Den Buchhandel hat man schon für tot erklärt: Jetzt öffnen in Stuttgarts City gleich zwei Häuser. „Das ist ein guter Tag fürs Buch“, sagt selbst Konkurrent Rainer Bartle von Wittwer. Unser Kolumnist Uwe Bogen vermisst noch ein Café zum Schmökern auf dem Marktplatz.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Rund ums Buch gibt es kluge Worte, wie es sich für eine Ware gehört, die man für den Kopf konsumiert. „Du öffnest die Bücher, und sie öffnen dich“ ist ein Zitat, das man immer wieder zu lesen bekommt, wenn es ums Lesen geht.

 

Das Zitat stammt vom kirgisischen Schriftsteller Tschingis Aitmatow. 2008 ist er gestorben. Damals war noch nicht so recht klar, wie digital die Welt sich dreht. Der Dichter hat in seiner Lobeshymne aufs Buch ans Öffnen gedacht – Jahre später aber ist, wenn es ums Buch geht, das Schließen zum vorherrschenden Thema geworden. So dachte man bisher.

In den vergangenen Jahren hat eine Buchhandlung nach der anderen geschlossen. Dem Online-Geschäft allein schien die Zukunft zu gehören. Und jetzt? Aus Stuttgart tönen neuerdings ganz andere Signale.

Osiander auf vier Etagen im Haufler-Haus

Am Dienstag öffnet das familiengeführte Buchhandelsunternehmen Hugendubel im Dorotheenquartier, zwei Tage später folgt der ebenfalls familiengeführte Osiander im früheren Haufler-Haus am Marktplatz. Klasse ist das! So was liest ein Lesefreund gern!

Die beiden Neuzugänge sind Rückkehrer. Hugendubel war bis 2014 auf 4000 Quadratmetern an der Königstraße vertreten. Beim zweiten Start in Stuttgarts sind’s 500 Quadratmeter im DoQu, wie man das Dorotheenquartier nennt. Osiander ist in Stuttgart im Gerber und Milaneo ansässig und hat die Filiale hinterm Rathaus verlassen. Jetzt wird Osiander am Marktplatz auf vier Etagen im Haus des früheren Schreibwarenhändlers Haufler mit 600 Quadratmetern fast dreimal so groß wie zuvor an der Nadlerstraße.

Platzhirsch bleibt Wittwer am Schlossplatz mit 3800 Quadratmetern. Dessen Geschäftsführer Rainer Bartle gibt sich angesichts der Konkurrenz gelassen, weil er meint, dass die Standorte am problematischen Marktplatz sowie im schicken Breuninger-Ableger für den Buchhandel nur schwer funktionieren. Auf alle Fälle begrüßt er als „buchaffiner Mensch“ die Entwicklung. „ Die Neueröffnungen sind ein guter Tag für das Buch“, sagt er.

Spontankäufe dürften zunehmen

Die gesamte Branche kann sich freuen – Verleger wie Autoren sowie die kleinen Buchhandlungen, von denen etliche als quicklebendige Kulturbringer mit Leidenschaft und Fachwissen punkten. Zwei Neueröffnungen an zentraler Stelle sind ein Zeichen, mit dem wir nicht mehr gerechnet haben. Es ist wieder in, sagt uns der Stuttgarter Doppelstart im Buchhandel, im Laden zum Lesen verführt zu werden. Ist das Bestellen im Internet womöglich out? Obsiegen der haptische Genuss und der Geruch gedruckter Seiten am Ende doch?

Weil Buchhandlungen mancherorts aus dem Stadtbild verschwanden, sind viele Spontankäufe weggefallen. Jetzt geht der Mensch in die City zum Shoppen, will Hosen kaufen, kommt, wenn es gut läuft, am Buchladen vorbei. Ach, denkt er, am Sonntag hat Tante Erna Geburtstag. Ich könnt ihr ein schönes Buch kaufen!

Osiander hatte über ein Café lange nachgedacht

Noch größer könnte unsere Freude sein, hätten wir auf dem Marktplatz ein Café, um dort etwa zu schmökern. Stuttgart bleibt die wohl einzige deutsche Großstadt ohne Café an zentraler Stelle. Dieses Alleinstellungsmerkmal ist ein großes Ärgernis. Sowohl Breuninger als auch Osiander wurden mit ihren Plänen für Außengastro auf dem Marktplatz von der Stadt ausgebremst, die es mit ihrem Ratskeller selbst nicht auf die Reihe bringt.

„Über ein Café haben wir lange diskutiert“, sagt Osiander-Chef Heinrich Riethmüller. Mit „allen Auflagen“ sei es nicht möglich, den Service vom Erdgeschoss aus zu betreiben. „Dann wäre unser Sortiment im EG nicht sichtbar gewesen“, erklärt er.

Nun wird es im ersten Stock bei Osiander eine kleine Cafébar geben. Immerhin. Aber die Menschen der Stadt wollen mehr. Lesen ist ein Weg ins Leben – und ein quicklebendiger Marktplatz auch.