Verbot für heimliche Deals: Die Karlsruher Verfassungsrichter haben entschieden: Absprachen in einem Strafverfahren darf es weiterhin geben – aber nur wenn die in aller Öffentlichkeit stattfinden.

Stuttgart - Stuttgart - Eine heute in Strafprozessen weit verbreitete Praxis der „Verständigung“ zwischen Richtern, Verteidigern und Staatsanwälten, insbesondere aber die „informellen“ Absprachen, verstoßen gegen das Gesetz und sind deshalb verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in einem Urteil festgeschrieben, mit dem zugleich das Gesetz selbst als „noch“ verfassungskonform eingestuft wird. Die Verfassungsrichter kritisieren ihre im Strafrecht tätigen Kollegen scharf. Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle sprach von einer „sehr ernst gemeinten Mahnung an alle Akteure in einem Strafverfahren“.

 

Die Auswirkungen der Karlsruher Entscheidung sind weitreichend; insbesondere viele komplizierte Strafprozesse werden nicht mehr in der bis jetzt üblichen Form geführt werden können.

Die Auflagen, die die Verfassungsrichter mit ihrer „verfassungskonformen Auslegung“ des Gesetzes ihren Kollegen erteilen, sind streng: Künftig muss in der öffentlichen Hauptverhandlung nicht nur die Tatsache einer Prozessabsprache, landläufig als „Deal“ bezeichnet, bekannt gegeben werden. Das Gericht hat auch alle „wesentlichen Inhalte“ der Vorgespräche, die zu einer Verständigung geführt haben, öffentlich zu machen. Dazu gehören ausdrücklich Angaben darüber, wer den „Deal“ vorgeschlagen hat, wer welche „Diskussionsbeiträge“ für die auszuhandelnde Vereinbarung geliefert hat, wie die anderen Beteiligten darauf reagiert haben, welcher „Sachverhalt“ bei dem angeklagten Delikt unterstellt worden ist und welche „Ergebnisvorstellungen“ die einzelnen Beteiligten geäußert haben. Die Veröffentlichungspflicht dürfte künftig derartige Gespräche massiv erschweren.

Die Richter untersagen auch sogenannte „Paketlösungen“

Für die Praxis ebenso bedeutend ist, dass die Verfassungsrichter festschreiben, Verständigungen seien ausnahmslos nach den Regeln des Gesetzes erlaubt. Alle anderen „informellen Absprachen“ verstoßen gegen das Grundgesetz. Die Verfassungsrichter legten dabei eine wissenschaftliche Untersuchung zu Grunde, bei der die Hälfte der befragten Richter angegeben hatte, dass sie sich in der Mehrzahl der „ausgedealten“ Fälle solcher „informellen Absprachen“ bedient hätten.

Verboten sind künftig Absprachen, bei denen die Staatsanwaltschaft zusagt, andere Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen einzustellen. Die Verfassungsrichter kritisieren in diesem Zusammenhang vor allem auch „Paketlösungen“. Dazu führen sie als Beispiel einen Fall an, bei dem im Rahmen einer Absprache gleich auch noch die Strafen für Familienangehörige des Angeklagten ausgehandelt worden waren.

Schließlich betonen die Verfassungsrichter die Bedeutung einer korrekten Protokollierung der Prozessabsprachen, die eine Kontrolle der Urteile in einer höheren Instanz erst ermöglichen. Die Verfassungsrichter weisen sogar darauf hin, dass eine unzutreffende Protokollierung eine strafbare Falschbeurkundung sein könnte. Unzulängliche Protokollierungen werden künftig als Hinweis auf unzulässige Absprachen gewertet. Unruhe unter Strafrichtern dürfte die Formulierung in der Karlsruher Entscheidung auslösen, dass Strafurteile mit einer unzulänglichen Protokollierung „grundsätzlich“ auf diesem Fehler „beruhen“. Dies bedeutet, dass solche Urteile von einer höheren Instanz im Zweifelsfall aufgehoben und dann neu verhandelt werden müssen.

Drei Verfassungsbeschwerden wird stattgegeben

Auslöser für das Urteil des Verfassungsgerichts waren drei Verfassungsbeschwerden, denen jeweils stattgegeben wurde. Die drei Männer waren in verschiedenen Strafprozessen verurteilt worden. Sie hatten sich jeweils auf einen „Deal“ eingelassen und formale Geständnisse abgelegt. Der Bundesgerichtshof hatte alle drei Urteile bestätigt und behauptet, die nicht korrekte Belehrung der Angeklagten habe sich nicht zu deren Nachteil ausgewirkt.

Im dritten Fall kam hinzu, dass ein angeklagter Polizist massiv unter Druck gesetzt worden war, weil das Gericht ihm die Alternative einer Bewährungsstrafe bei einem Geständnis und mehr als drei Jahren Haft im anderen Fall in Aussicht stellte. Der Bundesgerichtshof hatte auch diese „Sanktionsschere“ gebilligt“. Das Verfassungsgericht erklärt sie mit seinem Urteil nun allerdings für verfassungswidrig. (Aktenzeichen: 2 BvR 2628/10)