Was bedeutet es für Deutschland, wenn Kamala Harris US-Präsidentin wird? Der Transatlantik-Koordinator im Auswärtigen Amt, Michael Link, analysiert die Lage vor der Democratic National Convention in Chicago.
Es ist der Beruf von Michael Link, dass es möglichst gute deutsch-amerikanische Beziehungen gibt. Der FDP-Politiker ist Koordinator für die transatlantischen Beziehungen im Auswärtigen Amt. Er fordert, Europa müsse gegenüber einer künftiger US-Regierung mit größerer Einigkeit auftreten.
Herr Link, seit dem Rückzug von Joe Biden als Kandidat der Demokraten ist Euphorie um Kamala Harris entstanden. Glauben Sie, diese Entwicklung kann bis zur Wahl anhalten?
Die Demokraten haben den Kandidatenwechsel handwerklich sehr gut hinbekommen. Wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Flügel der Demokraten sind, ist es bemerkenswert, wie das alles ohne Streit funktioniert hat. Damit ist der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten wieder völlig offen. Es wird eine spannende und sehr lange heiße Wahlkampfphase ums Präsidentenamt und um beide Kammern im Kongress.
Am Montag beginnt die National Convention der Demokraten. Auch Sie sind, wie schon bei den Republikanern, als Beobachter vor Ort. Wird die Convention in Chicago eine reine Krönungsmesse für Harris – oder ist sonst noch etwas von der Veranstaltung zu erwarten?
Man darf sich so eine Convention in den USA nicht wie einen Parteitag in Deutschland mit langen inhaltlichen Debatten, Antragsarbeit und Zählkommission vorstellen. Es geht – ob bei Demokraten oder Republikanern – um eine fernsehtaugliche, optimale Präsentation des Spitzenteams. Das ist entscheidend, um in einem so großen Land mit vielen Zeitzonen die Wähler optimal zu erreichen.
Harris hat sich für Tim Walz als Vize-Kandidat entschieden. Ist er eine gute Wahl – und wird das Einfluss auf das Ergebnis haben?
Der Vize soll die Präsidentschaftskandidatin ergänzen. Da ist Tim Walz für Kamala Harris die optimale Wahl. Sie war Staatsanwältin, er Lehrer. Sie wird von vielen Wählern im „Heartland“ und im Süden der USA als Teil einer Westküstenelite wahrgenommen, er dagegen ist ein echtes Gewächs des Mittleren Westens. Walz steht mit seinem gesamten biografischen Hintergrund für etwas anderes als Harris. Er komplettiert sie und die Chemie zwischen beiden stimmt erkennbar gut. Bei einer so knappen Wahl wie dieser, könnte Walz als Vize in den „Swing States“ die entscheidenden Stimmen bringen. Das Rennen ist momentan so eng, dass es jetzt auf jedes Interview, jede Geste, jeden Auftritt ankommt.
Harris‘ Kampagne hat sofort ein Momentum entwickelt. Wo sehen Sie die größten Risiken für ihren Wahlkampf?
Deutschland und die EU wollen und müssen mit jedem US-Präsidenten gut zusammenarbeiten – völlig unabhängig davon, wer es wird. Die USA bleiben politisch, militärisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich unser engster Verbündeter. Aus einer Beobachterperspektive sage ich: Harris hat bei den Demokraten neuen Enthusiasmus entfacht. Sie ist in diesen Wochen sehr gut darin, Menschen zur Wahl zu motivieren und für sich zu gewinnen. Um das in echte Wählerstimmen umzumünzen, muss sie ihre Kampagne jetzt weiter inhaltlich unterfüttern. Viele Amerikaner wollen von Harris wissen, wie zusätzliche Jobs geschaffen werden sollen, wie es bei der sozialen Sicherheit weitergeht, wie sie die illegale Migration in den Griff bekommen will. Bei den Themen Wirtschaft und Sicherheit muss sie jetzt punkten.
Als es das Attentat auf Donald Trump gab, dachten viele, jetzt sei die Wahl für die Demokraten auf jeden Fall verloren. Dann kam der Wechsel von Biden zu Harris. Wird das Attentat im Wahlkampf noch eine große Rolle spielen?
Neben dem Kampf um die sehr vielen unentschlossenen Wähler, geht es natürlich darum, das eigene Lager optimal zu mobilisieren. Die Hardcore-Anhänger von Donald Trump sind durch das Attentat in ihrem Glauben an Verschwörungstheorien bestärkt worden und werden diese nun umso aggressiver verbreiten. Das Attentat spielt also weiter eine Rolle.
Würden Trump und seine Anhänger einen Wahlsieg von Harris überhaupt anerkennen?
