Jeder Tag bringt eine neue Affäre, aber die Behinderung der Justiz könnte für US-Präsident Trump nun richtig gefährlich werden. Bei den Demokraten werden die Rufe nach einem Amtsenthebungsverfahren lauter.

Washington - Donald Trump strahlte bis über beide Ohren. Am Dienstagmittag stand der Präsident der größten Demokratie der Welt im fensterlosen Roosevelt Room des Weißen Hauses neben dem autokratischen Herrscher der Türkei und genoss die Schmeicheleien seines Gastes. „Mein lieber Freund“, hob Recep Tayyip Erdogan an, „ich möchte Ihnen noch einmal zu dem legendären Triumph bei den Wahlen gratulieren.“ Der Sieg habe „neue Hoffnungen und Erwartungen in unserer Region“ geweckt, fuhr Erdogan fort und pries die beiderseitigen Beziehungen auf der Basis gemeinsamer Werte.

 

Die Worte wirkten sichtlich wie Balsam für die Seele des US-Präsidenten, der gerade von einer Staatsaffäre in die nächste stolpert. Die Frage, von welchen „gemeinsamen Werten“ Erdogan sprach, stellte er sich offenbar nicht.

Das Damoklesschwert der Amtsenthebung schwebt über dem Weißen Haus

Doch kaum hatte der Sultan vom Bosporus seine Eloge beendet und Trump „mit seiner ganzen Familie“ in die Türkei eingeladen, wurde der US-Präsident wieder von der amerikanischen Wirklichkeit eingeholt. Ob er denn tatsächlich dem russischen Außenminister vertrauliche Geheimdienstinformationen verraten habe, rief ihm ein Reporter beim Herausgehen aus dem historischen Saal mit dem stolzen Reiterporträt von Theodore Roosevelt, dem 26. Präsidenten der USA, zu. „Nun, wir hatten ein sehr, sehr erfolgreiches Treffen mit dem Außenminister Russlands“, antwortete Trump und stammelte etwas vom gemeinsamen Kampf gegen den Terror, der auch „eine wunderbare Sache“ in der unverrückbaren Partnerschaft mit der Türkei sei. „Wir werden großen Erfolg in den nächsten Jahren haben“, prophezeite Trump.

Danach sieht es allerdings gerade gar nicht aus. Wenige Stunden nach dem Treffen der beiden Staatschefs explodierte in Washington die bislang größte Nachrichtenbombe der chaotischen Amtszeit des Immobilienmoguls und Ex-Reality-TV-Stars. Die „New York Times“ berichtete, Trump habe bei einem Gespräch unter vier Augen im Februar den damaligen FBI-Chef James Comey aufgefordert, die Ermittlungen gegen seinen Ex-Sicherheitsberater Michael Flynn einzustellen. „Ich hoffe, Sie können das lassen. Er ist ein guter Kerl“, soll Trump gesagt haben. Andere Zeitungen und Fernsehstationen fanden Informanten, die diese Darstellung trotz eines eilig herausgegebenen Dementis der Regierung bestätigen. Seither schwebt das Damoklesschwert der Amtsenthebung über dem Weißen Haus.

Die jüngste Enthüllung hat eine gewaltige Sprengkraft

Die jüngste Enthüllung hat aus mehreren Gründen eine gewaltige Sprengkraft. Kann das Gespräch belegt werden, würde es zum einen den ersten handfesten Beleg für einen Amtsmissbrauch des Präsidenten liefern. Die Behinderung der Justiz ist in den USA ein Straftatbestand. Die bisherigen Impeachment-Verfahren gegen die Präsidenten Richard Nixon (1974) und Bill Clinton (1998) fußten beide auf diesem Vorwurf. Zum anderen wirkt die Episode wie eine Klammer, die sämtliche aktuellen Affären Trumps zusammenbindet.

Von Anfang an stand dessen Präsidentschaft im Schatten merkwürdiger Russland-Verbindungen. Dass Moskau durch Hackerangriffe im US-Wahlkampf versuchte, Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton zu schaden, gilt als erwiesen. Der Ex-Sicherheitsberater Flynn musste seinen Hut nehmen, nachdem herauskam, dass er in der Übergangsphase vor der Vereidigung Trumps mit dem russischen Botschafter über eine Aufhebung der Sanktionen verhandelte. Der FBI-Chef Comey sollte die Russen-Connection untersuchen – bis er in der vorigen Woche von Trump gefeuert wurde.

