Mal Hardlinerin, mal mitfühlend: Der Journalist Jörg Wimalasena zeichnet von der US-Vizepräsidentin ein wenig schmeichelhaftes Bild – zum Widerwillen der Studiogäste im ARD-Talk.

Diese Euphorie um die US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die dem Republikaner Donald Trump die Stirn bietet, könnte sie rasch wieder verfliegen so wie die Begeisterung für den einstigen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz? Diese Frage stellte der US-Korrespondent Jörg Wimalasena („Welt“) in der dem USA-Wahlkampf gewidmeten Sendung „Hart aber fair“ am Montagabend in der ARD und sparte nicht mit überraschend kritischen Tönen über die Demokratin Harris: Die sei jetzt die einzige Gegenspielerin von Donald Trump, aber sie sei „die falsche Kandidatin“.

 

Harris verfolge eine „beliebige Politik“, sie sei früher mal als „Linke“ aufgetreten und habe sich für eine allgemeine Krankenversicherung stark gemacht, später habe sie dann im Blick auf „reiche Spender“ einen konservativen Kurs vertreten und ihren Präsidenten, Joe Biden, mal in einer Rassismusfrage beschimpft. Sie spiele im Wahlkampf die thematischen Karten Abtreibung und Waffengewalt, aber das komme ziemlich weit hinten bei den Leuten in den USA, die drücke der Schuh ganz woanders: Wie kann ich bei der Inflation noch mein Auto tanken, kann ich mir Kino oder Essengehen noch leisten? „Die Leute leben von Pay-check zu Pay-Check. Da ist ihnen die Herkunft der demokratischen Kandidatin ziemlich egal. Die wollen Antworten, wie jemand ihr Leben besser macht.“

Gegen Trump – und sonst?

Außer ihrem Anti-Trump-Kurs habe Harris bei politischen Inhalten noch nicht viel zu bieten, aber er wolle sie jetzt auch nicht „trashen“, immerhin habe sie sich für einen Mutterschutz ausgesprochen, den gebe es derzeit in den USA noch überhaupt nicht.

Als Generalstaatsanwältin sei Harris im übrigen als Hardlinerin aufgetreten, wollte Strafgefangene als „billige Arbeitskräfte“ länger in Haft behalten und Eltern von Schule schwänzenden Kindern in Haft nehmen.

Auch in der Identitätsfrage mit ihrer indisch-schwarzen Herkunft sei Harris opportunistisch umgegangen, da gab es einen Vor- und einen Nach-George-Floyde-Status. Ist das jetzt alles so schlimm?

Image als strenge Frau

In der Studiorunde waren sich alle einig, dass dies alles Nebenkriegsschauplätze sind angesichts eines möglicherweise wieder gewählten US-Präsidenten Donald Trump. Dieser habe sich „über die Jahre radikalisiert“ bemerkte die Publizistin Alice Hasters und es stimme im Übrigen gar nicht, dass Kamala Harris auf ihrer schwarzen Herkunft herumreite: „Das macht sie doch gar nicht zum Thema, das lässt sie andere für sich machen.“ Und wenn es ein Image von Harris als Law-and-Order-Frau gebe, als „strenge und konservative Frau“, was sei denn so verwerflich daran? Bei eventuell noch zu gewinnenden republikanischen Wählerschichten könne sie damit vielleicht punkten.

Auch der SPD-Politiker Ralf Stegner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, hatte wenig Lust, sich auf Kamala Harris einzuschießen. „Sie hat sehr wohl Chancen“, so Stegner, sich gegen einen „verrückten“ Donald Trump und dessen „nicht ganz echten“ designierten Vizepräsidenten J. D. Vance durchzusetzen. Harris könne „mehr“ als sie bisher als Stellvertreterin von Joe Biden habe zeigen können, meinte Stegner. Im Übrigen möge er daran erinnern, dass Donald Trump demokratische Wahlen nicht anerkannt habe, zur Gewalt aufgerufen habe und ein Straftäter sei. Wahlen in den USA, so Stegner, der einst über US-Wahlkämpfe promovierte, würden im übrigen nicht durch Inhalte entschieden: Robert F. Kennedy habe 1960 über Richard Nixon gesiegt, „weil er besser aussah“.

Ein Experte muss passen

Auch bei Amira Mohamed Ali, neben Sahra Wagenknecht die zweite Vorsitzende des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, war die Sympathie klar verteilt: Trump sei unberechenbar, ein notorischer Lügner, er habe Gesellschaften gespalten und die „globale Debattenkultur“ deutlich verschlechtert.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erwartet, falls Trump die Wahlen gewinnen sollte, eine „völlig andere Ukraine- und Russlandpolitik“ : „Damit müssen wir rechnen. Das wird den Frieden und die Sicherheit in Europa unmittelbar berühren. Wir müssen uns fragen, was machen wir?“

Die Zeichen stehen auf eine Stärkung der Nato und eine Aufrüstung – beispielsweise durch die auf dem Nato-Gipfel beschlossene Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland: Sie war in der Studiorunde dann heftig umstritten, ein innenpolitisches Thema und aufrichtig klang da die Bemerkung von Jörg Wimalasena, er sei da „jetzt raus aus der Debatte“, er sei US- aber nicht Deutschlandexperte.

Drei deutsche Gäste aber beharkten sich inständig: Auf der einen Seite Norbert Röttgen (CDU), der auf die notwendige Schließung einer Abschreckungslücke gegenüber Russland hinwies und auf die Nichtverhandlungsfähigkeit mit einem Diktator Wladimir Putin, der gerade in Moskau einem verurteilten Mörder (Tiergartenmord) dem roten Teppich ausgerollt habe. Seinem Konterpart von der SPD, Ralf Stegner, warf Röttgen vor, schon vor 40 Jahren bei der Entscheidung über den Nato-Doppelbeschluss – auch eine Stationierung von Mittelstreckenwaffen als Antwort auf Moskau – dagegen und damit historisch auf der falschen Seite gestanden zu haben.

„SPD ist nicht der Vatikan“

Stegner betonte hingegen die hohen Risiken der Mittelstreckenraketen mit ihren kurzen Vorwarnzeiten. Man müsse mehr reden statt nur Waffen zu liefern und Europa aufzurüsten. Auch mit Putin müsse man über die Mittelstreckenraketen verhandeln.

Die von Kanzler Olaf Scholz verkündete Stationierung der US-Raketen vom Typ Tomahawk sieht Stegner letztlich noch nicht als bindend: „Die SPD ist nicht der Vatikan. Wir werden im Parlament und in der Öffentlichkeit noch darüber diskutieren.“ Man müsse raus aus der Abschreckungslogik, wer als erster schieße, der sei als zweiter tot. Von der BSW-Politikerin Ali wurden Stegners Äußerungen begrüßt: Sie würde sich wünschen, das wäre eine Mehrheitsmeinung in der SPD. Es stimme nicht, dass die USA auch europäische Interessen verträten, mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen gefährdeten sie Deutschlands Sicherheit. Mit diesen Waffen könne die Nato auch einen Überraschungsangriff starten, so Ali. Norbert Röttgen ging da auf die Barrikaden: „Ach hören Sie doch auf, die Nato ist ein Verteidigungsbündnis!“