Isaak Akerman hat den Holocaust überlebt. Er war auch im KZ Wiesengrund. Zur Gedenkfeier kam er nach Vaihingen zurück und erzählte Schülern von seinem Leidensweg.

Vaihingen/Enz - Isaak Akerman hat in seinem Leben nicht lange die Schulbank gedrückt: „Fünf Jahre Volksschule in Danzig – das ist meine ganze formelle Schulbildung“, sagt der Jude zu den Schülern im Vaihinger Stromberg-Gymnasium. Den Rest seiner Jugend kämpfte Akerman in Ghettos und Konzentrationslagern ums Überleben. Acht Monate war er im Vaihinger Konzentrationslager Wiesengrund, wo er im nahen Steinbruch Felsen klopfte. Zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – alles für ein aberwitziges Projekt der Nazis: eine unterirdische Flugzeugfabrik. „Am Ende war man mehr Tier als Mensch, es ging nur noch darum, wie man etwas zu essen bekommt und wie man die Schläge der Aufseher vermeidet“, erzählt Akerman.

 

Zusammen mit sieben weiteren Überlebenden des Holocaust ist er an diesem Freitag ins Stromberg-Gymnasium gekommen, um von seinen Erlebnissen zu berichten. Dabei will er nicht den Geschichtslehrer geben – da wüssten die Schüler der neunten Klassen des Stromberg-Gymnasiums und des Friedrich-Abel-Gymnasiums ohnehin schon Bescheid. Akerman erzählt seine persönliche Geschichte des Holocaust. An einiges kann er sich nicht mehr erinnern, anderes will er nicht erzählen. Oft ringt er um Fassung und seine Stimme wird brüchig, beispielsweise, als er erzählt, wie er, ausgemergelt und erschöpft vor Hunger, von einem Aufseher in Vaihingen eine Pellkartoffel bekam. „Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt, was so eine Kartoffel für einen Hungernden bedeutet. Ich kann es gar nicht beschreiben.“

Akerman stand an der Rampe in Auschwitz

Akerman ist 87 Jahre alt und damit der jüngste der acht Zeitzeugen, die Vaihingen besuchen. Sieben von ihnen wurden, weil sie jüdischen Glaubens waren, einst von den Nazis ins Ghetto im polnischen Radom gesperrt. Zuvor war die Diskriminierung von Juden systematisch ausgeweitet worden: erst der Davidstern am Arm, dann das Gehverbot auf den Trottoirs, dann mussten sie Kohlen scharren oder Schnee schippen. „Diese kleinen Schikanen waren aber nur die Vorspeise“, sagt Akerman. Bei der Aussiedlung ins Arbeitslager gingen in der Nacht alle Lichter an, SS-Männer und polnische Polizisten kamen und zwangen die Bewohner mit Peitschenhieben ins Freie, wo sie nach Geschlechtern getrennt wurden. Noch immer wussten die Opfer nicht, was mit ihnen geschehen würde. Gerüchteweise hatten sie gehört, dass die Nationalsozialisten Juden in Lagern vergasten. „Wir hielten das aber für Gräuelpropaganda. So etwas konnte sich ein normaler Mensch nicht vorstellen.“ Bis Akerman dann selbst an der Rampe von Auschwitz stand.

Er entging dem Tod, weil er als arbeitsfähig eingestuft wurde. In einem Viehwaggon wurde Akerman im August 1944 über das Durchgangslager Bietigheim nach Vaihingen transportiert, in das kurz zuvor errichtete Arbeitslager mit dem heimattümelnden Decknamen Wiesengrund. Insgesamt waren dort etwa 4700 Menschen inhaftiert. Im November wurde das Arbeitslager zum „SS-Kranken- und Erholungslager“ erklärt, eine zynische Umschreibung dafür, dass kranke Häftlinge dorthin gebracht wurden, um zu verhindern, dass Seuchen in anderen Arbeitslagern ausbrachen. Die Sterblichkeitsrate im Lager war hoch, es grassierte Typhus. Wie viele Menschen starben, lässt sich nicht mehr ermitteln. Bei einer Exhumierung im Jahr 1954 wurden 1488 Leichen aus den Massengräbern geborgen.

Zeitweise war Akerman blind vor Hunger

Akerman überlebte, weil er sich nicht mit Typhus infizierte. Fünf Tage, bevor die Franzosen das Lager befreiten, wurde er nach Dachau transportiert. Er war gezeichnet von Durchfall, Tuberkulose, Läusen und Entzündungen. Zeitweise erblindete er vor Hunger. „In der überfüllten Krankenbaracke schlief ich neben Kranken ein und erwachte neben Toten“, erzählt er. Nach der Befreiung durch die Amerikaner benötigte Akerman anderthalb Jahre in Krankenhäusern, um wieder auf die Beine zu kommen. „Ich kann kaum glauben, dass ich es geschafft habe und 70 Jahre danach auch noch da bin“, sagt er.

Deswegen möchte er seine Geschichte erzählen. Die Nazi-Verbrechen sollten nicht in Vergessenheit geraten. Außerdem gebe es in Europa derzeit wieder Stimmen, die den Holocaust als jüdische Erfindung abtäten, beispielsweise Jean-Marie le Pen. „Das sind Fanatiker“, sagt Akerman. Ihnen wolle er seine Erlebnisse entgegen stellen.