Plötzlich liegt ihr die Partei zu Füßen. Die „Biden-Harris“-Wahlkampagne benannte sich über Nacht in „Harris for President“ um. Enthusiastische Spender, die dem 81-jährigen Joe Biden seit dem Debatten-Desaster gegen Donald Trump Ende Juni den Geldhahn abgedreht hatten, überschütteten Kamala Harris binnen 24 Stunden mit 50 Millionen Dollar. Mehr als halb so viel, wie noch in der Wahlkampfkasse des Präsidenten liegt.
Plötzlich liegt ihr die Partei zu Füßen. Die „Biden-Harris“-Wahlkampagne benannte sich über Nacht in „Harris for President“ um. Enthusiastische Spender, die dem 81-jährigen Joe Biden seit dem Debatten-Desaster gegen Donald Trump Ende Juni den Geldhahn abgedreht hatten, überschütteten Kamala Harris binnen 24 Stunden mit 50 Millionen Dollar. Mehr als halb so viel, wie noch in der Wahlkampfkasse des Präsidenten liegt.
Im Eiltempo erhielt sie die Unterstützung von den Parteilinken, den schwarzen und den hispanischen Abgeordnetengruppen der Demokraten im US-Kongress.
Bill und Hillary Clinton gehörten zu den ersten Schwergewichten der Partei, die sich hinter die Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien gestellt hatten, die die erste Frau im Weißen Haus wäre. Reihenweise erklärten potenzielle Mitbewerber aus ihrer Generation den Verzicht auf eine Kandidatur.
Die Gouverneurin aus dem Swing State Michigan, Gretchen Whitmer, winkte ebenso ab, wie ihr Kollege aus dem nicht minder umkämpften Pennsylvania, Josh Shapiro. Als Unterstützer profilierte sich auch Gavin Newsom, der als Gouverneur ihrer kalifornischen Heimat auch einmal als heißer Anwärter für die Nachfolge Bidens gehandelt wurde.
Viel Unterstützung aus den eigenen Reihen
Nur Stunden nach dem Verzicht des Präsidenten auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit am frühen Sonntagnachmittag verkündete die 59-jährige Vizepräsidentin, sie stehe bereit, die Fackel von ihrem Ziehvater zu übernehmen.
„Ich werde alles in meiner Macht tun, die Demokratische Partei und unsere Nation zu vereinen“, erklärte Harris selbstbewusst. Sie werde das Vertrauen der Menschen über die kommenden Wochen verdienen. „Wir haben 107 Tage bis zum Wahltag“, erinnerte sie an das Zeitkorsett für ihre Mammutaufgabe. „Zusammen werden wir kämpfen. Und zusammen werden wir gewinnen.“
Dabei ist keineswegs sicher, dass die rund 4 000 Parteitagsdelegierten der Empfehlung Bidens folgen, sein bisheriges „Running Mate“ beim Parteitag in Chicago Mitte August auf den Schild zu heben. Obwohl 99 Prozent der Delegierten bei den Vorwahlen der Demokraten für Biden gestimmt hatten, sind sie nun frei in ihrer Wahl.
Entsprechend zurückhaltend sind andere Parteiführer. Sie wollen nicht den Eindruck erwecken, die Nachfolge werde jetzt von nicht gewählten Parteivorderen im Hinterzimmer ausgeheckt. Analysten fiel auf, das all diejenigen, die in den vergangenen Wochen daran arbeiteten, den in den Umfragen weit abgeschlagenen Biden zur Aufgabe seiner Kandidatur zu bewegen, bisher schwiegen.
Kongress-Demokraten bisher ohne Festlegung
Die Führer der Demokraten im Kongress, Hakeem Jeffries und Chuck Schumer, haben sich bisher ebenso wenig festgelegt, wie die Grand Dame der Demokraten, Nancy Pelosi. Die Ex-Speakerin gab zu erkennen, dass sie für einen offenen Wettbewerb bei der Nachfolge um den Generationswechsel sei.
