Mit seiner Entscheidung zum Iran-Atomvertrag hat US-Präsident Öl ins Feuer einer unstabilen Region gegossen. Droht ein atomares Wettrüsten? Wir beantworten die drängendsten Fragen.

Kairo - Schockiert hat die Welt auf die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump reagiert, aus dem Atomvertrag mit dem Iran auszusteigen. Denn die Folgen dieses amerikanischen Alleingangs sind unkalkulierbar – vor allem für den Nahen und Mittleren Osten. Was bedeutet diese spektakuläre Zäsur für die Region, die zu den instabilsten und gewalttätigsten der Welt gehört? Fünf Fragen und Antworten:

 

Droht eine direkte militärische Konfrontation zwischen Israel und Iran?

Israels Führung beunruhigt neben dem Atomthema vor allem die massive iranische Präsenz im Nachbarland Syrien. Rund 3000 Revolutionäre Garden hat Teheran derzeit im Einsatz, die dort auf Dauer stationiert bleiben sollen. Hinzu kommen mindestens 10 000 von Iran rekrutierte und bezahlte Milizionäre, überwiegend Iraker und Afghanen.

Seit Monaten führt Israel bereits einen unerklärten Krieg gegen diese iranische Militärmacht, der in den kommenden Monaten dramatisch eskalieren könnte. Der bisher schwerste Zwischenfall ereignete sich im Februar, als Tel Avivs Luftwaffe über den Golanhöhen eine iranische Drohne vom Himmel holte. Als Vergeltung flogen israelische F-16-Maschinen Angriffe gegen iranische Stellungen in Syrien. Auf dem Heimflug jedoch gelang es der syrischen Luftabwehr, einen der Jets abzuschießen. Noch am Abend der Trump-Rede bombardierten israelische Kampfjets erneut die Revolutionären Garden, diesmal einen Stützpunkt nahe Damaskus, bei dem mindestens acht Iraner ums Leben kamen.

Unklar ist, wie sich die Russen in diesem Konflikt verhalten werden, die mit Israel eine direkte Hotline zum Thema Syrien unterhalten. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu reiste am Mittwoch nach Moskau. Denn dem Kreml könnte Netanjahus härterer Kurs durchaus gelegen kommen, weil er den iranischen Ambitionen in Syrien Grenzen setzt. Umgekehrt kann allein die russische Luftabwehr den israelischen Jets wirklich gefährlich werden. Und so wird sich Israel hüten, das Assad-Regime oder russische Einrichtungen direkt anzugreifen.

Was bedeutet Trumps Konfrontation mit dem Iran für den Jemen?

In der Auseinandersetzung Irans mit seinen regionalen Widersachern am Golf könnte der Krieg im Jemen eine zentralere Bedeutung bekommen. Bislang hielt sich die Waffenhilfe Teherans für die Houthi-Rebellen im Jemen in Grenzen. Allerdings halfen Irans Spezialisten offenbar dabei, die alten Mittelstreckenraketen aus den Beständen der jemenitischen Armee zielgenauer und weitreichender zu machen.

Mehr als 130 Geschosse haben die Houthis in letzter Zeit auf Saudi-Arabien abgefeuert, was gemessen an den über 100 000 Raketenangriffen der Saudis eine geringe Zahl ist. Mindestens zwei Raketen schlugen auf dem internationalen Flughafen von Riyadh ein. Auch in der Nacht nach der Trump-Rede wurden wieder zwei Geschosse auf die saudische Hauptstadt abgefeuert, die jedoch abgefangen werden konnten. Eine Verhandlungslösung rückt jetzt in noch weitere Ferne. Denn der Iran dürfte nicht mehr bereit sein, politisch auf die Houthis einzuwirken, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Wie wird sich die Hisbollah verhalten?

Eine große Unbekannte in den neu heraufziehenden regionalen Turbulenzen ist die Hisbollah. Diese Miliz der Schiiten, die als der wohl kampfstärkste Verband in der arabischen Welt gilt, verfügt angeblich über ein Raketenarsenal von mehr als 100 000 Geschossen, die auch Tel Aviv erreichen können. Sollte es wegen des iranischen Nuklearprogramms zu direkten Luftangriffen Israels auf die Islamische Republik kommen, könnte die Hisbollah als langjähriger Staathalter Teherans in der arabischen Welt ihrerseits das Feuer auf Israel eröffnen. Doch dies wird sich die Führung der radikalen Miliz sehr genau überlegen. Denn Israel drohte im Falle eines solchen Angriffes bereits mit einer breitflächigen Zerstörung der libanesischen Infrastruktur.

Wie hoch ist die Gefahr eines atomaren Wettrüstens am Golf?

Einen Vorgeschmack darauf gab vor kurzem bereits der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Saudi-Arabien wolle keine Atombombe besitzen, versicherte er, „wenn der Iran aber eine baut, werden wir, ohne jeden Zweifel, so schnell wie möglich nachziehen.“ Wie die Islamische Republik besitzt auch Saudi-Arabien Uran, was sich auf ein waffenfähiges Niveau anreichern ließe – einer der beiden technischen Wege zur Bombe. 16 Atommeiler will das Königshaus in den nächsten beiden Jahrzehnten bauen lassen. Anders als sein engster Bundesgenosse Abu Dhabi, dessen erster Reaktorblock kürzlich fertig wurde, will Riyadh jedoch weder auf die Urananreicherung verzichten noch auf eine Wiederaufarbeitung, bei der Plutonium anfällt – der andere Weg zur Bombe.

Die Saudis sträuben sich vor allem mit Verweis auf die Türkei und Ägypten, die ihre künftigen Atomkraftwerke bei den Russen kaufen. Beide lehnen jede Einschränkung bei Anreicherung oder Wiederaufarbeitung ab – und Moskau ist das egal. Auch in der Vergangenheit hat Riyadh bereits internationale Atomregeln verletzt. Das saudische Könighaus finanzierte das Atomprogramm von Pakistan, was sich wie Indien und Israel bis heute dem internationalen Atomwaffensperrvertag entzieht. Zudem besitzt Riyadh Raketen, mit denen sich Atomsprengköpfe verschießen lassen.

Was bedeutet Trumps Paukenschlag für das Machtgefüge im Iran?

Irans Hardliner frohlocken, ihnen war der Atomvertrag von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie haben an dem Sanktionsregime prächtig verdient, und sie befürchten eine gesellschaftliche Öffnung ihres Landes. Sie fühlen sich jetzt bestätigt in ihrem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten. Ihre Vertreter setzen nun auf eine Schwächung des moderaten Lagers unter Präsident Hassan Rowhani und eine Stärkung der eigenen Machtposition. Den Obersten Revolutionsführer Ali Khamenei, der das Abkommen anfangs begrüßte, wissen sie wieder an ihrer Seite.

Dieser machte am Mittwoch in einer ungewöhnlichen Fernsehrede an die eigene Regierung klar, er werde das Gleiche tun wie Trump, falls Präsident Rowhani von den drei europäischen Mächten Frankreich, Großbritannien und Deutschland keine „eindeutigen Garantien“ erhalte, dass sie die nach 2015 wieder angeknüpften Wirtschaftsbeziehungen weiterführen. „Ich bezweifele, dass ihr das erreichen könnt“, fuhr Khamenei fort. „Dann aber können wir nicht so weitermachen wie bisher.“