Der Regionalkrimi nun bietet uns zweifache Erlösung an: Wir können als Touristen an schöne neue Orte reisen. Und wir dürfen uns dabei sogar noch zu Hause fühlen. Wir dürfen glauben, dass alles wirklich so stimmt, wie es im Buche steht. Und beseelt sein vom Gedanken, dass wir das gleiche Werk auch hätten schreiben können – vielleicht sogar besser. Damit sind wir bei der maximalen Unterforderung und selbstzufriedenen Ausgeglichenheit angekommen.

 

Daran ist nichts Arges. Im Gegenteil, diese Art des intellektuellen Müßiggangs hat etwas zutiefst Romantisches: Es ist eine Fluchtbewegung aus der entfremdeten, entwurzelnden, zerrissenen und leistungsgeilen Alltagsbefindlichkeit. Spannung wird als Entspannung erlebt, jede Form von geistiger Disharmonie vermieden. Man lässt sich mitnehmen in einen Urlaub für den Kopf, streift in entlegene Gefilde, in denen überkommene Sozialsysteme sinnhaft interagieren. Es gibt einen Fall, und der wird aufgeklärt, das Böse besiegt. Wir sind bar jeder Verunsicherung. Das wirkt identitäts- und geborgenheitsstiftend. Einfacher ausgedrückt: Hier sind wir überall daheim. Eine Leserschaft, die im Niemandsland pendelt, erfindet sich im Regionalkrimi ein Zuhause. Dieser Heimatersatz stillt ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach Erbarmen. Inwendig führt das zu jenem Seelenfrieden, den Georg Wilhelm Friedrich Hegel „das Reich Gottes“ nannte.

Amateurhaft statt urtümlich

Erstaunlicherweise wurde das Eigentliche dabei bislang übersehen: Dass es sich bei Regio-Krimis um fantastische Geschichten handelt. Das meiste, was darin beschrieben wird, ist in der Realität völlig unmöglich. Dass nicht gescheit recherchiert wird und vieles nicht stimmt, gehört nachgerade zur Naivität des Genres. Dieses Amateurhafte, Handgearbeitete und sprachlich Schlichte wird mit dem Urtümlichen verwechselt. Wir, die wir die Mundart unserer Ahnen nicht mehr verstehen, unsere Heimat in sozialen Netzwerken ausleben und unsere Grammatik aus dem Englischen und Türkischen beziehen, erreichen bei der Lektüre einen Zustand völliger Befriedigung und Unschuld.

Wir nähern uns somit „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Dieser furiose Schluss von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ ist noch lange nicht zu Tode zitiert, wenn man den utopischen Kontext mit bedenkt. Denn die „Erschaffung der Welt, als einer rechten“, steht uns demnach noch lange bevor. Das lässt in der Tat hoffen, nicht zuletzt auf eine aristotelische Katharsis.

Kein Mensch unterwegs

Das Landleben mit all seinen Freuden und Schrecknissen, wie es für meine Mutter normal war, ist verloschen. Schwarzwald und Schwäbische Alb sind durchzogen von zersiedelten Ortschaften, deren Kerne tot sind. Verlassene Höfe, Abbruchbuden, Beton-Banken prägen das Gesicht der Hauptstraße, verrammelte Kirchen und aufgelassene Wirtshäuser sind die Gräber auf dem Friedhof einer Dorfkultur. Am Dorfrand winkt der Fußballverein. Der Rasen ist verstrubbelt, das Vereinsheim düster. In den Industriegassen Supermärkte und Wellblechklitschen, im Neubaugebiet Tiefgaragen mit Zugang zum Haus. Kein Mensch ist unterwegs. Doppelverdiener fahren vom Arbeitsplatz in der nahen Mittelstadt direkt auf zum versenkbaren Flachbildschirm im Wohnzimmer. Nachwuchs wird kilometerweit in pädagogisch vegane Unterbringungen verfrachtet, der Hund fremdversorgt. Keiner kennt den Nachbarn. Der Ort, an dem man lebt, bleibt verkehrsgünstig, finanzierbar und anonym. Die Eltern müssen irgendwann in ein ebensolches Pflegeheim.