So sieht es wohl auch Barack Obama, der die patriotische Entscheidung des Präsidenten lobte, sich aber für einen offenen Parteitag in seiner politischen Heimat Chicago ausspricht. „Wir navigieren durch unbekannte Wasser in den vor uns liegenden Tagen“, erklärte der vielleicht beliebteste Politiker der Demokraten. Er habe Vertrauen in die Fähigkeit der Parteiführung, „ein Verfahren zu schaffen, aus dem ein ausgezeichneter Kandidat hervorgeht.“
Das kann, aber muss nicht Harris sein, die bei ihrem kometenhaften Aufstieg über das Amt der Chefanklägerin von Kalifornien über den US-Senat bis zur Vizepräsidentin Bidens oft mit Obama verglichen wurde. Um dann viele in der Partei zu enttäuschen. Ihre Beliebtheitswerte liegen mit 38 Prozent knapp über denen des Präsidenten und sie schneidet vielen Umfragen gegen Donald Trump nicht sehr viel besser ab.
Schlechte Umfragewerte
Der letzte offene Parteitag fand auch in Chicago statt. Das war 1968, als der damalige Präsident Lyndon B. Johnson wegen Verwerfungen über den Vietnam-Krieg auf eine erneute Kandidatur verzichtete. Bei einer Kampfabstimmung entschieden sich die Delegierten für Vizepräsident Hubert H. Humphrey als Nachfolger.
Im Herbst gewann dann der Republikaner Richard Nixon die Präsidentschaftswahlen, der von der verbreiteten Unsicherheit im Land profitierte. Die Mordanschläge auf Martin Luther King Jr. und Robert F. Kennedy hatten die Nation damals mehr erschüttert als der Attentatsversuch auf Trump. Und dennoch sehen Analysten Parallelen, die zur Unberechenbarkeit in diesem Rennen um das Weiße Haus beitragen.
Trump lästert
Wie sehr sich Trump gewünscht hätte, dass sein Gegner Biden heißt, machte seine Reaktion auf den Rückzug deutlich. „Es ist bisher nicht vorbei“, erklärte der frisch gekürte Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Biden könnte „aufwachen und vergessen“, dass er ausgeschieden ist.
Tatsächlich ist die Entscheidung final, die der Präsident nach intensiven Beratungen am Samstag mit der Familie und seinen Vertrauten getroffen hat. Er teilte sie am Sonntag den Spitzen im Weißen Haus, der Partei und seinem Wahlkampfteam mit. Und natürlich seiner Stellvertreterin Harris, zu deren Kür er aufrief.
„Damit hat er den Demokraten einen dringend benötigten Energieschub verpasst“, meint der Wahlanalyst David Wassermann vom unabhängigen „Cook Political Report“. Falls sich die Partei hinter Harris stelle, „bietet sie einen Generationen-Kontrast zu Trump an“. Mit 78 Jahren finde sich dieser dann in der bisherigen Rolle Bidens wieder. Zudem könne sie „nicht weiße Demokraten motivieren, die sich zunehmend abgewandt hatten“.
Wie kommt sie in den „Swing States“ an?
Wie sie bei der wichtigen Gruppe der weißen Männer in den Swing States ankommt, also in den Bundesstaaten, in dem beide großen Parteien eine gute Chance auf den Sieg haben, bleibt die offene Frage. Dort hatte schon Hillary Clinton zu kämpfen. Dafür kann Harris bei den Frauen punkten. Sie hat mit dem Abtreibungsthema ihre Stimme und Passion wiedergefunden.
Für wichtig halten Analysten, wen eine Kandidatin Harris zu ihrem „Running Mate“ macht, also zu ihrer oder ihrem Vizekandidatin oder -kandidat. Dafür verbliebe ihr nicht viel Zeit. Dass es ein weißer Mann mit Appeal in den Swing States sein sollte, gilt aber als gesetzt. Sie könnte aus einem breiten Talentpool wählen, zu dem die Gouverneure Timothy Walz aus Minnesota, Shapiro aus Pennsylvania sowie Senator Mark Kelly aus Arizona und Verkehrsminister Pete Buttigieg gehören.
Parteistrategen wie David Axelrod, der sich als einer der ersten Biden-Kritiker profilierte, weiß als Wahlkampf-Veteran, wie schnell sich Umfragen verändern können. Egal, wie der Generationswechsel bei den Demokraten sich nun vollziehe, sei das ein „dramatischer Wechsel“ in der Dynamik des Rennens. „Trump ist ein verwundbarer Kandidat und kann geschlagen werden.“