Cem Özdemir gewinnt zwar die Urwahl der Grünen, aber er überzeugt nicht – meint die StZ-Redakteurin Bärbel Krauß.
Berlin - Sagen wird es bei den Grünen niemand, denn Basisdemokratie gehört zu ihren Gründungsmythen: Aber mit der nunmehr zweiten Kür des Spitzenpersonals für den Bundestagswahlkampf per Urwahl hat die Partei durchaus zwiespältige Erfahrungen gemacht. Freuen können die Grünen sich darüber, dass sie auf diesem Weg tatsächlich neue Mitglieder gewonnen haben. Negativ ist, dass die Wahlbeteiligung im Vergleich zur Urwahl von 2012 von 62 auf 59 Prozent leicht gesunken ist. Dass 40 Prozent der basisbewegten Parteimitglieder die Chance zur Mitwirkung schlicht ignoriert haben, zeugt von nicht allzu viel Interesse. Die strukturelle Chance einer Direktwahl, nämlich die Gewählten durch eine möglichst hohe demokratische Legitimierung zu stärken, wurde damit vertan. Es gibt also keinen Grund, die Urwahl als allein selig machenden Weg zu wichtigen Parteientscheidungen zu preisen. Im Gegenteil: Das jüngste Beispiel ist ernüchternd.
Das Ergebnis ist ernüchternd für Özdemir
Ernüchternd ist auch das Ergebnis für Cem Özdemir. Während Katrin Göring-Eckardt ohne eine Gegenkandidatin immerhin 70 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hat, votierten für Özdemir gerade mal 35,96 Prozent. Das ist bitter für ihn. Seit acht Jahren Parteichef und republikweit bekannt wie ein bunter Hund, muss er hinnehmen, dass Robert Habeck als bundespolitischer No-Name aus dem Norden ihn bis auf 75 Stimmen eingeholt hat. Wenn es bei einer Wahl je einen hauchdünnen Vorsprung gab, dann hier bei den Grünen.
Für beide Urwahlsieger gilt zudem: Sie stehen aufgrund der mageren Wahlbeteiligung jetzt nicht basisdemokratisch gestärkt am Start für die Bundestagswahl. Das gilt vor allem für Özdemir, dem die Mitglieder schmerzhafte Blessuren zugefügt haben, aber auch für Göring-Eckardt. Das wird es dem Spitzenduo im Wahlkampf schwerer machen, die Partei programmatisch zu einen und sie auf einen klaren inhaltlichen Kurs einzuschwören.
Die Richtungsentscheidung ist dagegen klar ausgefallen
Immerhin: Ein positiver Aspekt des Urwahlergebnisses ist, dass die Richtungsentscheidung klar ausgefallen ist. Anton Hofreiter ist als einziger Bewerber mit links-ökologischem Profil als Dritter ins Ziel gekommen. Die beiden Konkurrenten, die für einen Öffnungskurs der Grünen hin zur bürgerlichen Mitte oder gar zur Mehrheitsgesellschaft stehen, bringen zusammen 70 Prozent auf die Waage. Das beweist, dass die grüne Basis sich keineswegs im linken Lager einmauern will.
Für den Bundestagswahlkampf, den die Grünen wegen fehlender Machtoptionen ohne Koalitionsaussage bestreiten müssen, ist das nicht die schlechteste Grundlage. Allerdings vermittelt die Basis ein dezidiert anderes Bild als der letzte Bundesparteitag, bei dem der linke Flügel Triumphe feierte. Nun stehen in Göring-Eckardt und Özdemir zwei ausgewiesene Realpolitiker an der Spitze des grünen Wahlkampfs. Klar ist, dass die beiden Urwahlsieger eine ziemlich große Integrationsleistung vollbringen müssen. Ohne Habeck und Hofreiter klug einzubinden, wird das kaum klappen.