Quarantäne, Homeoffice und Homeschooling: die Bewohner des Rauhen Kapfs und Tannenbergs leisten dies unter erschwerten Bedingungen. Denn die US-Army hat ihr Schießtraining ausgedehnt, bis in die späten Abendstunden hinein.

Böblingen - Eigentlich hat es Familie Graupe gut getroffen. Ein großes Haus mit Garten, der direkt in den Wald übergeht – so lassen sich auch viele Wochen Kontaktsperre gut aushalten. Die beiden Kinder Leo und Ylvi haben viel Auslauf. Die Decke fällt der Familie trotz Homeoffice und Homeschooling nicht so rasch auf den Kopf. Doch die Idylle trügt.

 

Unerträglicher Schießlärm plagt die Familie – wie auch ihre Nachbarn auf dem Rauhen Kapf. Das Haus der Graupes steht 250 Meter entfernt vom Schießstand der US-Army. Dort trainieren die Soldaten für ihre Einsätze in den Krisengebieten der Welt. Gewehrsalven, Detonationen von Granaten, Übungen mit dem Hubschrauber – der Lärmpegel ist beträchtlich. Seit vielen Jahren leiden Bürger der an die Schießanlage angrenzenden Wohngebiete unter dem Lärm – in der Corona-Krise wird er unerträglich.

Telefonkonferenzen im Homeoffice sind schwierig wegen des Schießlärms

„Man kann sich bei diesem Geräuschpegel kaum konzentrieren. Bei Telekonferenzen mit Kunden und Kollegen muss ich mich selbst bei geschlossenen Fenstern oft für den Lärm entschuldigen“, klagt Lucienne Graupe. Am schlimmsten jedoch sei es abends. „Seit einigen Wochen schießen die Amerikaner bis spätabends, teilweise bis 22.30 Uhr“, berichtet Graupes Nachbar Ulrich Durst. „Wir verstehen nicht, warum das ausgerechnet jetzt in der Corona-Krise sein muss.“ Zumal der Colonel Jason Condrey von der Panzerkaserne vor einiger Zeit eine Verlagerung des intensiven Trainings versprochen habe.

Viele Beschwerden aus dem gesamten Stadtgebiet sind auch bei der Böblinger Baubürgermeisterin Christine Kraayvanger in den vergangenen Wochen gelandet. Ende April antwortete Kraayvanger auf eine Beschwerde von Graupe: „In naher Zukunft sind jedoch keine größeren Trainingseinheiten geplant, nur die normalen Schießplatzaktivitäten.“ Einen Tag später sei es dann tatsächlich ruhig geworden, sagt Graupe. „Für genau vier Tage. Seither ballern die Amerikaner schlimmer denn je.“

„Wir haben die Beschwerden sofort an die Armee weitergegeben,“ sagt Kraayvanger. „Der Oberbürgermeister Stefan Belz hat am Montag mit Colonel Condrey, dem Kommandanten der Panzerkaserne, gesprochen.“ Noch für diese Woche sei eine Telefonkonferenz mit den Verantwortlichen des Schießstands geplant. Davon erhofft sich Kraayvanger eine Entlastung für die Anwohner. „Das für diese Woche geplante Nachtschießtraining hat die Armee bereits abgesagt.“

Laut der Baubürgermeisterin sind die momentanen Schießübungen nicht außergewöhnlich. „Sie wurden im Schießplan für Mai angekündigt. Aber die Menschen erleben sie im Moment als besonders belastend“, meint Kraayvanger. „Den ganzen Tag zuhause. Und Ausflüge, um dem Lärm zu entkommen, sind kaum möglich.“ Dies sehen die geplagten Anwohner aber deutlich anders. „Zurzeit gibt es zusätzlich zu dem normalen Training viele Übungen, bei denen Granaten zum Einsatz kommen“, klagt Ulrich Durst. Auch das regelmäßige Abendtraining sei ein Novum. „Wir verstehen nicht, warum das ausgerechnet während der Corona-Krise sein muss“, sagt Graupe.

Verzögern sich die Bauarbeiten für die Lärmdämmung wegen Corona?

Zudem befürchten die Anwohner des Schießstands, dass sich die versprochene Schalldämmung wegen des Coronavirus weiter verzögert. Im Herbst sollten die Bauarbeiten eigentlich beginnen und Anfang des kommenden Jahres abgeschlossen sein. Ob es dabei bleibt, kann auch die Baubürgermeisterin nicht sagen. „Unsere Projektgruppe konnte wegen der Kontaktsperre einige Wochen nicht tagen. Ob die Planungen noch im Zeitplan sind, wird sich bei der nächsten Sitzung herausstellen.“ Diese hat sie für spätestens Mitte Juni anberaumt.

Die Bewohner des Rauhen Kapfs wollen sich nicht weiter vertrösten lassen. Sie haben klare Forderungen: „Eine Verlagerung der Sondertrainings und bei der Army einen Verantwortlichen, der sich um die Beschwerden der Bürger kümmert und das Geschehen auf dem Schießstand überwacht.“ Nur dann, so Ulrich Durst, könne man die Aussage von Colonel Condrey ernst nehmen. Der Oberst hatte vor wenigen Wochen die „gute Nachbarschaft“ mit den Bürgern beschworen. „Wir brauchen keine Umarmungspolitik der Amerikaner. Wir wollen weniger Schießlärm“, sagt Durst.