Weit, sehr weit reicht das gestärkte Auskunftsrecht von Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber. Das musste Daimler in einem Prozess erfahren, dem womöglich eine Welle solcher Verfahren folgen könnte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das durch die Datenschutzgrundverordnung gestärkte Recht von Arbeitnehmern, vom Arbeitgeber Auskunft zu den über sie gesammelten Daten zu verlangen, könnte zu einer Welle von Prozessen führen. Diese Erwartung äußern Experten angesichts eines noch nicht veröffentlichten Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. Darin wird dem Autokonzern Daimler auferlegt, die über einen klagenden Manager vorliegenden Informationen umfassend offenzulegen; dazu gehören auch Erkenntnisse über interne Ermittlungen. Bundesweit erstmals wurde das Auskunftsrecht damit auch in der zweiten Instanz überaus weitreichend ausgelegt.

 

Daimler muss fast alle Daten herausgeben

Durch die EU-Datenschutzregeln wurde das bisher schon bestehende Recht von Arbeitnehmern gestärkt, weil Firmen bei Verstößen nun mit empfindlichen Sanktionen rechnen müssen. Völlig neu hinzu kam das Recht auf eine Kopie aller elektronisch gespeicherten Daten. Auf die erst seit zehn Monaten geltenden Regeln hatte sich der klagende Daimler-Manager in der zweiten Instanz berufen. Das Landesarbeitsgericht gab ihm nicht nur im Streit um Abmahnungen und Kündigungen fast vollständig recht. Es verurteilte den Autokonzern auch dazu, ihm Auskunft über nicht in seiner Personalakte gespeicherte Leistungs- und Verhaltensdaten samt einer Kopie zu geben. Er berufe sich auch zu Recht auf die Datenschutzgrundverordnung, wenn er Näheres zu internen Vorwürfen wissen wolle. Daimler hatte dies mit der Begründung verweigert, die Anonymität von Hinweisgebern schützen zu müssen. Das Unternehmen wollte sich wie stets zu laufenden Verfahren nicht äußern. Beim Bundesarbeitsgericht hieß es, es sei Revision eingelegt worden. Derzeit streitet Daimler mit dem Manager um die Vollstreckung des Urteils, also den Umfang der herauszugebenden Daten.

Anwalt rechnet mit einer Prozesswelle

Erstritten wurde das Urteil von der Stuttgarter Arbeitsrechtskanzlei Nägele. Deren Datenschutzexperte Tassilo-Rouven König sagte unserer Zeitung, man erwarte eine „dramatische Zunahme“ solcher Verfahren und stehe am Beginn einer „Prozesswelle“. Mit dem noch wenig bekannten, kaum eingeschränkten Auskunftsrecht erhielten Arbeitnehmer ein „neues Druckmittel“ gegenüber dem Arbeitgeber.

Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink sieht das „Potenzial für eine Klagewelle“. Firmen und Beschäftigten sei oft noch nicht bewusst, wie umfassend das Auskunftsrecht sei; es müsse „im Prinzip alles“ herausgegeben werden. Damit könne es zum „echten Problem“ für die Arbeitgeber werden. Brink und König empfehlen den Unternehmen, sich intensiv mit der neuen Rechtslage zu befassen. Sie müssten „erst lernen, mit diesem Anspruch umzugehen“, sagte der Datenschützer. Der Anwalt rät den Firmen zu Testläufen, um die eigene Datenverarbeitung zu verstehen.