wenn das Wort Erdbeben fällt. Stichwort Istanbul mit seinen mehr als 16 Millionen Einwohnern. Die Megacity wächst jedes Jahr trotz eines sehr hohen Erdbebenrisikos um fast vier Prozent. Über Jahrzehnte wurden hier viele Wohngebäude wie überall in der Türkei aufgrund des Bevölkerungszuwachses schnell, nicht selten ohne Sorgfalt und teilweise illegal errichtet.

Seismologen weisen seit Jahrzehnten immer wieder auf die Gefahren für die türkische Metropole hin. Nur 15 Kilometer von der Stadt entfernt verläuft am Grund des Marmarameeres mit der sogenannten „Nordanatolischen Seitenverschiebung“ eine geologische Störungszone. Hier schiebt sich südlich der Prinzeninseln die anatolische Kontinentalplatte seitwärts entlang der eurasischen Kontinentalplatte – jedes Jahr um 25 Millimeter. Deshalb wurde die Metropole in ihrer langen Geschichte immer wieder von schweren Erdbeben heimgesucht.

Die Spannungen durch das nur 100 Kilometer entfernte Izmit-Beben von 1999, bei dem offiziellen Angaben zufolge 18 000 Tote zu beklagen waren, haben sich verlagert. Messungen des Geoforschungszentrums in Potsdam haben nachgewiesen, dass sich die seismische Lücke südlich von Istanbul bis heute nicht durch ein Erdbeben geschlossen hat und durch das Izmit-Beben noch einmal belastet wurde. Die Erkenntnis ist nicht neu. Die Wahrscheinlichkeit, dass das „große Beben“ vor Istanbul innerhalb der nächsten 30 Jahre kommt, lag schon vor 15 Jahren bei 60 Prozent.

Naturkatastrophen sind unvorhersehbar

Für die Tourismussaison 2023 spielt das keine Rolle. Deniz Ugur gibt sich da sehr pragmatisch: „Die Ferienentscheide orientieren sich in der Regel nicht an der Möglichkeit von Naturkatastrophen, die niemand vorhersagen kann.“ Ahmet Sahin, Vorstandsmitglied der Agentur Bluemice in Antalya, ist zuversichtlich: „Bei uns gibt es keine Stornierungen. Die Reservierungen aus Europa laufen weiter gut. Es sieht so aus, als ob wir in dieser Saison richtig gut ausgelastet sein werden.“ Murat Babatas sieht das genauso: „Mein Gefühl sagt mir, dass die Solidarität in Deutschland die Buchungen für die Türkei dieses Jahr nicht einbrechen lassen wird.“