In einer derartigen Welt, da ist keine Heimat mehr möglich. Es gibt auch keine Ausflucht. Passstraßen führen ins immer gleiche trostlose Bild. Die verwahrlosten Hotelburgen und Pensionen aus dem Naherholungsparadies des abgebrannten Wirtschaftswunders salutieren hinter den Todeskurven.

Maximale Unterforderung

Der Regionalkrimi nun bietet uns zweifache Erlösung an: Wir können als Touristen an schöne neue Orte reisen. Und wir dürfen uns dabei sogar noch zu Hause fühlen. Wir dürfen glauben, dass alles wirklich so stimmt, wie es im Buche steht. Und beseelt sein vom Gedanken, dass wir das gleiche Werk auch hätten schreiben können – vielleicht sogar besser. Damit sind wir bei der maximalen Unterforderung und selbstzufriedenen Ausgeglichenheit angekommen.

Daran ist nichts Arges. Im Gegenteil, diese Art des intellektuellen Müßiggangs hat etwas zutiefst Romantisches: Es ist eine Fluchtbewegung aus der entfremdeten, entwurzelnden, zerrissenen und leistungsgeilen Alltagsbefindlichkeit. Spannung wird als Entspannung erlebt, jede Form von geistiger Disharmonie vermieden. Man lässt sich mitnehmen in einen Urlaub für den Kopf, streift in entlegene Gefilde, in denen überkommene Sozialsysteme sinnhaft interagieren. Es gibt einen Fall, und der wird aufgeklärt, das Böse besiegt. Wir sind bar jeder Verunsicherung. Das wirkt identitäts- und geborgenheitsstiftend. Einfacher ausgedrückt: Hier sind wir überall daheim. Eine Leserschaft, die im Niemandsland pendelt, erfindet sich im Regionalkrimi ein Zuhause. Dieser Heimatersatz stillt ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach Erbarmen. Inwendig führt das zu jenem Seelenfrieden, den Georg Wilhelm Friedrich Hegel „das Reich Gottes“ nannte.

Amateurhaft statt urtümlich

Erstaunlicherweise wurde das Eigentliche dabei bislang übersehen: Dass es sich bei Regio-Krimis um fantastische Geschichten handelt. Das meiste, was darin beschrieben wird, ist in der Realität völlig unmöglich. Dass nicht gescheit recherchiert wird und vieles nicht stimmt, gehört nachgerade zur Naivität des Genres. Dieses Amateurhafte, Handgearbeitete und sprachlich Schlichte wird mit dem Urtümlichen verwechselt. Wir, die wir die Mundart unserer Ahnen nicht mehr verstehen, unsere Heimat in sozialen Netzwerken ausleben und unsere Grammatik aus dem Englischen und Türkischen beziehen, erreichen bei der Lektüre einen Zustand völliger Befriedigung und Unschuld.

Wir nähern uns somit „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Dieser furiose Schluss von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ ist noch lange nicht zu Tode zitiert, wenn man den utopischen Kontext mit bedenkt. Denn die „Erschaffung der Welt, als einer rechten“, steht uns demnach noch lange bevor. Das lässt in der Tat hoffen, nicht zuletzt auf eine aristotelische Katharsis.

Als zwar massenbewegte, aber auch zeitverhaftete Randerscheinung der Literatur sollten wir den Regionalkrimi deshalb nicht von der Bettkante stoßen. Obgleich sein verordneter Gebrauchswert mit dem, was Literatur vermag und leisten kann, nicht das Geringste zu tun hat. Literatur strengt an, verwirrt und tut weh, und im lustvollen Ertrag dieser mühsamen Lesearbeit aufgehoben und fremd daheim zu sein, bleibt das Privileg von wenigen.