Der Irak holt ihn ein: Barack Obama hat lange gezögert, bis er den Luftangriffen auf die IS-Terroristen zustimmte. Nun ist er nach George Bush, Bill Clinton und George W. Bush der vierte US-Präsident, der Luftschläge im Zweistromland anordnet.

Washington - Barack Obama steckt in der Zwickmühle, der er ausweichen wollte. Der Irak hat ihn eingeholt – den prominentesten Befürworter neuer amerikanischer Bescheidenheit. Das Duell ums Weiße Haus hat er 2008 auch deshalb gewonnen, weil er seinen Landsleuten versprach, die „Boys in Uniform“ nach Hause zu holen und zu beenden, was er einen „dummen Krieg“ nannte. Nun ist Obama nach George Bush, Bill Clinton und George W. Bush der vierte US-Präsident, der Luftschläge im Zweistromland anordnet. Es sieht nach einem Verzweiflungsakt aus, weniger nach einem durchdachten Konzept.

 

Noch im Juni, als die islamistischen Rebellen Mossul einnahmen und auf Bagdad marschierten, hatte sich der zurückhaltende Stratege gegen alle gestemmt, die ihm ein militärisches Eingreifen empfahlen – gegen seine UN-Botschafterin Samantha Power ebenso wie gegen republikanische Falken vom Kaliber John McCains. Solange der Schiit Nuri al-Maliki keinen Ausgleich mit den schikanierten Sunniten anstrebe, so sein zentraler Einwand, könnten amerikanische Waffen nichts ausrichten. Al-Maliki sitzt weiter im Sessel des Regierungschefs. Washingtons Konzept, ihn von der Macht zu verdrängen, ist nicht aufgegangen, eine politische Lösung nicht in Sicht. Dass Obama der Air Force dennoch grünes Licht gibt, liegt an einer qualitativ neuen Bedrohungslage.

Fiele Erbil, wäre das Desaster perfekt

Mit der Augustoffensive der Fanatiker des „Islamischen Staats“ ist nun auch Erbil gefährdet, die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion – die Metropole jener Kurden, die in den USA als die einzig verlässlichen Verbündeten in dem zersplitterten Krisenstaat gelten. Fiele Erbil, wäre das Desaster perfekt. Und im US-Kongress würde der Ruf lauter, das Ruder mit voller Kraft herumzuwerfen, eine groß angelegte Offensive gegen die islamistische Guerilla zu starten, womöglich doch Bodentruppen zu schicken. Solange Obama die Kurden nur aus der Luft unterstützt, solange sich die Peschmerga-Milizen gegen die Terroristen halten, kann er halbwegs glaubwürdig sagen, dass er nicht daran denke, sich – wie sein Vorgänger – in den Stricken eines nahöstlichen Konfliktknäuels zu verheddern.

Als Commander-in-Chief werde er nicht zulassen, dass die USA in einen weiteren Krieg im Irak gezogen werden, lautet ein Schlüsselsatz von Obamas kurzer Rede, mit der er den Luftwaffeneinsatz begründete. Für die politischen Probleme Iraks gebe es keine Lösung durch amerikanische Waffen, lautet ein anderer. Es sind Pflichtsätze. Damit beruhigt Obama seine Landsleute, die an den Turbulenzen der Welt allmählich verzweifeln. Damit gibt er zu verstehen, dass er dem Abzug im Dezember 2011 keine Kehrtwende folgen lassen will. Es ändert nichts daran, dass manche Demokraten von der gefährlichen Rutschbahn reden, auf die man sich begibt, wenn der Anfang erst gemacht ist. Was immer der Präsident in den nächsten Tagen anordnet: gerade in seiner eigenen Partei wird jeder seiner Schritte von Unbehagen bis Argwohn begleitet werden.

Humanitäre Hilfe für die fliehenden Jesiden

Unumstritten ist dagegen die humanitäre Hilfe, mit der das Weiße Haus die fliehenden Jesiden vor dem Schlimmsten zu bewahren versucht, indem es Trinkwasserkanister und Fertigmahlzeiten schickt. Kürzlich habe ein Iraker gerufen, dass keiner zu Hilfe komme, zitiert Obama und gibt mit belegter Stimme die Antwort: „Nun, heute kommt Amerika zu Hilfe“. Es ist eine ungewohnt emotionale Szene für den nüchternen Analytiker. Doch entspringt auch sie kühlem Kalkül. In Momenten wie diesen ist Amerika beseelt von den eigenen Idealen, hemdsärmelig tatkräftig, wo die Europäer zaudern. Mit humanitären Argumenten lässt sich eine Kurskorrektur am ehesten begründen, zumal vor skeptischem Publikum.

Ob sie Obamas inneren Überzeugungen entsprechen, weiß keiner so genau. Im Wahlkampf 2008 hatte er jedenfalls anders geklungen. Wenn menschliche Not ein Kriterium für militärische Entscheidungen sei, erklärte er damals, stünden jetzt 300 000 US-Soldaten im Kongo, wo unzählige Menschen in ethnischen Konflikten getötet wurden.