Das oberste EU-Gericht weist die Klage gegen Deutschland eindeutig ab. Brüssel will nicht weiter klagen. Somit ist auch die mögliche Strafzahlung in Höhe von rund 68 Millionen Euro hinfällig. Ein jahrelanger Streit um das VW-Gesetz geht damit zu Ende.

Brüssel - Das gesamte niedersächsische Landeskabinett ist am Dienstag nach Wolfsburg gefahren, um im VW-Werk mit den Mitarbeitern des größten deutschen Konzerns zu feiern. Man habe bei der Planung „natürlich nicht gewusst, wie die Entscheidung ausfallen würde“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil. Wohl aber war zu ahnen, dass es, so der Regierungschef, „ein guter Tag für Niedersachsen“ werden würde.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland im Allgemeinen und das VW-Gesetz im Speziellen abweist, hatte sich im Mai angedeutet, als der europäische Generalanwalt ebendiese Entscheidung forderte. Trotzdem herrschte bis zuletzt Nervosität: „In der Mehrzahl der Fälle folgen die Richter der Meinung des Generalanwalts“, sagte ein Mitarbeiter der Hannoveraner Staatskanzlei der Stuttgarter Zeitung, „aber das ist kein Naturgesetz“.

Der Richterspruch vom Luxemburger Kirchberg lässt nun aber nichts an Eindeutigkeit zu wünschen übrig. Die deutsche Position wird in vollem Umfang bestätigt. Somit ist auch die mögliche Strafzahlung in Höhe von rund 68 Millionen Euro hinfällig.

Wurde das erste Luxemburger Urteil richtig umgesetzt?

Im Kern ging es um die Frage, ob die Bundesrepublik das erste Luxemburger Urteil zum VW-Gesetz aus dem Jahr 2007 richtig umgesetzt hat. Damals urteilte Europas oberstes Gericht zu den drei wichtigsten Punkten des Gesetzes aus dem Jahr 1960, mit dem der vormalige Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Um den Einfluss der öffentlichen Hand zu sichern, durften der Bund und das Land Niedersachsen je zwei Aufsichtsratsmitglieder stellen. Zudem wurde in dem Kontrollgremium der Stimmanteil anderer Aktionäre auf eine Anzahl beschränkt, die einer Unternehmensbeteiligung von 20 Prozent entspricht. Ferner erlaubt das Gesetz der Landesregierung mit einem Anteil von nur 20 Prozent, wichtige Entscheidungen zu blockieren.

Dass die ersten beiden Punkte dem 2007er-Urteil zufolge europarechtswidrig waren und „gegen den freien Kapitalverkehr“ verstießen, akzeptierte die Bundesregierung ohne großes Murren. Das Gesetz wurde entsprechend geändert, der Passus mit der Sperrminorität blieb aber erhalten, wogegen die EU-Kommission Ende 2011 erneut klagte. Es müssten „alle“ drei Vorschriften beseitigt werden, da sie „Investoren aus anderen EU-Staaten abschrecken“ könnte, so die damalige Argumentation der Brüsseler Behörde. Es sei allein Sache der Eigner, über Ausnahmen von dem nach deutschem Aktienrecht für ein Veto nötigen 25-Prozent-Anteil zu befinden.

EU-Kommission räumt ihre Niederlage ein

Die Satzung des Volkswagen-Konzerns ist inzwischen ebenfalls geändert, weshalb „viele gesagt haben, dass wir das VW-Gesetz wirklich nicht mehr brauchen“, wie der Mitarbeiter der Staatskanzlei gegenüber der StZ einräumt: „Aber gegen eine Satzung kann man klagen. Mit dem EuGH-Urteil ist nun auch die Satzung gegen etwaige Klagen in der Zukunft abgeschirmt.“

Tatsächlich urteilten die Richter, dass ihr früheres Urteil „keine selbstständige Vertragsverletzung durch die Vorschrift über die herabgesetzte Sperrminorität festgestellt“, sondern diese „nur in Verbindung“ mit den anderen beiden Punkten einen Rechtsbruch dargestellt habe. Folglich sei Deutschland, so der Tenor in der Mitteilung des Gerichts vom Dienstag, „seinen Verpflichtungen aus dem Urteil von 2007 fristgemäß nachgekommen“.

Die EU-Kommission räumte ihre Niederlage ein. „Obwohl das Urteil nicht unserer Interpretation folgt“, sagte die Sprecherin von Binnenmarktkommissar Michel Barnier, „respektieren wir es voll.“ Die Klage habe im Sinne aller Beteiligten dazu gedient, juristische Klarheit zu schaffen: „Das ist geschehen. Die Sache ist erledigt.“

Die SPD-Europaabgeordneten Bernd Lange und Matthias Groote dagegen kritisierten die „ideologische Engstirnigkeit“ der Kommission, die überhaupt erst zu dem Streit geführt habe: „Die endlosen Attacken gegen das VW-Gesetz entspringen einem fatalen Wettbewerbswahn.“ Sie begrüßten das Urteil uneingeschränkt: „Die Vernunft hat heute über marktradikale Ideologie gesiegt.“ Ihr CDU-Parlamentskollege Burkhard Balz ergänzte, das VW-Gesetz sei „ein Erfolgsmodell“ und habe zu einer „guten, langfristig orientierten Unternehmenskultur geführt“.