Er war monatelang in Nordkorea gefangen, dann wurde der amerikanische Student Otto Warmbier vor wenigen Tagen überraschend freigelassen. Der junge Mann hat schwere neurologische Verletzungen erlitten. Nun ist er in seiner Heimat in Cincinnati gestorben.

Washington - Am Ende kehrte er Nachhause zurück. Aber seine Heimat hat Otto Warmbier nicht mehr gesehen. Knapp eine Woche nach seiner Freilassung aus einem Arbeitslager in Nordkorea ist der 22-jährige Student am Montag in Cincinnati gestorben. Zuvor hatte er in einem Wachkoma gelegen. „Die furchtbar qualvollen Misshandlungen, die unser Sohn in den Händen der Nordkoreaner erfahren hat, machten das traurige Ende unausweichlich“, erklärten die Eltern am gestrigen Nachmittag amerikanischer Zeit.

 

Damit endet auf tragische Weise eine Geschichte, die an finsterste Zeiten des kalten Krieges erinnert, den menschenverachtenden Zynismus des kommunistischen Regimes von Pjöngjang vorführt – und in den USA für innenpolitische Schuldzuweisungen sorgen dürfte. Warmbier war Ende Dezember 2015 mit einer zehnköpfigen Reisegruppe von Peking nach Nordkorea gereist und wollte dort eigentlich nur ein paar Tage über den Jahreswechsel verbringen. Kurz vor der geplanten Ausreise wurde er am 2. Januar am Flughafen Pjöngjang wegen „feindlicher Aktivitäten“ festgenommen. Er soll in einem Hotel der Hauptstadt ein Propagandabanner gestohlen haben.

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Gebrauchtwagen für einen Diebstahl

An diesem Tag begann für den jungen Mann, der in den USA Wirtschaftswissenschaften studierte und von Bekannten als freundlich, neugierig und vielversprechend beschrieben wird, ein furchtbarer Albtraum. Im März 2016 wurde er zu 15 Jahren Straflager verurteilt. Zuvor hatte er bei einer mutmaßlich erzwungen Pressekonferenz erklärt, er habe das Plakat gestohlen, weil ihm ein Bekannter aus seiner Kirche für die Trophäe einen Gebrauchtwagen geboten habe. Eine Fotografie von Warmbier während des Prozesses zeigt den Studenten in einem beigefarbenen Sakko mit gesenktem Kopf zwischen zwei eisern blickenden Sicherheitsbeamten in khakifarbenen Uniformen. Es vergingen 15 endlose Monate, in denen seine Eltern nichts mehr von ihm hörten – bis ihnen vor zwei Wochen telefonisch mitgeteilt wurde, dass Otto im Koma liege.

Am Dienstag der vergangenen Woche wurde der junge Mann aus medizinischen Gründen überraschend in die USA entlassen. Er konnte zwar selbstständig atmen und unkontrolliert blinzeln, reagierte aber weder auf Aufforderungen noch auf Sprache. „Am besten lässt sich sein Zustand als reaktionslose Wachheit beschreiben“, sagte der behandelnde Intensivmediziner Daniel Kanter. Er stellte „erhebliche Verluste an Gewebe in allen Teilen des Gehirns“ fest. Wie es dazu gekommen ist, wird möglicherweise nie aufgeklärt werden. Die nordkoreanischen Offiziellen behaupten, Warmbier sei bereits kurz nach seiner Verurteilung an einer seltenen Lebensmittelvergiftung erkrankt, nach der Einnahme von Schlaftabletten kollabiert und nicht wieder aufgewacht. Die amerikanischen Ärzte halten diese Schilderung nicht für glaubwürdig, da sie bislang keinerlei Hinweise auf eine Vergiftung gefunden haben.

Eltern glauben an Misshandlung des Sohnes

Die Eltern des Studenten sind überzeugt, dass er während seiner Gefangenschaft „brutal behandelt und terrorisiert“ wurde. Allerdings fanden sich an seinem Körper keine äußerlichen Spuren einer Misshandlung. Die amerikanischen Ärzte führen die Hirnschäden auf einen Herzstillstand und die dadurch bedingte Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff zurück. Ob der Herzstillstand durch äußere Einflüsse ausgelöst wurde, ist offen. „Wir haben sehr wenige Antworten“, hatte Warmbiers Vater Fred schon vor einer Woche gesagt. Daran hat sich seither nicht viel geändert. Klar ist nur, dass Warmbier offenbar in den Konflikt zwischen den USA und dem kommunistischen Regime geriet. Die US-Regierung bemühte sich lange vergeblich um seine Ausreise. Der Durchbruch gelang offenbar nach intensiven diplomatischen Bemühungen von US-Außenminister Rex Tillerson.

US-Präsident Donald Trump widerstand am Montag noch der Versuchung, die späte Freilassung kurz vor dem Tod parteipolitisch auszuschlachten. „Eine Reihe schlimmer Dinge sind vorgefallen. Aber zumindest haben wir ihn nachhause zu seinen Eltern gebracht“, sagte er. Vater Fred hatte vor einer Woche schon deutlichere Worte gefunden. Er dankte Trump ausdrücklich für seinen Einsatz und kritisierte die Vorgängerregierung von Barack Obama. Diese habe seine Familie zur Zurückhaltung aufgerufen, um das Leben des Sohnes nicht zu gefährden. Die Resultate sprächen für sich, monierte er. In der aufgeheizten Stimmung Amerikas wird es wahrscheinlich nicht lange dauern, bis Politiker versuchen, das Schicksal des Studenten politisch auszuschlachten.

Mit weiteren Sanktionen wird gerechnet

Den Demokraten dürfte dann vorgeworfen werden, zu rücksichtsvoll mit dem Regime in Pjöngjang umgegangen zu sein. Allerdings hatte auch Trump noch vor sechs Wochen den Machthaber Kim Jong-un als „kluges Kerlchen“ bezeichnet und erklärt, es wäre für ihn eine Ehre, sich zum gegebenen Zeitpunkt mit dem Regenten zu treffen. Nach dem Tod Warmbiers sagte er nun, Kims Regierung sei „ein brutale Regime“. Amerika sei in der Lage, damit umzugehen. Mit weiteren Sanktionen wird gerechnet. Die Eltern hingegen nahmen auf eine sehr persönliche, anrührende Art Abschied von dem Studenten, der sein Leben offenbar wegen einer großen Dummheit verlor. In einer schriftlichen Stellungnahme berichteten sie, bei seiner Ankunft vor einer Woche habe Otto in seinem Wachkoma „sehr unglücklich und fast qualvoll“ ausgesehen. „Obwohl wir seine Stimme nie mehr hörten, änderte sich innerhalb eines Tages sein Gesichtsausdruck – er wirkte friedlich. Er war zuhause und wir glauben, er konnte das fühlen“, schreiben die Eltern. Das wäre zumindest ein kleiner Trost in einer entsetzlichen Geschichte, die selbst abgebrühte Zeitgenossen erschaudern lässt.