In Göteborg sind die Eltern von zwei Teenagern verurteilt worden, weil diese im Internet Gleichaltrige gemobbt haben. Jetzt diskutiert Schweden, wie viel Verantwortung die Familien haben.

Göteborg - Ein Urteil über Internetmobbing hat in Schweden heftige Debatten verursacht: nicht wegen des Schuldspruchs gegen die beiden Teenager, die üble Beleidigungen gegen ihre Mitschüler und andere Jugendliche ins Web gestellt hatten, sondern wegen des Schadenersatzes, den das Gericht den Opfern zugesprochen hat. Für diesen haften nämlich die Eltern der Täterinnen, was sie etwa 40 000 Euro kosten kann. Ist das ein „wichtiges Signal an alle Erwachsenen“, wie der Anwalt Arash Raoufi meint, der mehrere der Geschädigten vertrat? Oder eine „unangemessene Konsequenz des Gesetzes über Elternverantwortung“, wie dessen Kollege Claes Östlund behauptet?

 

Das Gesetz, auf das sich das Gericht in Göteborg berief, stammt aus dem Jahr 2010 und wurde von der Justizministerin Beatrice Ask initiiert, um die Eltern jugendlicher Straftäter in die Pflicht zu nehmen. Sie können für ihr Versäumnis der Sorgepflicht mit einer eher symbolischen Geldstrafe belegt werden, die bei etwa 1000 Euro liegt. Dieser Paragraf wurde nun erstmals in einem Fall angewandt, in dem es nicht um physische Gewalt geht, und da der Schadenersatz 38 Geschädigten zugesprochen wurde, vervielfachte sich die Summe.

Die beiden Mädchen hatten Ende Jahres 2012 auf Instagram ein Konto eingerichtet, auf dem sie Gleichaltrige mit Foto, Namen und Adresse als Schlampen und Huren bezeichneten und übel beschimpften. Sie forderten andere auf, weitere „Orror“ (Slang für Huren) beiderlei Geschlechts kenntlich zu machen und die Liste umfasste rasch mehr als hundert Namen. Viele der Angeprangerten reagierten schockiert auf die völlig haltlosen Beschuldigungen. Im Dezember kam es in Göteborg zu Aufruhr vor zwei Gymnasien, als Freunde der Opfer deren „Ehre rächen“ wollten. Jugendliche lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, die beiden Schulen wurden aus Sicherheitsgründen tagelang gesperrt, eine 17-Jährige, die zu Unrecht beschuldigt wurde, hinter dem Konto zu stehen, musste mit ihrer Familie abtauchen.

Beide Mädchen müssen gemeinnützige Arbeit leisten

Als Täterinnen wurden später zwei andere ermittelt. Sie wurden nun wegen schwerer Verleumdung verurteilt: eine 15-Jährige, die zugab, die Fotoseite „aus Spaß“ betrieben zu haben, und eine 16-Jährige, die trotz ihres Leugnens aufgrund eindeutiger Indizien schuldig gesprochen wurde. Als Strafe müssen die beiden nun gemeinnützige Arbeit leisten. Außerdem wurden sie zur Zahlung von je 15 000 Kronen (1710 Euro) an die 38 Opfer verurteilt, die sich als Geschädigte gemeldet hatten. Für mehr als die Hälfte dieser Summe haften die Eltern der Teenager.

Während der Schuldspruch generell auf Zustimmung stieß – endlich habe die Justiz verstanden, dass Verleumdung und Bedrohung auch Verleumdung und Bedrohung sind, wenn sie im Internet verbreitet werden, lobt zum Beispiel die Zeitung „Dagens Nyheter“ – weckt die Verantwortung der Eltern gemischte Reaktionen. „Man versäumt die Aufsichtspflicht, wenn die Kinder mitten in der Nacht auf der Straße sind und andere Leute in Fresse schlagen“, sagt der Jurist Östlund. „Aber es ist unlogisch, dass sie 300 000 Kronen zahlen müssen, nur weil ihr Kind ein paar Mausklicks am Computer machte.“ Im Gegenteil, erwidert Raoufi: „Was die Kinder zuhause machen, sollte einfacher zu kontrollieren sein.“ Selbst wenn, wie im Fall der 16-Jährigen, die allein erziehende Mutter nicht einmal einen eigenen Computer hat.

Kann man sich mit Nichtwissen aus der Verantwortung stehlen?

„Es ist schwer zu wissen, was Teenager treiben“, kommentiert die schwedische Publizistin Hanne Kjöller den Fall. „Aber es ist wichtig, dass das Gericht zeigt, dass man sich nicht mit Nichtwissen aus der Verantwortung stehlen kann.“ Da allerdings weder die beiden Mädchen noch ihre Eltern imstande sind, den Schadenersatz zu zahlen, bleibt die Diskussion theoretisch. Und da Verleumdung kein Tatbestand ist, bei dem Opfer notfalls vom Staat entschädigt werden, werden die 38 Verleumdeten ihre 15 000 Kronen kaum je erhalten.

Ungesühnt bleiben auch die Krawalle, die die Instagram-Veröffentlichungen ausgelöst haben. Denn trotz Steinhagels auf die Polizei und zertrümmerten Autos und Fensterscheiben wurde gegen keinen der Randalierer Anklage erhoben.