Ende vergangener Woche wurde in Südafrika ein Vorfahr von Homo sapiens vorgestellt, der Homo naledi. In Südafrika laufen seitdem die sozialen Netzwerke heiß. Man sieht sich als primitiv beleidigt und wittert ein rassistisches Komplott.

Südafrika - Das Echo auf die mit lauten Fanfaren angekündigte Entdeckung einer neuen Art des Frühmenschen in Südafrika droht den ursprünglich entfachten Medienwirbel noch in den Schatten zu stellen. Die seit Tagen sowohl in Südafrika wie in anderen Teilen der Welt geführten Debatten über Homo naledi, einen möglichen Vorfahren des heutigen Menschen, reichen von absurden Verschwörungstheorien bis zu ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Einwänden.

 

Noch lange nach der Ende vergangener Woche bekannt gegebenen Entdeckung der Knochenreste von 15 frühmenschlichen Individuen in einer Höhle außerhalb Johannesburgs laufen vor allem in Südafrika die sozialen Netzwerke heiß. Über Twitter meldete sich zum Beispiel ein gewisser Alex Matimu Nkuna: „Weiße haben Schimpansenknochen in einer Höhle vergraben und behaupten nun, unsere Vorfahren gefunden zu haben. Das ist eine Beleidigung, purer Rassismus.“ Auch Mathole Motshekga, der frühere Ministerpräsident der fortschrittlichsten südafrikanischen Provinz Gauteng, bezeichnete die Funde als die Arbeit von „Pseudowissenschaftlern, die vom Nachweis besessen sind, dass Afrikaner von Pavianen abstammen“.

Südafrikaner sehen sich beleidigt

Selbst Zwelenzima Vavi, der Ex-Chef des Gewerkschaftsverbandes Cosatu, beschied über Twitter: „Niemand wird alte Affenknochen ausbuddeln und behaupten können, dass ich vom Pavian abstamme.“ Der Präsident des Südafrikanischen Kirchenrates, Ziphozihle Siwa, warnte die Wissenschaftler vor „schnellen, dummen Schlüssen“. Gottes Schöpfung sei „vom menschlichen Verständnis nicht zu erfassen“, deklarierte der Bischof.

Seit Tagen ist Lee Berger, der Chef des die Funde auswertenden Wissenschaftlerteams, fast ununterbrochen damit beschäftigt, die falschen Vorstellungen in Interviews aus dem Weg zu schaffen. Erstens habe sein Team noch nicht endgültig festlegen können, dass es sich bei Homo naledi tatsächlich um einen Vorfahren des Homo sapiens handele und nicht um eine Art des Frühmenschen, die später ausgestorben sei, wiederholt der Paläoanthropologe ein ums andere Mal. Zweitens seien Paviane ihrer Entwicklung nach noch wesentlich weiter von Homo naledi entfernt als der heutige Mensch. Schließlich habe die Paläoanthropologie gar nichts mit Rassismus zu tun. Sie belege vielmehr, dass Afrikaner, Europäer und Asiaten nur minimal verschiedene Nachfahren gemeinsamer Ahnen seien.

Manche Forscher hegen Zweifel

Schon sehr viel seriöser kommen die wissenschaftlichen Einwände daher, die vor allem gegen die Postulierung einer neuen Art, des Homo naledi, vorgebracht werden. Koryphäen wie der kalifornische Paläoanthropologe Tim White halten die 1550 gefundenen Knochenteile für Varianten des Homo erectus. „Die Behauptung, dass es sich um eine neue Art handelt, ist nur der Sucht nach Schlagzeilen zu verdanken“, meint auch der Zürcher Anthropologe Christoph Zollikofer: „Für mich ist das eine Medien-Art, die höchstens für kurze Zeit überleben wird.“

Peter Schmidt, der früher ebenfalls am Anthropologischen Institut der Zürcher Uni beschäftigt war und seit Jahren zu Bergers Team gehört, sieht das allerdings anders. Die in der Rising-Star-Höhle gefundenen Knochenteile wiesen beträchtliche Unterschiede zum Homo erectus auf, sagte Schmidt im Gespräch mit dieser Zeitung. Vor allem Bewegungsapparate wie das Becken und die Schultern seien „vollkommen verschieden“. Naledis Schultergelenk sei im Gegensatz zu dem des heutigen Menschen und des homo erectus nach oben gerichtet, während sein Beckenknochen nicht wie das des Homo sapiens und erectus nach vorne gebogen sei. Das mache Naledi zu einem besseren Kletterer, aber zu einem instabileren Läufer: zwei Eigenschaften, die gemeinsam mit dem abweichenden Brustkasten und dem kleineren Kopf auf eine andere Art bedeuteten. Darin seien sich auch sämtliche Wissenschaftler einig, die die Knochen bereits eingehender untersucht haben – einschließlich des kenianischen Experten Richard Leakey.

Fund aus der Rising-Star-Höhle erregt Neid

Für die wissenschaftlichen Differenzen macht Schmidt einen eher emotionalen Beweggrund verantwortlich: den Neid. Funde wie in der Rising-Star-Höhle kommen höchstens einmal in hundert Jahren vor. Nicht allen Paläoanthropologen ist es vergönnt, auch nur einmal im Leben auf einen derartigen Schatz zu stoßen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als das Glück ihrer Kollegen klein zu reden – und wenn es sich dabei auch noch um ein rede- und mediengewandtes Exemplar wie Lee Berger handelt, dann bietet sich eben der Vorwurf des Populismus an.