Ein Nachbar der Konradskirche in Remshalden-Geradstetten, der sich in seiner negativenBekenntnisfreiheit gestört fühlt, ist vor Gericht gescheitert.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)
Remshalden-Geradstetten - Er fühle sich durch das regelmäßige Läuten der evangelischen Konradskirche in Remshalden-Geradstetten (Rems-Murr-Kreis) in seiner "negativen Religionsfreiheit" verletzt, hat ein Kläger vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht argumentiert. Gemeint ist das Recht, kein Bekenntnis haben zu dürfen. Diese Argumentation sei neu, bei anderen Prozessen hätten die Kläger Belästigungen durch die Lautstärke der Glocken angeführt, sagt Ulrike Zeitler, die Pressesprecherin des Verwaltungsgerichts Stuttgart. "Das hat der Kläger in diesem Fall nicht gemacht." Wegen des grundsätzlichen Charakters des Falls sei das Urteil noch nicht rechtskräftig, die Berufung ausdrücklich zugelassen. Damit soll eine höchstrichterliche Entscheidung ermöglicht werden.

Der Kläger wohnt ungefähr 100 Meter von der Kirche entfernt. Er hatte vorgetragen, dass er durch das Läuten zu "einer systematischen, stetigen Kenntnisnahme eines akustischen religiösen Zeichens gezwungen" werde. Wegen der Beschallung durch die Kirchenglocken sinke außerdem der Wert seines Hauses, die Schlafqualität sei gestört. Das Läuten um 6 Uhr morgens sei nicht sozial adäquat. 61 Prozent der Westdeutschen, behauptet der Kläger, legten keinen Wert auf Kirchengeläut.

Klage gegen tägliches zweiminütiges Betläuten abgewiesen


Das Stuttgarter Verwaltungsgerichts ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Es hat die Klage gegen das tägliche zweiminütige Betläuten zwischen 6 und 8 Uhr, das seit 1756 praktiziert wird, abgewiesen. Der negativen Bekenntnisfreiheit des Klägers stehe das gleichermaßen geschützte Grundrecht der ungestörten Religionsausübung der Kirchengemeinde entgegen sowie deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Ein Ausgleich zwischen den beiden Grundrechtspositionen sei in diesem Fall nicht notwendig, so das Gericht. Es bestehe "keine vom Staat geschaffene Lage, wie zum Beispiel in Schulen, Gerichtsgebäuden und Ähnlichem", in welcher der Einzelne keine Ausweichmöglichkeit habe, sich "dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt", zu entziehen.

In einer Gesellschaft, die unterschiedliche Glaubensüberzeugungen zulasse, habe "der Einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubenskundgebungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben", führt das Verwaltungsgericht weiter aus. Das gelte nicht nur für die Kirchenglocken, sondern auch für andere religiöse Verkündungsformen wie zum Beispiel den Ruf eines Muezzins.

"Zumutbare Äußerung des kirchlichen Lebens"


Diesem Gebetsruf könnte ein Einzelner nach dem Urteil nicht das Recht auf negative Bekenntnisfreiheit entgegenhalten. "Unter dem Vorbehalt, dass eine gewisse Lautstärke nicht überschritten wird", sagt Ulrike Zeitler. Doch selbst nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz hätte der Kläger im aktuellen Fall keinen Unterlassungsanspruch. Das Glockengeläut stelle eine "zumutbare, sozial adäquate und allgemein akzeptierte Äußerung des kirchlichen Lebens" dar, die auch in einer säkularisierten Gesellschaft hinzunehmen sei. Die Zeit der Nachtruhe gelte zudem nach der "Technischen Anleitung Lärm" um sechs Uhr als beendet. Auch die Dauer des Geläuts von zwei Minuten sei nicht zu beanstanden, argumentierte das Gericht.

Gegen das Urteil (Aktenzeichen 11 K 1705/10) kann der Kläger innerhalb eines Monats Berufung einlegen. Diese würde dann am Verwaltungsgerichtshof in Mannheim verhandelt werden.