Kein Verlag wollte ihre Vampirgeschichten drucken. Doch dann bot die US-Altenpflegerin Amanda Hocking sie zum Download im Internet an – und wurde zur Millionärin.

Minnesota - Sie liebt Kermit, den Frosch, und Filme, in denen der Horror hinter polierten Fenstern lauert. Zum Fernsehen hat Amanda Hocking jedoch kaum Zeit, denn sie arbeitet wie besessen, oft bis spät in die Nacht. Ihr Werkzeug ist ihr Laptop. Die 27-Jährige klappt ihn auf, wo und wann immer ihr Ideen durch den Kopf spuken. Es müssen viele sein: in ihrer Küche stapeln sich leere Red-Bull-Dosen. In einem Interview hat sie gesagt, mitunter komme sie mit dem Tippen kaum hinterher. Das hat sich herum gesprochen. Wenn sie nachts zur Tankstelle schleicht, um ihren Vorrat an Red-Bull-Dosen aufzufüllen, muss sie damit rechnen, dass sie fremde Teenager um ein Autogramm bitten.

 

Sonst hat sich ihr Leben kaum verändert - mal abgesehen davon, dass sie es sich inzwischen leisten kann, nur noch das zu tun, was sie schon als Kind am liebsten getan hat. Schreiben, schreiben, schreiben. Praktisch über Nacht hat es das pummelige Mädchen aus Austin im US-Bundesstaat Minnesota mit seinen Geschichten von blutsaugenden Teenagern zur Bestseller-Autorin gebracht. Weil Amanda keinen Verleger fand, hat sie ihren Romane in der digitalen Version auf eine Internetplattform gestellt – mit Erfolg.

Sie steht für die Revolution im Buchhandel

Inzwischen hat sie weltweit über eine Million Exemplare verkauft. Längst gibt es ihre Bücher als Paperbacks, auch in Deutschland. Dieser Tage erscheinen im Verlag cbt Band drei und vier ihrer Serie „Unter dem Vampirmond.“ Von der Altenpflegerin zur Millionärin – es ist das Ende einer Geschichte, die beinahe wie ein Märchen klingt. Das Internet spielt darin eine wichtige Rolle. Wenn eines Tages in den USA das letzte gedruckte Buch unter Denkmalschutz gestellt wird, wird man sich wohl wieder an Amanda Hocking erinnern. Schließlich ist sie als erste Autorin in die Geschichte eingegangen, die ihr selbstveröffentlichtes E-Book in die Bestsellercharts katapultiert hat.

Ihr Beispiel ist symptomatisch für die Revolution im Buchhandel. Der Trend geht weg vom gedruckten Buch, hin zum kostenpflichtigen Download im Internet. In den USA ist diese Entwicklung bereits weit vorangeschritten. 2011 betrug der Marktanteil der so genannten E-Books dort schon 19 Prozent. Hierzulande war er mit einem Prozent zwar noch verschwindend gering. Doch schon bis 2015, prophezeien Marktforscher, soll er auf sechs Prozent klettern. In dem Maße, wie sich digitale Lesegeräte wie der Kindle verbreiten, soll sich auch das E-Book behaupten.

Das wird auch Autoren hinter ihrem Laptop hervorlocken, denen es jetzt noch so geht, wie es Amanda Hocking im Frühjahr 2010 ging. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich unbezahlte Rechnungen. Verzweifelt fragte sie sich, wie sie die 300 Dollar zusammenkratzen sollte, die sie brauchte, um die Helden ihrer Kindheit zu treffen: die Muppets. Im September sollten Kermit & Co ins Museum kommen. Amanda wollte ins 900 Kilometer entfernte Chicago fahren, um sich die Ausstellung „Jim Henson’s Fantastic World“ anzuschauen. Der Trip sprengte ihr Budget. So jedenfalls will es die Legende, die der US-Verlag St-Martin‘s Press um seine neue Hoffnungsträgerin strickt.

Ihren Ruhm verdankt sie den Bloggern

Aus blanker Not nahm Amanda einen weiteren Anlauf und stellte ihren Roman „Versuchung – unter dem Vampirmond“ auf die Kindle-E-Book-Plattform von Amazon für 99 Cent pro Download. Ihre Schubladen quollen damals schon über vor Geschichten. Absagen von Verlagen füllten schon einen ganzen Schuhkarton.

Ihr Manuskript wimmelte vor Fehlern, aber das schien kaum jemanden zu stören. Im Juni hatte sie schon mehr als 5000 Exemplare verkauft. Der erste Verlag rief an. Sie kassierte jetzt bis zu tausend Dollar am Tag. Sie sagt: „Soviel habe ich als Altenpflegerin in einem Monat verdient.“ Man ist geneigt, von einem Wunder zu sprechen. Denn eine literarische Offenbarung sind ihre Geschichten nicht. Ihre Sprache ist die Sprache der Teenager. Auch der Plot ist wenig originell. Ein Mädchen verliebt sich in zwei Brüder, die sich beide als Vampire entpuppen. Kritikern kam dieses Muster bekannt vor. Ihnen fielen auch sonst erstaunliche Ähnlichkeiten zu „Twilight“ auf, der erfolgreichen Vampirsaga der Jugendbuchautorin Stephenie Meyer.

Doch über die letzte Klippe haben ihr wohl Blogger geholfen. Bevor sie ihre Manuskripte als E-Books bei Amazon angeboten habe, habe sie sie an andere Autoren verschickt, die sich in Internetforen über ihre Arbeit austauschen, schreibt sie in ihrem Blog amandahocking.blogspot.com. Die Rezensionen müssen positiv ausgefallen sein. Jedenfalls sagt sie heute: „Diese Buch-Blogger sind meine Helden.“

In den USA ist der Deutsche Oliver Poetzsch ein Popstar

Das Internet, eine Goldgrube für Literatur, die sonst kein Verlag drucken will? Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel eines deutschen Autoren: Oliver Poetzsch. Oliver, wer? In Deutschland ist der Journalist aus München kaum bekannt, doch in den USA gilt er als Popstar. Das wurde dem 41-Jährigen bewusst, als er auf Lesereise ging, um seine Krimis vorzustellen. Ein Chauffeur holte ihn vom Flughafen ab, er stieg in den teuersten Hotels ab.

Kein schlechter Empfang für einen Newcomer, der bis dahin nur in bayerischen Gasthäusern gelesen hatte. Dabei hatte er von Anfang an einen Verlag – den Ullstein-Verlag. Seine Mittelalterkrimis mit einem Henker als Ermittler verkauften sich auch ordentlich. Er sagt, 2011 habe er 80 000 Bücher und 37 000 E-Books verkauft. Doch den Durchbruch schaffte er erst in den USA – dank Amazon. Der Versandriese übersetzte seinen Roman „Die Henkerstochter“ ins Englische und bot ihn zum Download an. Nach einem Monat zählte er schon 100 000 Klicks. Inzwischen steht sein Buch auf Platz drei der Bestsellerliste der Boulevardzeitung „USA Today.“ Der Familienvater kann von seinen Tantiemen leben. Dass sich seine E-Books in den USA besser verkaufen als hierzulande, erklärt er sich so: „Es gibt dort einfach viel weniger Buchläden und mehr digitale Lesegeräte.“