In einer Postfiliale in Ludwigsburg finden Polizisten mehr als 700 aufgerissene, unverschickte Briefe. Nun hat das Amtsgericht den verantwortlichen Mitarbeiter verurteilt. Der Mann hat die Tat gestanden – doch der Fall bleibt rätselhaft.

Ludwigsburg - Kurios, erstaunlich, rätselhaft: nur eine Stunde dauerte am Mittwoch ein Prozess am Ludwigsburger Amtsgericht, an dessen Ende die Beteiligten sich so verwundert äußerten wie zu Beginn. Das größte Mysterium blieb der Angeklagte selbst, den das Gericht zu neun Monaten auf Bewährung verurteilte.

 

Die Staatsanwaltschaft hatte dem 44-Jährigen aus Ludwigsburg vorgeworfen, mehr als ein Dutzend Briefe und Postsendungen geöffnet und nach Bargeld durchsucht zu haben. Zudem soll er Hunderte weiterer Briefe, die nicht mehr konkret zugeordnet werden konnten, aufgerissen und unterschlagen haben – und das als Angestellter der Deutschen Post. Das Geld, das er in den Sendungen fand, habe er für sich behalten, lautete der Vorwurf der Ermittler. Damit habe er sich der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses und des Diebstahls schuldig gemacht. Beides räumte der Angeklagte über seinen Verteidiger komplett ein.

Der Angeklagte gesteht die Vorwürfe

Ja, er habe die Briefe entwendet, geöffnet, und, falls Geld im Umschlag war, dieses auch gestohlen. Doch nein, er habe keine echte Erklärung für sein Verhalten. Zwar nannte der Mann finanzielle Schwierigkeiten als Motiv, von großen Schulden wussten aber weder er noch sein Verteidiger etwas. Auch von einer etwaigen Spielsucht war in einem Verhör bei der Polizei die Rede gewesen, doch kurz nachdem die Vorfälle bekannt geworden waren und die Post dem Angeklagten gekündigt hatte, hörte er mit dem Spielen wieder auf. „Es geht wohl um ein ganzes Bündel an Gründen“, sagte die Richterin.

Selbst für den Strafverteidiger Marko Becker blieb bis zum Schluss ungeklärt, warum sein Mandant seinen Job, bei dem er rund 1900 Euro monatlich netto verdiente, mit den Diebeszügen aufs Spiel setzte. Denn: die Beute aus den geöffneten Briefen blieb gering. Auf rund 1000 Euro schätzt sie der Angeklagte selbst, die Polizei konnte keinen anderen Wert feststellen. „Es bleiben einfach viele Fragezeichen“, sagte der Verteidiger Becker.

Immerhin konnte innerhalb des Verfahrens aufgeklärt werden, wie es dem Mann gelang, die Briefe zunächst unbemerkt verschwinden zu lassen. Er habe in den vergangenen Jahren öfter in der Filiale in der Schwieberdinger Straße übernachtet, sagte der 44-Jährige. Seine Eltern, bei denen er nach wie vor wohne, hätten ihn spätabends nicht mehr ins Haus gelassen. Da sei er durch ein Fenster, das er tagsüber offenstehen ließ, in das Firmengebäude eingestiegen. Nachts öffnete er dann offenbar die Kuverts, die er während seines Dienstes in dem Zustellstützpunkt eingesteckt hatte, laut der Post wohl seit Mai 2015.

Kein Ersatz für die Betroffenen

Bei einem Diebstahl im vergangenen Jahr wurde der Mann, der schon seine Ausbildung bei der Post absolviert hat, dann beobachtet. Als die Polizei seinen Spind in der Umkleidekabine der Filiale aufbrechen ließ, bot sich den Beamten ein chaotisches Bild: Wäsche, Kleidung und Zeitschriften hätten in dem Schrank durcheinander gelegen, sagte ein Polizistin am Mittwoch. Doch die Beamten fanden auch Kisten mit 770 aufgerissenen Umschlägen. Sie alle hat der Mann unterschlagen, geöffnet und nach Geld durchsucht. Angeklagt war gleichwohl nur ein Bruchteil, die „winzige Spitze des Eisbergs“, meinte der Staatsanwalt.

Im Oktober 2016 begann die Post damit, die Sendungen an ihre rechtmäßigen Empfänger zu schicken, mit einer schriftlichen Erklärung der Vorfälle. Die Post „hat mich aber mehr oder weniger im Unklaren gelassen“, sagt ein Betroffener aus Ludwigsburg. Erst auf Nachfrage seien ihm die Hintergründe am Telefon geschildert worden. Das Geld in dem Umschlag, das mit einer Glückwunschkarte zum Geburtstag seines Sohnes verschickt worden sei, habe er nie mehr gesehen.

Dass die Betroffenen keinen Ersatz für das gestohlene Geld bekommen, liegt an den Regeln der Post. Sie verbieten es, in einem normalen Umschlag Bargeld zu verschicken. Dafür ist laut dem Unternehmen ein Wertbrief notwendig. Bei ihm habe sich bis heute niemand wegen eines Schadenersatzes gemeldet, sagt der Angeklagte.