Das Landgericht Stuttgart hat den 36-Jährigen zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Richter sprachen von einer „Selbstbedienungsmentalität“. Der Mann aus Reichenbach hatte im April eine junge Frau entführt und mehrfach vergewaltigt.

Zu einer neunjährigen Haftstrafe ist am Freitagnachmittag vor dem Stuttgarter Landgericht ein arbeitsloser 36-Jähriger aus Reichenbach verurteilt worden. Am 9. April dieses Jahres hatte er gegen 20.15 Uhr einer 23-Jährigen aufgelauert, die auf dem Weg nach Hause in Plochingen war, sie unter Todesandrohungen mit Gewalt in eine Gartenhütte gezerrt und sich dort in den folgenden fast 24 Stunden mehrfach sexuell an ihr vergangen. Ein Suchtrupp beendete das Martyrium der jungen Frau.

 

Die neunte Große Strafkammer sieht in dem Verbrechen eine Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung in vier besonders schweren Fällen, besonders schwerer sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung. Außer der Haftstrafe ordnete das Gericht für den stark drogen- und alkoholabhängigen Mann eine zweijährige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Vor dieser Behandlung muss er aber zweieinhalb Jahre im Gefängnis absitzen.

Richter wertet das Geständnis des Täters mit Einschränkungen

Dem 36-jährigen, mehrfach Vorbestraften attestierte der Vorsitzende Richter ein skrupelloses Vorgehen und eine „Selbstbedienungsmentalität“. Er habe sein Opfer „in den Warenkorb seiner sexuellen Bedürfnisse gelegt“. Während der Verhandlung habe der Mann ein „weitgehendes Geständnis“ abgelegt, so der Vorsitzende Richter. Dieses sei jedoch „mit Einschränkungen“ zu werten. Das betrifft beispielsweise die Aussagen des Täters zu seiner Verfassung während des Tatzeitraums.

Er selbst hatte sich wegen massiven Drogen- und Alkoholkonsums als voll zugedröhnt beschrieben. Doch das Gericht ging davon aus, dass der Mann vor der Tat lediglich leicht alkoholisiert gewesen sei. Während des Tatzeitraums habe er entgegen seinen eigenen Aussagen keinen Alkohol getrunken und auch keine Amphetamine genommen. Das Gericht stützte sich dabei auf Aussagen des Opfers. Eine eingeschränkte Schuldfähigkeit konnte das Gericht bei dem Angeklagten nicht erkennen. Es folgte damit ganz dem psychiatrischen Gutachten.

Kammer vermochte kein Motiv zu finden

Wie an allen Verhandlungstagen zuvor war der 36-Jährige in kurzen Bermudas und mit einem Parka im Gerichtssaal erschienen. Seinen Kopf verhüllte er mit einer Kapuze. Ein echtes Motiv für das Verbrechen vermochte die Kammer nicht zu entdecken. Enthemmung durch Rauschmittel, verkorkste Lebenssituation, schwierige Persönlichkeitsstruktur – es sei vermutlich „ein Bündel von allem“ gewesen, erklärte der Vorsitzende Richter. In allen Einzelheiten ließ er das Tatgeschehen Revue, so wie es sich nach Angaben des Opfer und von Zeugen zugetragen hat. Wie er die Frau überwältigt hat, sie in die Hütte geschleppt hat, in der er eineinhalb Jahre wegen seiner Obdachlosigkeit hauste, und wie er sie viermal vergewaltigt hat. Obwohl sie ihn angefleht hatte, sie sei verheiratet, habe ein Kind und sei schwanger, habe er nicht von ihr abgelassen. „Mädchen, ich habe die Kraft, dich umzubringen“, soll er bei einem Fluchtversuch zu ihr gesagt haben. Aus Todesangst ließ die Frau mit Ekel vieles über sich ergehen.

Nach Überzeugung des Gerichts wäre Schlimmeres zu befürchten gewesen, wenn sie sich massiv hätte zur Wehr gesetzt. Die Hütte hatte er von innen wie von außen verbarrikadiert und im Innenraum mit einer Folie überzogen. Mehrfach hatte er ihr ein Teppichmesser vor den Hals gehalten und ihr angedroht, sie zu töten. So auch, als er während der vierten Vergewaltigung draußen eine Suchmannschaft hörte und sie versuchte, sich bemerkbar zu machen. Mehrmals eskalierte die Situation in der Hütte, weil immer wieder Suchtrupps vernehmlich in der Nähe waren. Als dann am Nachmittag ein Feuerwehrmann die Frau über ein Fenster der Hütte befreite, war deren Martyrium beendet. Der Täter floh, konnte aber später festgenommen werden.

Hohe Dunkelziffer

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Der Verein Terre des femmes – Menschenrechte für die Frau ist davon überzeugt, dass in Deutschland kaum ein Verbrechen so selten bestraft wird wie eine Vergewaltigung. Experten schätzen, dass es jährlich 160 000 Vergewaltigungen gibt, und nur 8000 Delikte werden angezeigt und verfolgt. Ein Grund liege in der geringen Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. In nur 13 Prozent der angezeigten Fälle (1040) steht am Ende eines meist langwierigen Verfahrens ein Schuldspruch. Es werden also weniger als ein Prozent der Täter verurteilt.

Hilfeleistung
Eine Reihe von Einrichtungen leisten Opfern Beistand und Hilfe. Dazu zählen der Weiße Ring und der Bundesverband Frauenberatungsstelle.