Die juristische Aufarbeitung der Tragödie von Malaga ist abgeschlossen. Vorausgegangen ist eine Versöhnung von Julens Eltern und dem Besitzer des Unglücksgeländes.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Malaga - Die Männer, so sieht es aus, haben sich versöhnt. Eine Reporterin der Zeitung „El País“ beobachtet, wie sie sich vor Prozessbeginn unterhalten und dann gemeinsam den Verhandlungssaal des Provinzgerichts in Málaga betreten. Einer ist der Kläger, der andere der Beklagte. Jahrzehntelang waren sie Freunde – bis sie Julens Tod auseinanderbrachte. Nach Monaten der Verständnislosigkeit können sie sich wieder in die Augen schauen.

 

An diesem Dienstag sollte vor dem Gericht in Málaga der Strafprozess in Sachen Julen beginnen. Sechs Verhandlungstage waren dafür angesetzt, doch er war nach einer Stunde beendet. Der Richter verkündete das Urteil, auf das sich Anklage und Verteidigung am Tag zuvor für den Beschuldigten geeinigt hatten: ein Jahr Haft auf Bewährung, 180 000 Euro Schmerzensgeld für die Eltern von Julen und eine weitere Zahlung von gut 660 000 Euro für die Kosten, die jenes Unglück vor einem Jahr verursachte. Die Justiz hat gesprochen. Die Wunden bleiben. Der Fall, der hier verhandelt wurde, hatte Spanien vor einem Jahr fast zwei Wochen lang in Atem gehalten.

Julen steckte in mehr als 70 Meter Tiefe fest

Im Dezember 2018 hatte sich der 36-jährige Verurteilte ein Wiesengrundstück im Bergland von Totalán nahe Málaga gekauft. Ein paar Wochen später, am 13. Januar, luden er und seine Frau das befreundete Ehepaar zu einem Paellaessen auf dem Grundstück ein. Die Gastgeber brachten ihre gut zwei Jahre alte Tochter mit und die Gäste ihren etwa gleichaltrigen Sohn, Julen. Der Junge lief über das Gelände, sein Vater und die Mutter des Gastgebers hatten ihn im Blick. Plötzlich verschwand er.

Julen war in ein Bohrloch gefallen. Er steckte in mehr als 70 Meter Tiefe fest. Über ihm waren Sand und Gestein nachgerutscht, aber möglicherweise lebte er noch. Ein fieberhafter Rettungsversuch begann. Man grub einen Schacht parallel zum Bohrloch und von dort einen Stollen herüber zur Stelle, an der man Julen vermutete. Nach zwölfeinhalb Tagen fanden die Rettungsmänner die Leiche des Jungen. Die Autopsie ergab, dass er sich beim Hinabrutschen zweimal den Kopf an Steinen in der Bohrlochwand angeschlagen hatte und kurz darauf gestorben war. Der Versuch, ihn zu retten, war von vornherein ein vergeblicher gewesen.

Die Wirklichkeit ist manchmal unglaublich

Die Schuld fällt nach dem Urteil vom Dienstag auf den 36-jährigen Besitzer des Geländes. Er hatte kurz nach dem Kauf im Dezember einen Brunnenbohrer kommen lassen, wie das viele Menschen in der Gegend tun. Weder der Auftraggeber noch der Unternehmer holten sich eine Genehmigung ein, auch das ist nichts Ungewöhnliches. Er habe nach erfolgloser Bohrung das Loch mit einem Stein verschlossen, erklärte der Brunnenbohrer nach dem Unglück.

Am Tag, als Julen abstürzte, war das Loch aber ungesichert. Es war so schmal, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass dort ein gut zweijähriges Kind in Winterkleidung hineinpasste. Bis zum Fund der Leiche gab es etliche Fachleute, die bezweifelten, dass Julen in dieses Loch von gerade einmal 25 Zentimeter Durchmesser gefallen sei. Die Wirklichkeit ist manchmal unglaublich.

Der Verurteilte lebt mit Schuld und Verzweiflung

„Verflucht sei der Morgen, an dem ich an jenem Tag aufstand“, sagte der nun verurteilte 36-Jährige dieser Tage in einem Interview. Seit damals lebe er mit „einer Mischung aus Schuld und Verzweiflung“. Seine Anwälte versuchten, ihn von jeder Schuld zu entlasten. Ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten legte die Vermutung nahe, dass eine Sonde, die Retter am Unglückstag ins Bohrloch hinabließen, Julen erschlagen habe. Die Autopsie widerlegte diese These.

Der allzu menschliche Versuch des Besitzers des Unglücksgeländes, die Schuld woanders zu suchen, zerrüttete die Freundschaft mit Julens Eltern. Kurz vor Prozessbeginn redeten die Freunde wieder miteinander, und ihre Anwälte einigten sich auf ein Strafmaß, mit dem auch die Staatsanwaltschaft und schließlich das Gericht einverstanden waren. Für die Zahlung des Schmerzensgeldes spendete ein Unbekannter 25 000 Euro.