Der Bundesgerichtshof hat ein wichtiges Urteil zum Sonderkündigungsrecht von Stromkunden gefällt. Bei der Verhandlung hat ein Anwalt aus dem Nähkästchen geplaudert.

Karlsruhe - Viele Kunden haben die leidige Erfahrung schon gemacht: Zum Jahreswechsel steigt ihre Stromrechnung, ohne, dass sie sich dagegen mit einem Anbieterwechsel wehren können. Warum? Weil etliche Stromversorger in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) immer dann ein Sonderkündigungsrecht ausschließen, wenn staatliche Kosten wie Steuern, Umlagen oder Abgaben steigen oder neu eingeführt werden. Und fast jedes Jahr verändern sich diese Kosten – zuvörderst die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien (EEG-Umlage).

 

Dem hat nun der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben: Auch im Falle der Weitergabe von neuen oder höheren „hoheitlichen Belastungen“ gilt das fristlose Kündigungsrecht, das das Energiewirtschaftsgesetz im Paragrafen 41 für Vertragsänderungen vorsieht. Genau das sei nämlich eine Preiserhöhung, so der Achte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes: eine Vertragsänderung.

Die Klausel steht nach wie vor in den Geschäftsbedingungen von Stromio

Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen den Kaarster Stromanbieter Stromio (BGH VIII ZR 163/16, Oberlandesgericht Düsseldorf I-20 U 11/16 und Landgericht Düsseldorf 14d O 4/15). Stromio hat in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel, wonach Stromio berechtigt ist, „hoheitlich veranlasste Belastungen“ dem Kunden weiterzureichen. Ein Kündigungsrecht ist nicht vorgesehen. Die Klausel steht nach wie vor in den AGB von Stromio. Für eine Stellungnahme war bei dem Unternehmen am Mittwoch niemand zu erreichen.

Schon das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf hatten der Verbraucherzentrale recht gegeben. Der BGH hat nun die Revision des Verfahrens abgewiesen. Nach Einschätzung der Verbraucherschützer sind Klauseln, die dem Versorger das Recht einräumen, höhere oder neue staatliche Kosten an den Verbraucher durchzureichen, lange weit verbreitet gewesen. Seit dem Urteil des Oberlandesgerichtes gegen Stromio im Sommer 2016 hätten allerdings viele Anbieter ihre Klauseln so umformuliert, dass nicht mehr von einer Berechtigung zur Weitergaben die Rede sei, sondern von einer automatischen Weitergabe ohne Vorankündigung zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens, so Julian Sturm, Jurist bei der Verbraucherzentrale NRW. Ob eine so formulierte Klausel von dem BGH-Urteil auch betroffen sei, müsse man der schriftlichen Urteilsbegründung entnehmen, die das Gericht in den kommenden Wochen veröffentlichen wird. Wer einen älteren Vertrag mit der beanstandeten Klausel habe, der könne Preiserhöhungen der letzten drei Jahre (ab Rechnungszugang) widersprechen, sofern sie auf staatliche Preisbestandteile zurückgehen. Musterbriefe dazu bietet die Verbraucherzentrale NRW auf ihrer Homepage an.

Der Anwalt plaudert aus dem Nähkästchen

In der Verhandlung argumentierte der Anwalt von Stromio unter anderem „mit der Interessenlage“ der Versorger, auch „wenn dies nicht sehr juristisch ist“. Stromanbieter agierten auf einem wettbewerbsintensiven Markt und müssten mit sehr geringen Margen leben. Entsprechend könne ein Anbieter Mehrkosten „nicht einfach so absorbieren“, er riskiere sonst erhebliche Verluste. Hinzu komme, dass Neukunden häufig mit Boni im ersten Jahr gelockt würden, was zunächst zu Verlusten für den Anbieter führe, die er in der Folgezeit wieder heranschaffen müsse. Räume man bei Erhöhungen von Abgaben ein Sonderkündigungsrecht ein, führe das zu einer neuen Sollbruchstelle.

Wenn der Kunde zu einem neuen Anbieter wechsle, der höhere Umlagen erst später weitergebe, treffe ihn die Erhöhung genauso, argumentierte der Anwalt. Dem erwiderte die Kammer: „Dann kann er ja wieder wechseln“, und ergänzte: „Wenn die Kosten einfach weitergegeben werden, widerspricht das dem ehernen Grundsatz, bei Kostensteigerungen zu prüfen, ob es auf der anderen Seite gesunkene Kosten gibt.“

Anbieterwechsel ist ausdrücklich vom Gesetzgeber gewünscht

Der Anwalt der Verbraucherzentrale hielt dem von Stromio entgegen, eine Differenzierung in beeinflussbare und nicht beeinflussbare Kosten komme nicht in Betracht. Bei Vertragsabschluss vereinbare der Versorger ja mit dem Kunden einen Arbeitspreis, in dem ausdrücklich auch Steuern, Abgaben und Umlagen enthalten seien. Kalkuliere ein Anbieter so, dass er Verluste erleide, sei das nicht das Problem des Kunden. Zudem sei es seit der Liberalisierung des Strommarktes vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht, dass Kunden ihren Versorger wechselten.

Der Staat bestimmt mehr als die Hälfte der Stromrechnung

Bestandteile
Der Strompreis setzt sich aus drei Blöcken zusammen: erstens Steuern, Umlagen und Abgaben, zweitens Netzentgelte (die in ihrer Höhe von der Bundesnetzagentur reguliert werden) und schließlich Strombeschaffung und Vertrieb. Nur dieser Teil, argumentiert die Branche, sei vom Versorger beeinflussbar. Er macht nach Berechnungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft knapp 20 Prozent der Stromrechnung aus.

Staatsanteil
55 Prozent der Stromrechnung entfallen laut Verband auf Steuern, Abgaben und Umlagen. Der größte Posten mit knapp einem Viertel ist die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien. Insgesamt sind es acht Kostenarten. Neben der EEG-Umlage machen den Löwenanteil die Mehrwertsteuer, die Stromsteuer und die Konzessionsabgabe aus. Hinzu kommen kleinere Umlagen, z. B. für die Haftung für Windparks auf dem Meer.