Hilfe von unerwarteter Seite: Russlands Präsident Putin will Aufzeichnungen veröffentlichen

Am Montag kam dann heraus, dass Trump am Tag zuvor bei einem Treffen mit Moskaus Außenminister Sergej Lawrow Erkenntnisse über einen Anschlagsplan der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgeplaudert hat, die vom israelischen Geheimdienst stammten. In all diesen Geschichten sieht Trump ausgesprochen schlecht aus. Weshalb hielt er so lange zu Flynn, der für ein stattliches Honorar auf einer Galaveranstaltung des Fernsehsenders Russia Today neben Putin posierte? Welche seiner widersprüchlichen Erklärungen für den überstürzten Rausschmiss von Comey gilt? Hat er das Gespräch tatsächlich heimlich mitgeschnitten?

Völlig chaotisch geriet auch die Nachbearbeitung des möglichen Geheimnisverrats an die Russen: Erst dementierte der Nationale Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster Behauptungen, die in dem Enthüllungsbericht der „Washington Post“ gar nicht vorkamen, dann räumte Trump den Vorgang grundsätzlich ein. Schließlich behauptete McMaster, der Präsident habe den Russen nur „völlig angemessene“ Informationen gegeben. Er verweigerte aber eine Antwort auf die Frage nach deren Geheimhaltungsstatus. Schließlich kam Hilfe von ganz unerwarteter Seite: Russlands Präsident Putin erklärte sich am Mittwoch sogar bereit, die schriftlichen Aufzeichnungen der Gespräche zwischen Lawrow und Trump zu veröffentlichen, um zu beweisen, dass der US-Präsident keine Geheimnisse ausgeplaudert hat.

Anonyme Mitarbeiter berichten, dass er die Details in den Akten nicht lese oder verstehe

Eines steht fest: Das Weiße Haus befindet sich seit Wochen im Dauerkrisenmodus. Und nun auch noch die mögliche Behinderung einer Ermittlung. Die Geschichte in der „New York Times“ basiert auf einem Gesprächsmemo, das Comey unmittelbar nach dem Treffen mit Trump im Februar angefertigt haben soll. Solche Protokolle hat der FBI-Chef regelmäßig verfasst. Sie haben vor Gericht eine relativ hohe Glaubwürdigkeit. Allerdings liegt der Zeitung das Papier nicht vor, sondern es wurde ihr von einem Vertrauten Comeys vorgelesen. Demnach drang Trump nicht nur auf eine Einstellung der Untersuchung gegen Flynn. Er beklagte sich auch erneut über die undichten Stellen im Weißen Haus. Dem Bericht zufolge regte er an, der FBI-Chef solle Journalisten, die geheime Informationen veröffentlichen, verhaften und ins Gefängnis werfen. So ähnlich wird es in der Türkei bereits praktiziert. Noch aber funktioniert in den USA die Gewaltenteilung. Als am Dienstag fanatische Erdogan-Anhänger und mutmaßliche Bodyguards im Anzug urplötzlich friedliche kurdische Demonstranten vor der türkischen Botschaft in Washington attackierten, ging die Polizei dazwischen und drängte nach einiger Zeit die Angreifer zurück.

Die amerikanischen Zeitungen drucken täglich neue Enthüllungen, die ihnen offenbar von frustrierten Regierungsmitarbeitern zugespielt werden. Das Bild, das in den Berichten aus dem Inneren des Weißen Hauses gezeichnet wird, ist erschreckend. Die Stimmung des Präsidenten sei düster und bitter, heißt es dort. Er beschimpfe inzwischen selbst seine engsten Mitarbeiter als inkompetent. Auch über den Sicherheitsberater McMaster äußerte er sich abfällig, weil der ihn offenbar gelegentlich zu bremsen versucht. Besonders böse ist die Aussage dreier anonymer Regierungsmitarbeiter in der „New York Times“, der Präsident könne gar keine wichtigen Geheimnisse verraten, da er die Details in den Akten entweder nicht lese oder nicht verstehe.

Es ist zu früh für eine Amtsenthebung – erst müssen die Fakten gesammelt werden

„Offensichtlich befinden sie sich in einer Abwärtsspirale“, hat der einflussreiche republikanische Kongressabgeordnete Bob Corker gesagt, und Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, forderte „ein bisschen weniger Drama“ aus dem Weißen Haus. Derweil werden bei den Demokraten die Rufe nach einem Amtsenthebungsverfahren lauter. Doch Fraktionschefin Nancy Pelosi will zunächst einen unabhängigen Ermittler für die Trump-Russland-Verbindung durchsetzen. Dafür brauchen die Demokraten die Unterstützung der Republikaner. „Ich denke, es ist zu früh, über eine Amtsenthebung zu reden“, sagt daher der Fraktionsgeschäftsführer Steny Hoyer: „Wir müssen erst die Fakten zusammenbekommen.“

Das aber scheint inzwischen nur noch eine Frage der Zeit zu sein.