Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Nun dürfen viel mehr Bürger gegen Fluglärm klagen

Das Bundesverwaltungsgericht hat faktisch den Kreis der zu einer Klage befugten Anwohner eines Flughafens deutlich erweitert. Die Planung des neuen Berliner Flughafens muss dennoch nicht neu aufgerollt werden.
Leipzig/Berlin - Das Bundesverwaltungsgericht hat faktisch den Kreis der zu einer Klage befugten Anwohner eines Flughafens deutlich erweitert. Gegen einen Planfeststellungsbeschluss für einen neuen Flughafen können nun alle Bürger klagen, sobald „nicht auszuschließen ist“ , dass sie von Fluglärm betroffen sein könnten. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn sie abseits der im Planfeststellungsbeschluss angeführten Flugrouten wohnen.
Bisher war die Rechtsprechung meist davon ausgegangen, dass nur die Anwohner klagen können, die im Lärmbereich der in der Planfeststellung genannten Routen leben. Das oberste deutsche Verwaltungsgericht begründet seine am Beispiel des Flughafens Berlin Brandenburg gefällte Rechtsprechung mit dem Argument, bei der Planfeststellung handele es sich lediglich um eine Grobplanung, die im weiteren Verfahren noch geändert werden könne. Tatsächlich war im Fall des neuen Berliner Flughafens der Plan von geraden An- und Abflugrouten ausgegangen, während intern bereits sehr früh fest stand, dass diese Routen technisch zwingend um mindestens 15 Grad abgewinkelt werden mussten. Die Folge davon war, dass andere Gemeinden als im Plan angegeben vom Fluglärm betroffen waren.
Kläger fühlen sich arglistig getäuscht
Unter anderem die Gemeinde Klein-Machnow, eine Wohnungsbaugesellschaft und 21 Anwohner hatten deshalb nachträglich gegen den aus dem Jahr 2004 stammenden Planfeststellungsbeschluss geklagt. Sie seien seinerzeit vom Flughafenbetreiber und den Land Brandenburg arglistig getäuscht worden, lautete ihr Argument. Dem widerspricht jetzt das Bundesverwaltungsgericht. Anwohner hätten klagen können und auch rechtzeitig klagen müssen, obwohl sie nach dem alten Plan nicht vom Lärm betroffen gewesen waren.
Die Richter betonen zwar ausdrücklich, dass es nach den Maßstäben ihrer jetzigen Rechtsprechung massive Fehler im Verfahren gegeben hat. So waren weder in Kleinmachnow noch in Teltow Planunterlagen ausgelegt worden. Dies wäre aber in diesen und womöglich auch in anderen Gemeinden notwendig gewesen, die nun unter den abknickenden Flugrouten liegen und deshalb bereits damals „abwägungserheblich“ hätten betroffen gewesen sein können. Die Auslegung der Unterlagen ist ein wichtiger Hinweis für Anwohner, dass sie klagebefugt sein können.
Dauerschallpegel von 62 Dezibel wird nicht erreicht
Auch sei die Umweltverträglichkeitsprüfung unzureichend gewesen. Sie hätte sich, soweit sie die Auswirkungen auf die Menschen untersucht hat, nicht auf die prognostizierten Flurouten beschränken dürfen, sondern „den gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens“ berücksichtigen müssen. Dies wären faktisch zwei breite Kegel an beiden Enden der Start- und Landbahnen gewesen. Die Betreiber hatten auf der Grundlage des ihrer Ansicht nach damals geltenden Rechts die Untersuchung eingeschränkt.
Dennoch, so das Gericht, seien die Anwohner nicht arglistig getäuscht worden. Daran änderten auch die von den Klägern spät aufgefundenen internen Dokumente der Betreiber und der Flugsicherung nichts. Diese legen nahe, dass die abknickenden Routen öffentlich nicht kommuniziert wurden, um keinen zusätzliche Widerstand zu erzeugen. Der Senat habe diesen Erwägungen nicht nachgehen müssen, weil nur „offensichtlich“ sachwidrige Erwägungen relevant gewesen wären. Die Planer hätten sich auch von „verfahrensökonomischen Erwägungen“ leiten lassen dürfen. Im übrigen, so die Richter, sei keiner der Kläger auch nach den neuen Routen von dem entscheidenden Dauerschallpegel von 62 Dezibel betroffen. Alle Klagen wurden deshalb abgewiesen. Einige Kläger wollen nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. (Aktenzeichen: BVerwG 4 A 5000.10)
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