Der Schutz von Chatpartnern zählt nicht so viel wie das Recht der Erben, sagt der BGH. Ein Spruch von weitreichender Bedeutung.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Wenn jemand stirbt, bleiben oft auch digitale Profile, E-Mails und Chatprotokolle im Internet zurück. Zu diesen müssen Erben Zugang bekommen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch im Fall einer Mutter entschieden, die nicht auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter zugreifen konnte. Das Urteil hat Bedeutung weit über den tragischen Einzelfall hinaus – und betrifft nicht nur Facebook, sondern alle Internetanbieter.

 

Der traurige Einzelfall

Ein 15-jähriges Mädchen ist 2012 in Berlin von einer U-Bahn erfasst worden und kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Die Mutter versuchte daraufhin, im Facebook-Konto ihrer Tochter Hinweise für einen möglichen Suizid zu finden. Sie war im Besitz der notwendigen Zugangsdaten. Freunde des Mädchens hatten das Konto jedoch in einen sogenannten Gedenkzustand versetzen lassen. Ein Zugriff ist dann nicht mehr möglich. Facebook weigerte sich, das zu ändern. Über den seelischen Schmerz hinaus ist der Hinweis auf einen möglichen Suizid auch von wirtschaftlicher Bedeutung. Der Fahrer der U-Bahn hat die Mutter auf Schadenersatz verklagt. Begründung: Das Mädchen habe Selbstmord begangen und ihn damit geschädigt.

Die Rechtsgeschichte

Das Berliner Landgericht hatte entschieden, dass Facebook der Mutter Zugang zum Nutzerkonto der Tochter gewähren musste. Facebook ging in Berufung. Das Kammergericht urteilte daraufhin anders als die Vorinstanz. Der Zugang sei durch das Fernmeldegeheimnis geschützt. Die Mutter legte beim BGH Revision ein.

Der Bundesgerichtshof

Der BGH hob die Entscheidung des Kammergerichtes auf und hat das Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Der Nutzungsvertrag zwischen der (verstorbenen) Tochter und Facebook sei im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben, also die Mutter des Mädchens, übergegangen, entschied der 3. Zivilsenat. Der Nutzervertrag sei nicht höchstpersönlicher Natur und damit vererbbar. Zudem erklärte der BGH, dass die Verpflichtung von Facebook „kontenbezogen und nicht personenbezogen“ sei. Das bedeutet, dass sich Facebook verpflichtet, Nachrichten an ein bestimmtes Konto zu senden, nicht an eine bestimmte Person. Das wiederum hat nach Ansicht des BGH zur Folge, dass der Absender einer Nachricht nur damit rechnen darf, dass diese an das Konto gesendet wird, welches er erreichen will. Ein „schutzwürdiges Vertrauen“ darauf, dass nur der Kontoinhaber die Nachrichten liest, bestehe hingegen nicht. Auch zu Lebzeiten eines Kontoinhabers müsse der Versender von Nachrichten stets mit einem Missbrauch rechnen.

Das Fernmeldegeheimnis

Das Fernmeldegeheimnis steht dem Anspruch der Mutter nicht entgegen. In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Bedeutung. Das hatte gesagt, dass E-Mails und Chatprotokolle, die noch auf einem Server im Internet liegen, unter den Schutz des Fernmeldegeheimnisses fallen. Das Telekommunikationsgesetz schreibt dann vor, dass Facebook und Co. keinem „anderen“ Kenntnis von der Kommunikation geben dürfen. Der BGH erklärte nun, dass die Erben keine „anderen“ im Sinne des Gesetzes seien.

Die Datenschutzgrundverordnung

Der Bundesgerichtshof erklärt, dass auch die seit Mai gültige Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nichts an seiner Rechtsauffassung ändert. Der Grund: Die Verordnung schütze nur lebende Personen.

Die Bedeutung

Obwohl das Urteil auf Grundlage eines – besonders tragischen – Einzelfalls gesprochen wurde, wirkt es über diese Grenzen hinaus. Es gilt nicht nur für Facebook, sondern für alle Anbieter ähnlicher Kommunikationsdienste im Internet. Bisher hat es in der Rechtswissenschaft eine gewisse Unsicherheit darüber gegeben, ob digitale Güter überhaupt vererbbar sein können. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage nun mit einem klaren Ja beantwortet. Das Urteil ist rechtskräftig.

Gewünschtes Geheimnis

Wer nicht möchte, dass nach seinem Ableben die Erben die digitalen Postfächer durchstöbern, der hat zwei Möglichkeiten. Zum einen bieten manche Online-Anbieter die Möglichkeit an, dass ein Nutzer für den Fall seines Todes eine Löschung seines Kontos verfügen kann. Das birgt jedoch das Risiko, dass ein Angehöriger, der in Besitz der Zugriffsdaten ist, schneller ist als der Online-Dienst und sich vor der Löschung des Kontos Zugang verschafft. Eine zweite Möglichkeit besteht in einer testamentarischen Verfügung. In ihr kann geregelt werden, was mit den Daten in der digitalen Welt geschieht – ebenso wie über die Gegenstände im realen Leben verfügt werden kann. Im aktuell entschiedenen Fall hätte die Tochter freilich kein Testament errichten können, dies ist erst mit 18 Jahren uneingeschränkt möglich.

Die politische Entscheidung

Der Bundesgerichtshof ist dem Gesetzgeber zuvorgekommen. Die große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag zwar stehen, sich dieses Themas annehmen zu wollen, bisher hat die Politik jedoch noch nicht mit der Arbeit an dem Komplex begonnen. Nach dem klaren Urteil der Bundesrichter besteht dazu auch keine Notwendigkeit mehr.

Die Reaktion

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßte das Urteil aus Karlsruhe. „Wir begrüßen die Entscheidung. Jetzt gibt es Rechtssicherheit für die Erben auch in der digitalen Welt“, so dessen Präsident Ulrich Schellenberg. Der DAV hatte seit Jahren gefordert, dass der Gesetzgeber beim digitalen Erbe für Klarheit sorgen möge. Nun heißt es, dass eine europäische Regelung anzustreben sinnvoll sei, da die BGH-Entscheidung nur für Deutschland gelte.