Spekulationen verbieten sich, aber nach den Erfahrungen mit Trump nach der verlorenen Wahl 2020 muss man mit allem rechnen. Er zeigt jedenfalls keinerlei Mäßigung, im Gegenteil. Die Mehrheit der US-Bürger sehnt sich nach weniger Polarisierung, nicht nach noch mehr Spaltung und Hass. Am 6. Januar 2021 haben wir beim Sturm aufs Kapitol erlebt, was passieren kann, wenn der Verlierer seine Niederlage nicht anerkennt. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir Gesprächskanäle in die Republikanische Partei verstärkt aufbauen und pflegen.
Können Sie das genauer erklären?
Gewinnt Trump, so brauchen wir diese funktionierenden Zugänge. Verliert Trump, so brauchen wir sie ebenfalls, um zum Beispiel in Kontakten mit dem Senat, wo eine republikanische Mehrheit sehr wahrscheinlich ist, zu verdeutlichen, dass demokratische Spielregeln eingehalten werden müssen. Beim Thema Transatlantische Beziehungen ist Gemeinsamkeit der Demokraten gefragt, deshalb arbeite ich als Transatlantischer Koordinator nicht nur eng mit den Koalitionsfraktionen, sondern auch mit CDU und CSU zusammen.
Die gesellschaftliche Spaltung und die Polarisierung im Wahlkampf in den USA sind enorm. Ist das nur der Vorbote von etwas, was wir jetzt auch bei uns zunehmend erleben werden?
Die radikalen Ideologen in der „Make America Great Again“-Bewegung, die für Trump trommeln, sind international bestens vernetzt. Je erfolgreicher diese MAGA-Bewegung in den USA dabei ist, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, desto stärker wird ihr Beispiel international Schule machen. Darin liegen auch Gefahren für Deutschland. Die AfD studiert das mit Sicherheit genau. Vermutlich auch die Bewegung Wagenknecht.
In Deutschland blicken viele sorgenvoll auf einen möglichen Wahlsieg Donald Trumps – und auf die Frage, ob sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen dann grundlegend ändern. Bliebe mit Harris alles beim Alten?
Von Kamala Harris erwarte ich mir auf der anstehenden Convention klare außenpolitische Aussagen. Joe Biden ist ein großer Transatlantiker, aber auch mit ihm gab es Differenzen, etwa bei der Handelspolitik. Als Liberaler, Deutscher und Europäer weiß ich, wie wichtig für uns funktionierende Handelsabkommen sind. Dieses Thema müssen wir dringend auf die Tagesordnung setzen. Eine gute Freundschaft bedeutet nicht die Abwesenheit von Differenzen. Aber gerade unter Freunden müssen wir diese selbstbewusst ansprechen. Das gilt bei Joe Biden genauso wie bei Kamala Harris und erst recht im Falle von Trump 2.0.
Trump könnte das Engagement der Amerikaner für die Sicherheit Europas stark zurückfahren. Ist Deutschland darauf eingestellt?
Teil der Lösung ist, dass wir den europäischen Pfeiler der Nato stärken. Das bedeutet: Die Mitglieder müssen ihre Verpflichtungen erfüllen und im Bündnis gemeinsam darauf pochen, dass die USA es mit Blick auf die gegenseitige Beistandsverpflichtung ebenfalls tun. Die USA schaut zurecht auf die Herausforderung durch China. Auch wir müssen das verstärkt tun. Aber auch China ist global aktiv, nicht zuletzt als Unterstützer Russlands. Es ist deshalb im ureigensten Interesse der USA, auch hier in Europa engagiert zu bleiben.
Was tut Deutschland, um sich auf eine mögliche Präsidentschaft Trumps vorzubereiten? Gibt es belastbare Kontakte in das Umfeld von Harris aber auch in das von Trump?
Ja, diese Kontakte gibt, selbstverständlich auch ins Umfeld von Trump. Seine Sprunghaftigkeit setzt allerdings oft Grenzen. Methodisch bereitet man sich auf ihn am besten dadurch vor, dass wir Europäer selbst stärker werden, wirtschaftlich als EU und militärisch als europäischer Pfeiler der NATO. Und indem wir vor allem einiger auftreten!
Abgeordneter und Wahlbeobachter
Bundestag
Das Amt als Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt hat Michael Georg Link seit März 2022 inne. Der 61-Jährige ist zugleich stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, zuständig für Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Mission
Link ist in Heilbronn geboren und hat dort auch seinen Wahlkreis. Bei der letzten US-Präsidentschaftswahl hat er eine Wahlbeobachtermission geleitet.