Wenn es um die Vorzüge von Mitt Romney geht, sprechen viele Menschen vor allem über die von Barack Obama enttäuschten Hoffnungen. Dem Herausforder geht es weniger um Prinzipien als allein um Resultate.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Denver - Von seinem Podium aus hat Mitt Romney die Symbole von Amerikas Stärke, die er so gerne beschwört, direkt vor Augen. Wenn er geradeaus blickt, reckt sich ihm die spitze Nase eines Atombombers vom Typ B-1 entgegen. Links von ihm hat ein Jagdflugzeug vom Typ Phantom die beiden gläsernen Pilotenkanzeln geöffnet – als dürfe der kampfeslustige Kandidat gleich einsteigen. Das Luftfahrt- und Militärmuseum „Wings over the Rockies“ in einem Außenbezirk von Denver hat seine Exponate für rund 2000 Romney-Fans ein Stück beiseite geschoben. Bis 1994 starteten von hier noch die Besatzungen der „Lowry Air Force Base“ und trainierten den Abschuss von Cruise Missiles. Das Militär wird in den USA immer noch verklärt – auch wenn der Eifer, den Weltpolizisten zu spielen, etwas nachgelassen hat.

 

Mit kräftigem Schritt stürmt Mitt Romney auf das Podest. Er winkt kurz und zackig. Ohne Jackett, aber mit blütenweißem Hemd und Krawatte steht er da, die Ärmel dezent hochgekrempelt. Rund um die ehemalige Luftwaffenbasis leben immer noch viele Menschen mit einer engen Verbindung zum Militär. Und so streut Romney gleich einmal ein unerschütterliches Bekenntnis zur Supermacht USA ein: „Ich werde dafür sorgen, dass unser Militär jedes andere in der Welt absolut in den Schatten stellt.“ Er hebt eine Frau im Publikum heraus, die im Zweiten Weltkrieg eine Testpilotin für Bombenflugzeuge gewesen sei. „Ich danke allen Soldaten, die dafür sorgen, dass wir sicher leben können.“ Auch seine außenpolitische Grundsatzrede vor einer Militärakademie in Virginia war voller markiger Ankündigungen. Er wolle die syrischen Rebellen bewaffnen, die US-Marine massiv aufrüsten und aus Afghanistan womöglich später abziehen.

Romney lässt es menscheln

Es ist ein herber Kontrast zu dem Wahlkampfvideo, das den Familienmenschen Romney nur Minuten vor seinem Auftritt in weichen Tönen gezeichnet hat. Seine Frau Ann berichtete da von ihrem romantischen Wiedersehen nach Romneys langem Aufenthalt als mormonischer Missionar in Frankreich. „Er ist an seiner Mutter vorbeigelaufen und fiel mir in die Arme.“ Verwackelte Heimvideos verklärten das menschliche Bild des Mannes, der noch vor Kurzem die angeblichen 47 Prozent Verlierer der amerikanischen Gesellschaft kühl abgekanzelt hat. Für diese Äußerung hat er sich nach langem Zögern vor wenigen Tagen entschuldigt. Den Vorwurf, er sei zu kühl und unpersönlich, versucht er seit Neuestem systematisch zu kontern. Bei Auftritten erzählt er nun Geschichten aus seiner Zeit als mormonischer Bischof in Boston vor 30 Jahren – etwa darüber, wie er für einen krebskranken, todgeweihten 14-Jährigen das Testament verfasste.

Weich oder hart?

Die Frage nach dem wahren Mitt Romney bleibt offen. Der Republikaner hatte in seiner politischen Karriere die Erwartungen seines Publikums jedenfalls immer genau im Visier. Während der ersten Präsidentschaftsdebatte hat er mit dem Blick auf die wahlentscheidende politische Mitte viele Positionen geräumt, mit denen er bei der konservativen republikanischen Parteibasis in den Vorwahlen noch gepunktet hatte. Er sei ein politisches Chamäleon, sagen seine Kritiker. Doch für den Ex-Manager zählt der politische Erfolg. Mit seiner ideologischen Wendigkeit in der Schlussphase des Wahlkampfes hat er Barack Obama den Schneid abgekauft. Der hatte beim ersten direkten Aufeinandertreffen keine Antwort auf das Problem, eine Gummiwand attackieren zu müssen.



