Die Porsche SE soll 47 Millionen Euro an geschädigte Anleger zahlen, urteilt das Landgericht Stuttgart. Begründung: der frühere VW-Chef Martin Winterkorn habe in der Dieselaffäre gegen seine Pflichten verstoßen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Für den Dieselskandal bei Volkswagen soll nun auch die Porsche Automobil Holding SE als Mehrheitsaktionärin von VW einstehen. Das Landgericht Stuttgart verurteilte die Dachgesellschaft jetzt dazu, klagenden Investoren insgesamt 47 Millionen Euro Schadenersatz zu zahlen. Begründung: Sie habe diese zu spät über die Motormanipulationen informiert und damit gegen Publizitätspflichten am Kapitalmarkt verstoßen. Der zuständige Einzelrichter stützte seine Entscheidung insbesondere auf die Rolle des früheren VW-Chefs Martin Winterkorn, der damals gleichzeitig Chef der Porsche-Holding war. Anlegeranwälte begrüßten die Entscheidung als wegweisend auch für andere Verfahren in der Dieselaffäre. Die Porsche SE hatte die Vorwürfe ebenso wie Volkswagen stets zurückgewiesen. Sie kündigte an, in Berufung zu gehen.

 

In dem Verfahren ging es zentral um die Frage, inwieweit sich Porsche das Wissen von Winterkorn bei VW zurechnen lassen musste. Nach Ansicht des Einzelrichters Fabian Richter Reuschle konnte der VW-Chef spätestens im Mai 2014 „bestandsgefährdende Risiken“ bei dem Autokonzern erkennen. Damals erhielt er eine Mitteilung von engen Mitarbeitern, dass die US-Behörden unerklärlich hohen Schadstoffwerten bei VW-Dieselmotoren nachgingen – und in der Folge Abschalteinrichtungen auffliegen könnten. Die entsprechenden Dokumente, die der Vorstandschef zumindest angelesen haben soll, hatte VW auf Anforderung des Gerichts vorgelegt. Laut Richter Reuschle wäre Winterkorn verpflichtet gewesen, diese Kenntnisse in seiner Rolle als „Gatekeeper“ für die Porsche SE weiterzuleiten; dies habe er unterlassen. Ebenso habe die Dachgesellschaft gegen die Pflicht verstoßen, die Informationen im Rahmen von Managementgesprächen abzufragen.

Führungskräfte nicht fristlos gefeuert

In dem Urteil werden Winterkorn zahlreiche schwere Versäumnisse angekreidet. Angesichts des absehbaren „Massenschadens“ hätte er Rückstellungen für die Produktfehler bei den Dieselmotoren bilden müssen. Zudem hätte er die zu erwartenden Strafzahlungen an die US-Umweltbehörden und die Kosten für Rückruf- und Nachrüstaktionen berücksichtigen müssen. Zusammen hätten sich diese auf einen zweistelligen Milliardenbetrag belaufen. Das Ergebnis einer solchen Risikoanalyse, die jedoch unterblieben sei, hätte er auch der Porsche SE mitteilen müssen.

Seine Pflichten als VW-Chef habe Winterkorn zumindest grob fahrlässig verletzt, bilanzierte Richter Reuschle. Aufgrund der ihm zugeleiteten Hinweise hätte er eine „lückenlose Aufklärung“ der Vorgänge einleiten müssen. Zudem hätte er für Abhilfe sorgen und das Fehlverhalten von leitenden Führungskräften ahnden müssen, nämlich durch fristlose Kündigungen. „Keine dieser Pflichten … hat Winterkorn erfüllt“, urteilte der Richter. Die klagenden Anleger hätten jedoch nicht beweisen können, dass Winterkorn in die Manipulationen eingebunden gewesen sei. Daher hafte die Porsche SE nicht für Zeiträume vor dem Mai 2014. Den VW-Chef und zahlreiche weitere Beteiligte wollte das Gericht eigentlich als Zeugen hören; diese machten jedoch von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.

Geschäftsbericht nicht korrigiert

Der Porsche SE wirft das Gericht zudem vor, einen früheren Geschäftsbericht für die Jahre 2009/2010 nicht korrigiert zu haben. Darin werde Volkswagen als Innovationsführer bei Dieselmotoren beschrieben, was „nachweislich unwahr“ sei. Die Abgasnormen hätten bei einem bestimmten Aggregat nicht durch „schöpferische Leistung“, sondern nur durch die Manipulationen eingehalten werden können. Dies hätte Winterkorn als Chef der Porsche SE im Mai 2014 richtigstellen müssen.

Den Schaden der Anleger durch die unterlassene Information berechnete der Richter in einem komplizierten Verfahren. Dabei habe er 250 kurshistorische Daten berücksichtigt und auch das allgemeine Marktrisiko und mögliche zufällige Einflüsse berücksichtigt. Sein Ergebnis: Eine Kursabweichung von 14,55 Prozent – so viel hatten Anleger zu viel bezahlt – sei alleine auf die unterlassene Gewinnwarnung zurückzuführen.

Porsche rügt, Anwälte loben Urteil

Die Porsche SE zeigte sich überzeugt, dass die Urteile vor dem Oberlandesgericht keinen Bestand haben würden. Zugleich kritisierte sie, dass ein Einzelrichter den Fall verhandele und keine Kammer. Dies hatte Richter Reuschle in seiner Begründung nochmals gerechtfertigt.

Der Tübinger Anlegeranwalt Andreas Tilp, der mit der in dem Verfahren tätigen Frankfurter Kanzlei Broich kooperiert, lobte das Urteil. Mit seinen grundsätzlichen Ausführungen habe es „weitreichende Bedeutung“ nicht nur für die Parallelklagen gegen die Porsche SE, sondern auch für jene gegen Volkswagen.

Kläger in den beiden entschiedenen Fällen waren jeweils Fondsgesellschaften. In einem dritten, noch nicht entschiedenen Fall will das Gericht laut Richter Reuschle den Abschlussbericht einer Anwaltskanzlei im Auftrag von VW hinzuziehen.