Der Schuldspruch gilt als sicher, doch die deutsch-russische Hochstaplerin Anna Sorokin plant schon längst die Zeit nach ihrer Haftstrafe.

New York - Der Sinn fürs Geschäft ist Anna Sorokin auch in anderthalb Jahren Untersuchungshaft nicht abhandengekommen. Die 28 Jahre alte Deutschrussin weiß, wie man den Markt bedient. So gelang es Sorokin in den vergangenen Wochen, den Gerichtssaal im südlichen Manhattan, wo sie wegen Betrugs angeklagt ist, in einen Laufsteg zu verwandeln. Sehr zum Unmut von Richterin Diane Kiesel präsentierte sie jeden Tag ein neues Ensemble, zusammengestellt von einer Promi-Stylistin, zu deren Kunden Courtney Love und der Rapper T-Pain zählen. Die Outfits wurden dann auf einem eigens eingerichteten Instagram-Konto veröffentlicht, das immerhin auf ein paar Tausend Fans kommt.

 

Vor dem als sicher geltenden Schuldspruch, der im Lauf dieser Woche erwartet wird, dürfte das Sorokin sicher ebenso wenig bewahren wie vor der Ausweisung nach Deutschland. Im Gegenteil, dürften die Geschworenen und die Richterin ihr Gebaren als völligen Mangel an Reue deuten. Doch Sorokin denkt schon längst zwei Schritte weiter. Schon jetzt ist es ihr gelungen, aus ihrer unglaublichen Geschichte Kapital zu schlagen. Netflix plant eine Serie über sie mit Lena Dunham in der Hauptrolle.

Die Titelseiten von „Vanity Fair“ und dem „New York Magazine“ hat sie bereits geziert. Und bei Sorokins PR-Geschick wird es ihr vermutlich ein Leichtes sein, nach ihrer Haft ihren neu gewonnen Promi-Status zu Geld zu machen. So könnte es durchaus sein, dass Anna „Delvey“ Sorokin doch noch das erreicht, was sie schon immer wollte: Reichtum, Ruhm, Luxus.

Sorokins großer Traum war ein exklusiver Social-Club

Es ist schwer zu sagen, wann Anna Sorokin – die sich den Namen Delvey für die New Yorker Society zugelegt hatte – ihre sozialen Aufstiegsfantasien entwickelte. Vielleicht war es schon als Gymnasiastin in Eschweiler, wo sie als 16 Jahre alte russische Auswanderin mit ihrer Familie gelandet war. Vielleicht war es aber auch in Paris, wo sie nach einem Zwischenspiel bei einer PR-Firma in Berlin ein begehrtes Praktikum bei der In-Zeitschrift „Purple“ ergattert hatte. Fest steht, dass Anna, als sie 2013 nach New York kam, den Plan hatte, in der dortigen Society zu landen.

Annas großer Traum, das wiederholte ihr Anwalt Todd Spodek während des Prozesses immer wieder, war es, einen exklusiven Social-Club nach dem Vorbild des SoHo-House zu eröffnen. Es sollte das neue Zentrum des New Yorker Gesellschaftsuniversums sein, gestaltet von berühmten Künstlern wie Damien Hirst oder Jeff Koons. Das Problem dabei war, als mittellose Studienabbrecherin die nötige Finanzierung von 22 Millionen Dollar – umgerechnet rund 19,6 Millionen Euro – zu sichern. Sie musste, wie ihr Anwalt während des Prozesses zum Besten gab, „fake it till you make it“.

Spodeks Versuche, Sorokins Praxis, sich so lange zu große Schuhe anzuziehen, bis sie schließlich hineinpasst, als normal darzustellen, deuten darauf hin, warum dieser Prozess und die Figur Sorokin eine derartige Faszination ausüben. Die Kunst der Hochstapelei ist ein beliebtes Gesellschaftsspiel in New York und anderswo und in der Kardashian-Ära ein akzeptierter Weg zu gesellschaftlichem und finanziellem Erfolg. Sorokins Fehler war lediglich, dass sie das Spiel tief in die Kriminalität hinein getrieben hat. Vor Gericht geht es nun um knapp 250 000 Euro.

Sie gibt sich als Millionenerbin aus – und das äußerst überzeugend

Sorokin alias Delvey gab sich in New York als Millionenerbin aus, ihr Vater war wahlweise ein Öl-Unternehmer oder ein Fabrikant für Solarzellen. Tatsächlich arbeitete er als Lastwagenfahrer und später Teilhaber in einem kleinen Transportunternehmen. Doch Sorokin spielte die Rolle – die in der New Yorker Szene durchaus verbreitet ist – überzeugend. Sie vagabundierte von Luxushotel zu Luxushotel, verbrachte die Vormittage mit ihrem Personal Trainer, dinierte in den angesagtesten Restaurants und war so überzeugend, dass sie schließlich zu all den richtigen Partys eingeladen wurde und bald ein Netzwerk unter den Reichen und Einflussreichen hatte, jenen „circa 200 Leuten, die man überall trifft“, wie es eine Zeugin ausdrückte.

Zwei Jahre lang gelang es ihr, diesen Lebensstil durch Lügen zu finanzieren. Sie nahm in betrügerischer Absicht Kredite auf, lieh sich Geld von Freunden, das sie nie zurückzahlte. Bei manchen geriet es in Vergessenheit, „viele Leute in New York können es sich leisten, ein paar Tausend Dollar einfach zu vergessen“, sagt Rachel Williams, eine ehemalige „Vanity Fair“-Redakteurin, die zu Sorokins Kreis gehörte. Doch irgendwann passierte, was passieren musste: Das Kartenhaus aus Unwahrheiten brach zusammen. Es flog auf, dass ihre Vermögensangaben für Bankkredite falsch waren. Und als sie sich 60 000 Dollar – etwa 53 000 Euro – von Williams für eine Hotelrechnung in Marrakesch leihen musste, schrillten bei der Journalistin die Alarmglocken. So zerplatzten Sorokins Träume, sich unter den oberen zehntausend von New York festzusetzen. Der Internetruhm ist ihr jedoch gewiss. Sie wäre nicht die Erste, der es gelingt, daraus eine Karriere zu basteln.