Fast sieben Jahre Haft: Wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung muss ein 20 Jahre alter Afghane ins Gefängnis. Die Richterin verurteilt ihn nach dem Jugendstrafrecht.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Plüderhausen/Stuttgart - Schuldig des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung: Das Landgericht Stuttgart hat am Dienstag den 20-jährigen afghanischen Asylbewerber Amir W. zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Beim Prozessauftakt hatte er gestanden, den Vater seiner Ex-Freundin in dessen Haus in Plüderhausen mit einem Messer schwer verletzt zu haben.

 

Eine Sozialarbeiterin der Jugendgerichtshilfe hatte zuvor empfohlen, bei dem 20-Jährigen das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Das Gericht sah das anders. „Wir sehen eine Reifeverzögerung“, sagte die Richterin. W. sei mit acht Jahren von der Familie weggezogen und habe schon in diesem Alter durch Arbeit das Schulgeld mitverdient – „dabei braucht auch in Afghanistan ein Achtjähriger ein verlässliches Umfeld“, so die Richterin.

Messerangriff in Plüderhausen: Täter wird voraussichtlich abgeschoben

Auch in Deutschland habe er keine Zeit gehabt, innerlich zu reifen. Ihr sei bewusst, dass diese Entscheidung in der Öffentlichkeit wohl Kritik finden würde. „Aber auch bei jedem vergleichbaren deutschen Jugendlichen hätten wir eine Reifeverzögerung gesehen.“

An W. gewandt sagte sie: „Die Jugendstrafe bietet Ihnen die Chance, sich beruflich weiterzuentwickeln. Dies wird Ihnen in Afghanistan nützlich sein.“ Denn sobald W. rund die Hälfte seiner Strafe verbüßt habe, werde er abgeschoben.

Das Opfer, seine Frau und seine Tochter leiden noch immer unter den Folgen der Tat. Der 53-jährige Selbstständige bleibt weiterhin krankgeschrieben. Und dennoch: „Ich habe selten eine so großherzige Aussage, so frei von Rache- und Belastungseifer erlebt wie die Ihre“, lobte die Richterin. Der 53-Jährige hatte dem 20 Jahre alten Flüchtling seine Tat verziehen – auch, um selbst mit den Erlebnissen jener Nacht abschließen zu können.

Täter und Tochter des Opfers hatten eine On-Off-Beziehung geführt

Amir W. und die 19 Jahre alte Tochter des Opfers hatten einige Monate eine On-Off-Beziehung geführt. Diese war geprägt von tiefer Zuneigung – aber auch von chronischer Eifersucht, Drohungen und Gewalt durch W. Dieser wurde sogar dann wütend, wenn sich die junge Frau nur mit anderen jungen Männern unterhielt. Im Frühjahr 2018 kam es dann zur Trennung. „Sie waren verzweifelt, in in Ihrer Ehre gekränkt und wütend“, resümierte die Richterin.

In der Nacht auf den 15. Juli 2018 stieg W. in das Haus ein, das seine Ex-Freundin und ihre Eltern bewohnen. Er war ausgerüstet mit einem Messer, Handschuhen und einer Maske. „Es liegt nahe, dass Sie sie umbringen wollten. Aber denkbar wäre auch gewesen, dass Sie sie vergewaltigen oder entführen wollten, oder ihr Gesicht entstellen, damit keiner sie mehr anguckt“, so die Richterin.

Richterin: Es war ihnen egal, ob er an den Folgen stirbt

Doch die 19-Jährige war an diesem Abend nicht da. Stattdessen sah sich W. mit ihrem 53-jährigen Vater konfrontiert. Als dieser hinter der Türe eine schwarze Gestalt erblickte, wollte er an ihr vorbei, drückte die Tür zur Seite und bekam den ersten Stich ab. W. zerrte nun auf der einen Seite der Tür, der 53-Jährige auf der anderen.

Als das Opfer zu Boden sank, ging W. auf den liegenden Mann los – mit schlagenden Bewegungen, mit dem Messer in der Hand, fügte er dem 53-Jährigen schwere Schnittverletzungen am Bein und am Arm zu. „Es war Ihnen vollkommen egal, wo Sie ihn trafen und ob er an den Folgen stirbt“, sagte die Richterin. „Sie wollten Ihren Schmerz und Ihre Wut ausleben.“