Im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin war am Dienstag musikalischer Herbstbeginn. Endlich! Denn Vague aus Wien spielen Herbstmusik – und hatten die perfekte Vorband.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Das Kulturzentrum Merlin hat im Stuttgarter Westen binnen weniger Tage den Sommer beendet und den Herbst begonnen. Am vergangenen Wochenende organisierte das Merlin mit dem Feuerseefest wettermäßig gerade so noch einmal ein Sommer-Open-Air, und das übrigens mit tollen Stuttgarter Bands. Am Dienstagabend dann war musikalischer Herbstbeginn mit der Wiener Band Vague und deren Support Kaufmann Frust aus Stuttgart.

 

„Endlich wieder Herbst!“, muss man sagen, endlich ist wieder die Saison für solche Musik. Beim Pop von Vague und ebenso Kaufmann Frust herrscht kein sommerlicher Euphoriezwang; im Gegenteil: man schwimmt im kantenlosen Auf und Ab dieser fein durchrhythmisierten Musik einfach mit. Dazu passt, dass es bei Konzertbeginn draußen bereits dunkel ist.

Im Februar, als Kaufmann Frust und Vague schon einmal gemeinsam auf einer Stuttgarter Bühne standen, lief das Konzert ganz anders. Es fand statt in einem Luftschutzkeller unweit des Hauptbahnhofs: halblegale Location, viel Flair, Gruftigefühl und Hipster-Publikum (oder wenigstens hippe Studenten). Jedenfalls war dieses laute, atmosphärische Doppelkonzert in dem völlig überfüllten Keller Grund genug, sich das Ganze jetzt noch einmal im aufgeräumten Rahmen anzuhören, eben im Merlin.

Velvet Underground, die sind in Wien eh angesagt

„Diese Musik ist das Gegenteil von Rock“, sagt nach dem Konzert einer, „da fließt kein Tropfen Schweiß“. Recht hat er, und mehr noch: was da gespielt wird, ist nicht nur schweiß-, sondern geradezu körperlos, sphärisch. Die Songs fließen dahin, manchmal so zäh wie bei Velvet Underground. (Bei einer Wiener Band wie Vague denkt der Freund österreichischer Popmusik beim Stichwort Velvet Underground sofort an die Gruppe „Die Buben im Pelz & Freundinnen“. Die hat das Velvet-Underground-Album mit der Banane auf dem Cover halb ironisch, halb verneigend nachgespielt, nur eben mit deutschen Texten und Wurst statt Banane auf dem Cover. Die Drogenkurierhymne „I’m Waiting for my Man“ kriegt in der Wiener Variante den Titel „Schwedenplatz“. Wozu man wissen muss, dass der Verkehrsknoten Schwedenplatz in der Wiener City einer der besten Orte ist, um in Wien Drogen zu kaufen.)

Exkurs Ende, wir sind ja im Merlin. Und hören erst einmal Kaufmann Frust zu. Die haben auch diesen angenehm schwermütigen Sound und lösen sich in ihren Songs auch von allzu erwartbaren Strukturen – was sie von ihrer Musikidee her in die Nähe von Gruppen wie Die Nerven oder Levin goes lightly rückt, auch wenn die Band mit denen höchstens ganz am Rande zu tun hat.

Vorband von Die Nerven

Kaufmann Frust haben ihren Stil zu etwa neunzig Prozent gefunden: Midtempo-Songs, schon druckvoll, aber eben in keinster Weise voll auf die Zwölf. Ein, zwei Songs brechen an recht unerwarteter Stelle aus diesem Schema aus. Das stört nicht wirklich, fällt aber auf. Und macht fast nichts. Das konzentrierte, dicht gewebte, vergleichsweise kurze Konzert des Quartetts macht jedenfalls deutlich, warum die Gruppe nicht nur als Vorband ähnlicher Gruppen wie Nightingales und sogar Die Nerven gerade ziemlich oft gebucht wird – und dank guter Connections auch mal Kurztouren durchs Vereinigte Königreich stemmt.

Und dann: Vague. Die einzige Frage, die nach dem Konzert der Wiener offen bleibt, ist: warum gibt es diese Musik nicht auf Schallplatte zu kaufen? Vague machen nämlich Schallplattenmusik, will heißen: Songs, die purer Sound sind; drei Gitarrenschichten übereinander, scheinbar endlos mäandernde Lieder im geisterhaften Kunstnebel. Keiner der fünf Musiker verzieht beim Konzert eine Miene und doch spielt jeder auf der Bühne seine Rolle; auch musikalisch harmonisiert das Zusammenspiel bestens.

Musik wie ein leicht ausgeleiertes Tape

Im Merlin kommt wesentlich besser als in der eingangs erwähnten Kellerlocation der verwaschene Sound von Vague zum Vorschein. Im Keller klang die Band (auch dank eines spontan dazugestoßenen sechsten Bandmitglieds am Tamburin) wesentlich lauter, rockiger; mit den Worten des vorhin zitierten Experten gesprochen: da floss mehr Schweiß. Am Dienstagabend wird das Tamburin nur einmal, und da auch hübsch kraftlos, verwendet. Kein Schweiß. Sondern Musik wie ein altes Tape aus den Achtzigern, das schon so oft gespielt wurde, dass der Sound darauf ein bisschen schwammig geworden ist.

Vague haben The Cure im Herzen und Achtziger-Gruppen wie The Feelies im Blut. Das ist Musik für Tage, an denen die Heizung läuft und es idealerweise draußen regnet. Das Wetter tut einem nach Konzertende sogar den Gefallen. Der Regen am Heimweg ist nicht kalt, fällt nicht prasselnd herab. Aber in den Pfützen spiegelt sich die spärliche Beleuchtung. Auch Wien ist übrigens im Herbst am schönsten.


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