Der 81-jährige Joe Biden beweist bei der Abschlusskonferenz des Nato-Treffens hauptsächlich eines: Dass er selbst nicht sehen kann, was die große Mehrheit der Amerikaner sieht: dass er zu alt ist für eine weitere Amtszeit als US-Präsident.
Joe Biden klopft sich zum Ende des Nato-Gipfels selbst auf die Schulter. „Ich denke, das war die erfolgreichste Konferenz, an der ich seit Langem teilgenommen habe“, erklärte der US-Präsident während der traditionellen Pressekonferenz zum Abschluss des Treffens am Gründungsort des Bündnisses vor 75 Jahren. „Finden sie mir einen Weltführer, der das nicht so sieht.“
Die Staats- und Regierungschefs, die aus den 32 Mitgliedsstaaten nach Washington gekommen waren, atmeten am Ende durch, dass der 81-jährige Führer der freien Welt einigermaßen unfallfrei durch das dreitägige Treffen gekommen war. Ein ungutes Gefühl blieb trotzdem. Denn normal war es nicht, dass hochrangige Nato-Partner in Interviews Fragen nach ihrem Eindruck von der mentalen Fitness Bidens beantworten mussten.
„Ladies und Gentleman, President Putin!“
Der Präsident sei „in wirklich guter Form“ gewesen, versicherte etwa der neue britische Premierminister Keir Starmer. Bundeskanzler Olaf Scholz meinte gegenüber PBS, „es wäre ein großer Fehler, den Präsidenten zu unterschätzen“. Und sagte dann etwas, was nicht einmal Biden selbst behauptet. Dass er ihn während der Debatte gegen Donald Trump Ende Juni „klar und fokussiert“ erlebt habe.
So zu tun, als ob, fiel schwer, als Biden am letzten Tag des Nato-Gipfels den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei der Einführung mit dem Kriegsherrn im Kreml verwechselte: „Ladies und Gentleman, President Putin!“ Da wussten die Teilnehmer nicht, ob sie wirklich klatschen sollten. Immerhin realisierte Biden den Versprecher und versuchte, die Situation zu retten. „Präsident Putin? Er wird Präsident Putin schlagen.“
Das war kein guter Vorlauf für die mit Spannung erwartete erste und einzige Pressekonferenz des Präsidenten in diesem Jahr. Und prompt patzte Biden ein zweites Mal, als ihn ein Reporter gleich zu Anfang nach der Qualifikation seiner Vizepräsidentin Kamala Harris befragte. „Ich hätte Vizepräsident Trump nicht als Vizepräsidenten gewählt, wenn ich nicht gedacht hätte, sie sei qualifiziert, Präsident zu sein.“ Die Reporter im Walter E. Washington Convention Center hielten die Luft an, während Biden die Verwechslung der schwarzen Frau mit dem weißen Rassisten nicht einmal bemerkte.
Dünne Stimme, wächserner Gesichtsausdruck
Streckenweise konnte der Präsident zeigen, dass er komplexe Zusammenhänge der internationalen Politik immer noch gut versteht. Was irritierte, war der stockende Vortrag, das Mäandern seiner Antworten, das wiederholt mit dem Signalwort „anyway“ markierte Verlieren von Gedankenfäden, das Ausdünnen der Stimme und der wächserne Gesichtsausdruck.
Dass der Führer der freien Welt vor der Nato-blauen Kulisse mit acht Sternenbannern dann seine Schlafengehzeiten diskutieren musste und die Welt wissen ließ, wie verärgert First Lady Jill über seine vielen Termine sei, erweckte fast Mitleid. Doch der Mann, der sechs Jahre älter ist als die Nato, glaubt trotz Zustimmungswerten von im Schnitt nur noch 37 Prozent, dass er „die am besten qualifizierte Person für den Job ist“.
Er denke nicht daran, aus dem Rennen um das Weiße Haus auszusteigen, bekräftigte er stur. Es sei denn, seine Wahlkampfmanager sagten ihm, es gebe keinen Weg zu gewinnen. „Niemand sagt das. Keine Umfrage zeigt das.“ Tatsächlich zitierte der Fernsehsender NBC einen „anonymen“ Mitarbeiter des Wahlkampfteams mit den Worten: „Er muss ausscheiden. Er kann sich nicht mehr erholen.“
71 Prozent der Demokraten sind für einen Verzicht
Seit dem Debatten-Desaster ist Biden in den nationalen Umfragen deutlich hinter Trump zurückgefallen. Ebenso in allen Swing States, die am Ende über die Mehrheit im Wahlleute-Kollegium entscheiden. In einer neuen Umfrage der Washington Post meinen 85 Prozent der Amerikaner, Biden sei zu alt für eine zweite Amtszeit. Und die Meinungsforscher von PEW fanden gerade erst heraus, dass 71 Prozent der Demokraten sich einen Verzicht wünschen.
Während Biden-Loyalisten wie der ehemalige Stabschef im Weißen Haus, Ron Klain, die einstündige Pressekonferenz als „starke Leistung“ werteten, setzte sich das Aufweichen der Dämme fort. Der New Yorker Abgeordnete Ritchie Torres machte bei Biden und seinen Beratern „ein Muster aus Verleugnung und Selbsttäuschung“ aus.
Das Spiel möchten immer weniger Parteifreunde mitmachen. Er hoffe, dass Biden „die Interessen der Nation vor die eigenen stellt“, erklärte der ranghöchste Demokrat im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses, Jim Himes, der im Anschluss an den denkwürdigen Nato-Gipfel als nächster Parteipromi den Rückzug Bidens forderte. „Wir müssen den stärksten Kandidaten aufstellen, der die Gefahr des MAGA-Autoritarismus stoppen kann“, betonte Himes.