Er wolle doch gar nicht die Steuern für die Reichen senken, hatte Romney beteuert. Er werde die populären Elemente von Obamas Gesundheitsreform nicht rückgängig machen und auch den harten Plan seines Vizepräsidenten Paul Ryan zur Teilprivatisierung der Krankenversicherung für Rentner in der Schublade lassen. Noch nie in der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftsdebatten hat der Herausforderer eines amtierenden Präsidenten einen derart klaren Punktsieg errungen. Seit der ersten Debatte steht dieser Wahlkampf auf dem Kopf. Im Durchschnitt der Umfragen liegt Romney auf einmal vorn, und selbst in den wahlentscheidenden Schlüsselstaaten ist Obamas einst beruhigendes Polster dahingeschmolzen. Wenn am heutigen Dienstagabend die Kontrahenten zur zweiten Debatte aufeinandertreffen, ist auf einmal der noch Ende September seines Sieges sichere Obama in der Defensive. Romney hat mit seiner Entschlossenheit den Amerikanern imponiert. Ein Mann – ein Plan. Auf die Details kommt es nicht an.

Romney sprüht vor Kampfeslust

Wer den einfühlsamen Romney sucht, muss sich im Militärmuseum an diesem Abend mit dem emotionalen Werbevideo begnügen. Der Redner Romney selbst lässt sich offenbar von der martialischen Kulisse inspirieren. Mit seiner Kampfeslust hat er Millionen von Fernsehzuschauern in der ersten Präsidentschaftsdebatte imponiert. Auf riesigen, fast vom Hallenboden bis zur Decke reichenden Buchstaben steht das wichtigste Stichwort des Republikaners: Jobs. „Ich werde zwölf Millionen Jobs schaffen“, sagt er in einem atemlosen Vortrag, in dem die Zahlen nur so purzeln. Er spricht von seinem Fünfpunkteplan, der die USA aus der Krise führen soll. Öl und Gas aus den USA sollen ungebremst ausgebeutet werden. Er will gleichzeitig den globalen Freihandel fördern und China in die Schranken weisen. Arbeitnehmer sollen besser ausgebildet werden. Romney will den Haushalt ausgleichen und kleinen Unternehmen helfen. Ein kaum anstößiges, etwas disparates Programm. Kein Wort verliert Romney über Einwanderung, keines über Frauenrechte und Abtreibung oder die Homosexuellenehe. Nicht anecken, heißt die Devise: Lowry Field liegt in einem städtischen Außenbezirk, der kein guter Nährboden für einen typisch republikanischen Kulturkampf ist.



Der nahe Wahldistrikt in Aurora, einer Vorstadt von Denver, gehört zu einem der umkämpftesten in den USA. Hier will er niemand mit allzu konservativen Thesen verschrecken. Zwei Männer im Publikum, die 2008 Barack Obama gewählt haben, stehen stellvertretend für die Wechselwähler, um die es Romney geht. Bei weißen Männern hat er in den Umfragen einen zweistelligen Vorsprung. Dem Anwalt Kerry Thompson scheint es fast ein bisschen peinlich zu sein, dass er einmal sein Kreuz bei Obama gemacht hat: „Vielleicht war das weißes Schuldgefühl. Ich stamme aus den Südstaaten“. Das stärkste Argument für den Republikaner? „Er ist nicht Obama.“

Der Maschinist Paul Walton aus Westminster, einem Vorort von Denver, will Romney heute einmal anschauen, weil Obama seiner Meinung nach das Freiheitsdenken der Amerikaner nicht versteht: „Viel zu viel Staat“, so beschreibt er die Politik des amtierenden Präsidenten: „Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Staates war, General Motors zu retten.“ Beide haben in Obama einst den Außenseiter gesehen, der gründlich aufräumen würde. „Ich habe nicht das Gefühl, dass Obama viel verändert hat“, sagt Walton. Kerry Thompson sieht Obama als Mann ohne Mumm. „Er hätte die amerikanische Position in der Welt besser verteidigen sollen“, sagt er: „Obama steht für unsere Werte nicht ein. Er führt nicht aus einer Position der Stärke heraus.“ Obama glaube, die Welt durch schöne Worte verändern zu können.

Im Hintergrund demonstriert Mitt Romney mit jeder Geste seiner Hände Entschlossenheit. Er ballt die Fäuste zusammen, zeigt wegweisend mit den Fingern. Doch die Menschen im Saal, die ihm mit dem lauten Sprechchor „Mitt, Mitt, Mitt“ empfangen haben, werden im Laufe seiner Rede eher leiser als lauter. „Ich liebe Amerika“, sagt Romney. Es klingt wie ein weiteres Stichwort aus seinem Fünfpunkteplan.

Die weißen Männer hat er in der Tasche

Er muss darauf setzen, dass das Publikum hier nicht auf Leidenschaft wartet, sondern auf einen Mann, der sich seiner Sache sicher ist und der die Wirtschaft, ja die ganze Welt zu organisieren weiß. „Es ist gut, ihn gehört zu haben,“ sagt Paul Walton. „Er hat meine Erwartungen übertroffen“, meint Kerry Thompson. Sie werden ihn wählen. Geredet haben sie vor allem über die Schwäche von Barack Obama – und wenig über die Stärke seines Herausforderers.