Urteil im Stuttgarter Klinikum-Skandal Patientenbetreuer muss länger in Haft bleiben

Im Katharinenhospital wurden libysche Kriegsversehrte zu überhöhten Kosten medizinisch behandelt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Landgericht hat die bisherige Gesamtstrafe für Betrug und Untreue wegen Steuerhinterziehung von 33 auf 40 Monate erhöht. Auch Führungskräfte sind angeklagt.

Der Klinikum-Skandal beschäftigt die Stuttgarter Justiz seit acht Jahren. Ein Ende ist nicht abzusehen. Drei Angeklagte warten wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs bei der Abrechnung der Behandlung und Betreuung 370 libyscher Kriegsversehrter in den Jahren 2013 bis 2015 seit zwei Jahren auf ihre Verhandlung. Die Verfahren waren im März 2021 wegen der Coronapandemie aus organisatorischen Gründen von denen abgetrennt worden, die gegen drei Patientenbetreuer angestrengt wurden. Zwei wurden zu Haftstrafen verurteilt, einer erhielt eine Geldauflage. Neun weitere Anklagen gegen die damals im Klinikum und im Rathaus Verantwortlichen sowie diverse Mitarbeiter werden derzeit vom Landgericht geprüft. Indes hat die dafür zuständige 20. Wirtschaftsstrafkammer einen der Patientenbetreuer, der mit dem Klinikum Dienstleisterverträge hatte, bereits zum zweiten Mal in dieser Sache bestraft.

 

Höhere Gesamtfreiheitsstrafe

Die Kammer bildete wegen versuchter und erfolgter Steuerhinterziehung gegen den 2022 zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 863 000 Euro verurteilten Deutschen mit palästinensischen Wurzeln, der mit seiner Firma jahrelang die Betreuung meist arabischer Privatpatienten für das Klinikum organisiert hatte, eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Sie blieb fünf Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Beide Parteien haben das Urteil akzeptiert. Der Mann ist seit zwei Monaten in Ulm im offenen Vollzug. Im Sommer 2019 saß er für sechs Monate in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende Richter Altenhoff hatte im Vorfeld gegenüber der Staatsanwaltschaft vergeblich angeregt, eine Einstellung des Verfahrens zu prüfen – wegen Arbeitsüberlastung und weil keine Strafe zu erwarten sei, „die mehr als wenige Monate“ über der bereits verhängten liege.

Angeklagter hat für sein Geld gearbeitet

Die Staatsanwaltschaft teilt die Ansicht des Stuttgarter Strafverteidigers Boris Müller, dass der Angeklagte beim Betreuungsprojekt mit 370 Libyern zwischen 2013 und 2015 wohl der Einzige gewesen sei, der wirklich hart für sein Geld gearbeitet habe, allerdings mit der Buchhaltung aus Gründen der Arbeitsüberlastung völlig überfordert gewesen sei. Das ändere aber nichts daran, dass es strafbar sei, zwei Jahre lang keinerlei Steuern für erhebliche Einnahmen zu entrichten. Das Gericht kam zum Schluss, er sei „sehenden Auges gegen die Wand gefahren“.

Zum Glück für den Angeklagten blieben im Verfahren gegen den Willen der Staatsanwaltschaft jene Umsätze unberücksichtigt, die der Angeklagte als Geldbote generiert hatte. Dieser Auftrag hatte die Finanzabteilung des Klinikums in ein schlechtes Licht gerückt, weil sie den Übertrag von Summen in sechsstelliger Höhe auf Basis unvollständiger Rechnungen auf das Konto des Betreuers vorgenommen hatte, der es dann abgehoben und übergeben haben soll.

Bargeld für den libyschen Drahtzieher?

Die überwiegend ambulant behandelten libyschen Patienten sind für die Zeit ihres dreimonatigen Aufenthalts so mit insgesamt 4,2 Millionen Euro versorgt worden, die ihnen ihr Vorgesetzter als Taschen- und Essensgeld zugestanden hatte. Es wird allerdings vermutet, dass der eigentliche Drahtzieher des Betrugs, der Chef des libyschen Kriegsversehrtenkomitees, einen nicht unerheblichen Anteil des in der Plastiktüte transportieren Bargelds nach der Übergabe in einem Hotel für sich reklamiert hat.

Der Vorsitzende Richter Altenhoff sieht das im vorigen Jahr beendete Verfahren, anders als die Staatsanwaltschaft, untrennbar miteinander verbunden. Damit hat die Kammer nicht nur die „hemdsärmelige, pragmatische und sympathische“ Art des Angeklagten als „ständiger Ansprechpartner und Problemlöser“ bei der aufwendigen Betreuung von 370 Patienten in die Strafbemessung einbezogen, sondern auch dessen Hilfe bei der Aufklärung.

Kehrt der Angeklagte als Zeuge zurück?

Vor Gericht wolle er ihn jedenfalls nicht mehr sehen, sagte er. Eine Voraussetzung dafür hat die Kammer selbst geschaffen, indem sie ein Verfahren im Zusammenhang mit den Schmiergeldzahlungen im Zuge des windigen Beratergeschäfts in Kuwait eingestellt hat. Er werde sicher nicht mehr als Angeschuldigter ans Landgericht zurückkehrten, hatte der Angeklagte zuvor in seinem Schlusswort zugesichert – aber wohl als Hauptbelastungszeuge gegen jene Führungskräfte, die für ihn die Hauptverantwortung im Klinikum-Skandal tragen. Der 53-Jährige mit dem Elefantengedächtnis hat noch mit einigen eine Rechnung offen.

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