Der 21-Jährige muss für mehrere Jahre ins Gefängnis, das Opfer bekommt Schmerzensgeld.

Stuttgart/Weil der Stadt - Als der 21-jährige Angeklagte zur Urteilsverkündung in den Sitzungssaal des Landgerichts geführt wird, verbirgt er sein Gesicht hinter einem Aktendeckel. Seine Mutter sitzt mit gefalteten Händen in der ersten Reihe der Besucherstühle. Äußerlich unbeeindruckt verfolgt der junge Mann mit kosovarischen Wurzeln knapp eine Stunde lang die Ausführungen der Vorsitzenden Richterin Cornelie Eßlinger-Graf.

 

„Sie haben sich aus nichtigem Anlass zum Herrn über Leben und Tod gemacht“, lautet ein zentraler Satz der Vorsitzenden Richterin. Die Kammer verurteilte den 21-Jährigen zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Zudem wurde ihm der Führerschein für vier Jahre entzogen, und es wurde angeordnet, dass der 21-Jährige seinem Opfer ein Schmerzensgeld in Höhe von 18 000 Euro bezahlen muss, von denen 2500 Euro schon beglichen sind.

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„Ich stech’ dich ab“

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das verhängnisvolle Geschehen im Mai vergangenen Jahres seinen Ausgangspunkt nahm, als der Angeklagte einen Radler auf der Josef-Beyerle-Straße in Weil der Stadt mit nur knappem Abstand überholte. Zwar sei das Manöver nicht gefährlich gewesen, doch habe sich der Radfahrer dadurch sehr erschreckt und habe den 21-Jährigen rund 70 Meter weiter an einer roten Ampel zur Rede gestellt. „Er klopfte lautstark an die Fahrzeugscheibe des Paketboten, und es entwickelte sich ein Streitgespräch, in dem auch Beleidigungen ausgetauscht wurden“, erläuterte Eßlinger-Graf.

Der Radfahrer habe die Situation mit den Worten „Du Depp“ und einer wegwerfenden Handbewegung beendet und habe dann weiterfahren wollen. Doch der Angeklagte habe sich gekränkt gefühlt, weil er das Gespräch nicht als Sieger beendet habe. Er rammte das Fahrrad mit seinem Auto, der Radfahrer stürzte. Dann habe er ein Messer mit einer neun Zentimeter langen Klinge ergriffen, sei aus dem Auto gesprungen und habe mehrfach auf den am Boden liegenden Radfahrer eingestochen.

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Einer der Stiche traf die Lunge des 40-Jährigen, wodurch Luft in den Brustkorb drang und den Radfahrer lebensgefährlich verletzte. Zeugen hörten, wie der 21-Jährige dabei Sätze wie „Ich stech’ dich ab“ und „Ich komme direkt aus der Moschee, wegen dir muss ich mich versündigen“ rief. Erst als ein 1,86 Meter großer und 140 Kilogramm schwerer ehemaliger Soldat sich einmischte, gab der Angeklagte auf.

„Sie haben Ihre Wut nicht im Griff“

Die Folgen für den Radfahrer, der sich bei seiner Aussage vor Gericht versöhnlich gezeigt hatte, seien massiv gewesen: Er sei sechs Wochen lang krankgeschrieben gewesen und habe Schmerz- und Schlafmittel nehmen müssen. Eine längere Krankschreibung habe er abgelehnt, weil er sich durch die Arbeit wieder Struktur in seinem Leben erhofft habe. Wegen des Vorfalls sei er jedoch umgezogen und nehme nun jeden Tag eine Fahrzeit von drei bis vier Stunden zur Arbeit auf sich. Zudem habe der passionierte Radfahrer dieses Hobby aufgegeben und alle seine Räder verkauft.

Das Gericht sah das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an, da der 40-Jährige nach dem verbalen Streit nicht mehr mit einem Angriff gerechnet habe und somit arg- und wehrlos gewesen sei. „Sie sind ein impulsiver junger Mann, der seine Wut nicht im Griff hat“, sagte Eßlinger-Graf in Richtung des Angeklagten.

Positiv rechnete sie ihm neben dem Geständnis an, dass er sich zur Zahlung eines Schmerzensgeldes bereit erklärt habe und damit Verantwortung übernehme. Zudem müsse er „ausländerrechtliche Konsequenzen“ befürchten. „Es war eine lange und schwierige Verhandlung. Aber jetzt gilt es für Sie, nach vorne zu gucken und sich zu einer stabilen Persönlichkeit zu entwickeln“, gab Eßlinger-Graf dem 21-Jährigen am Ende mit auf den Weg.