Am Ufer in Kressbronn gibt es viele private Grundstücke, die den Zugang zum See versperren. Die Stadt möchte das ändern, doch die Eigentümer verteidigen ihr exklusives Stückchen Strand mit Zähnen und Klauen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kressbronn - Fast 35 Jahre ist es her, da wurden am Bodensee längst fällige rote Linien gezogen: gegen ein weiteres Zubauen des Ufers, gegen veraltete Kläranlagen, für den Schutz der Flachwasserzonen und für eine „Erweiterung des freien Zugangs“. Letzteres „soweit ökologisch vertretbar“, wie hinzugefügt wurde. Diese Ziele haben die im Regionalverband Bodensee-Oberschwaben versammelten Kommunen und Verbände zwischen Sipplingen, Ravensburg und Kressbronn damals in ihrem „Bodenseeuferplan“ formuliert. Er gilt bis heute verbindlich. Aber was sich seit 20 Jahren in der Seegemeinde Kressbronn abspielt, ist das genaue Gegenteil dieser eindeutigen politischen Willenserklärung.

 

Damals legte die Gemeinde erste Pläne zur Renaturierung des Seeufers vor. Unter anderem sollte vor privaten Grundstücken ein gut 700 Meter langer und zehn bis 30 Meter breiter Uferstreifen im Wasser aufgeschüttet werden, auf dem ein öffentlicher Weg verlaufen sollte. Doch mehrere Besitzer von Privatgrundstücken, auf deren Grund Mauern, Stege oder Slipanlagen für Boote abgebrochen werden sollten, klagten dagegen. Am 22. Mai gab ihnen jetzt in der letzten Instanz der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) recht und kassierte damit alle Amtsbeschlüsse und vorhergehenden Urteile. Das Bauvorhaben bedeute „Eingriffe in das Eigentum der Anlieger“, befand der 3. Senat. Daher hätte die Kommune, um dort bauen zu dürfen, die Besitzer der Grundstücke enteignen lassen müssen. Das aber sei nicht geschehen.

Der Regionalverband ist skeptisch

Damit bleibt in Kressbronn das Ufer auf unbestimmte Zeit weitgehend in Parzellen aufgeteilt – ein Zustand, wie er auch in vielen anderen Bodenseegemeinden herrscht. Auch wenn die Politik es noch so gerne möchte, die Privilegien Einzelner zu brechen, das Bodenseeufer für die Allgemeinheit zu öffnen, das sei in den seltensten Fällen möglich, sagt Wilfried Franke, der Direktor des Regionalverbands Bodensee–Oberschwaben. „Wenn Sie einen Eigentümer haben, der mitzieht, dann gelingt es.“

So wie im nahen Friedrichshafen, wo Anfang des Jahrtausends und damit fast parallel zum Fall Kressbronn die Planungen für einen öffentlichen Uferweg vor einem Werk des Schiffs- und Panzermotorenbauers MTU begannen. Zwar stellte sich der Konzern unter seiner damaligen Leitung quer: Sicherheitsbedenken. Versuche einer gütlichen Einigung zwischen der Stadt, dem Landratsamt und dem Unternehmen scheiterten. Im August 2009 gab der Verwaltungsgerichtshof der Firma MTU recht und hob die Genehmigung des Landes Baden-Württemberg für den rund 700 Meter langen Uferweg und eine Renaturierung des Ufergeländes auf. Erst vor fünf Jahren kam die gütliche Wende, als MTU unter neuer Flagge (Tognum) stand und der Oberbürgermeister Andreas Brand hieß. Vor ziemlich genau drei Jahren wurde der neue Uferweg eröffnet.

Die Österreicher machen es sich leichter

Um die Filetstücke am Bodenseeufer wird vielerorts erbittert gekämpft, notfalls bis zur letzten gerichtlichen Instanz – die Beobachtung hat auch der Verbandsdirektor Franke längst gemacht. „Der Druck ist gewaltig“, konstatiert er. Und er nehme wohl zu. Prognosen sagten einen weiteren Bevölkerungsanstieg um bis zu 70 000 Menschen in den nächsten 20 Jahren am baden-württembergischen Ufer vorher, „und unsere Gewerbeflächen gehen zur Neige“. Wer könne, wolle in Bodenseenähe wohnen, natürlich gut geschützt vom Massentourismus. Die Attraktivität der Region, ihre Naturreize verbunden mit der Wirtschaftsstärke, das sei „Fluch und Segen“.

Im benachbarten Vorarlberg bleiben solche Gefechte meist aus. Das österreichische Bodensee-Anrainerland hat das Problem der Parzellierung schon 1969 mit Hilfe des Straßenbaugesetzes gelöst. Es bestimmt, dass am Ufer ein Streifen von zehn Metern Breite frei zugänglich bleibt. Schon eine Autofahrt durch Bregenz genügt für viele freie, genießerische Blicke auf das Wasser und die Berge. In Baden-Württemberg aber werden ein ums andere Mal die Richter in Mannheim bemüht. Mal verhinderten sie den Bau von Dalben (Bootsanlegepfähle) im Flachwasser (2010), mal verfügten sie den Abriss eines unzulässig verlängerten privaten Bootsstegs im Kreis Konstanz (2012), stets, weil das „Wohl der Allgemeinheit“ verletzt worden sei.

Immer und immer wieder Prozesse

Gut wiederum, dass nicht alles, was beim Verwaltungsgerichtshof erstritten wurde, dann auch kam. So scheiterten 2006 zwei Anwohnerinnen im Friedrichshafener Teilort Fischbach mit einer Klage gegen das sogenannte Colani-Thermalbad; ein Begriff, hinter dem sich im Kern der Bau eines Wellness-Hotels am Bodenseeufer verbarg. Der Komplex sei „vereinbar mit dem Bodenseeuferplan“, befanden seinerzeit die Richter, weil das benachbarte städtische See-Freibad von Fischbach ins Konzept eingebunden sei.

Gebaut wurde nie. Der Schweizer Investor und Esoteriker Kurt Eicher ging pleite. Anstatt seines vermuteten „Wasserbordells“ (taz) entstand ein neues, der milden Uferlandschaft wunderbar angepasstes städtisches Freibad, das vor allem auf Familien ausgerichtet ist. Im vergangenen Juli wurde es friedlich eröffnet.