Reportage: Robin Szuttor (szu)

Da ist der junge zurückhaltende Mann aus Sarajevo, mit seinen 25 Jahren bereits zum Priester geweiht. Sein Bischof hat ihn dazu berufen, ein Zusatzstudium in Spiritualität zu machen, um ihn danach als Formator in einem Orden einzusetzen. Oder der junge höfliche Mann aus dem Bistum Regensburg. Er hat Theologie und Jura studiert, promoviert, nun widmet er sich vom Campo Santo aus ein paar Jahre dem Kirchenrecht. Für 600 Euro Monatsmiete bei freier Kost und spartanischer Ausstattung. Die meisten Zimmer sind ohne Toilette, und die Dusche dosiert das Warmwasser am Morgen nach Belieben. Zur Hausordnung gehört Mittagsruhe. Wer nach 23 Uhr heimkommt, wird vom Posten notiert.

 

Fischer geht abends gern in den Vatikanischen Gärten spazieren, vorbei an den Granatapfelsträuchern, den alten Kakteen und Agaven. Betet den Rosenkranz, meditiert dabei, sieht den Aras, Sittichen und anderen Paradiesvögeln zu, die hier leben. „Schauen Sie dieses schöne Exemplar.“

Vorbei am Vatikan-Bahnhof, der nie in Betrieb ging. Der Tunnel ist zugemauert, das prächtige Gebäude ein kleines Einkaufszentrum mit Elektroartikeln, Chanel-Düften und Swarovski-Schmuck. Augustiner Bräu hat einen Werbestand aufgebaut. Fischer interessiert das wenig.

Vorbei am Hubschrauberlandeplatz und an der leoninischen Mauer aus dem 9. Jahrhundert. In einem ihrer Türme verbrachte Papst Johannes XXIII. gern die Sommer. „Da ist es schön schattig, da hat er sich oben reingehockt.“ Vorbei an einer prunkvollen Glocke, wie ein Denkmal in den Rasen gepflanzt. Fischer findet, sie sollte verschenkt werden: „Eine Glocke muss doch klingen, eine Glocke will doch einladen, versammeln, etwas zusammenbringen, etwas verkünden, etwas ins Schwingen bringen, erwärmen . . .“ Er kann gar nicht aufhören.

Fischer will Hirte sein

Vorbei am früheren Kloster „Mater Ecclesiae“, wo Benedikt nach seinem Rücktritt sehr zurückgezogen lebt. Manchmal macht er sich auf den Weg hinab zum Campo Santo und hält dort die Frühmesse. Er gehört schließlich dazu. 120 Mitglieder hat die Erzbruderschaft der Schmerzhaften Muttergottes: Männer und Frauen, Deutsche, Österreicher, Schweizer, Elsässer, Lothringer, Südtiroler und Flamen, die in Rom oder Umgebung leben. Sie versammeln sich regelmäßig bei Fischer, um zu beten. Er ist Seelsorger, besucht Kranke, gratuliert zu Geburtstagen. An Fronleichnam machen sie eine Prozession und einmal im Jahr einen Ausflug. „Es soll eine lebendige Gemeinde sein“, sagt Fischer.

Fischer feiert im Kreis von zwölf Hausbewohnern den Morgengottesdienst. Auf Deutsch. Wenn in der kleinen Renaissancekirche die Orgel erklingt, dazu Männerstimmen „Bis in den Himmel reicht deine Liebe“ singen, hat das etwas Berührendes.

Ein Rektor im Niemandsland

Als 1929 der Vatikan zum souveränen Staat wurde, blieb der Campo Santo außen vor. Er liegt im Vatikan, ist in deutscher Hand und gehört zu Italien. Die Grenze verläuft um die Friedhofsmauer. Eine Art Niemandsland, wo sich keiner groß einmischt. Vor ein paar Jahren ließ Fischer eine Pergola auf die Terrasse bauen, vergaß aber, eine Baugenehmigung einzuholen. Er war dann ziemlich überrascht, wie groß das Ding wurde. „Oh je, wenn das mal keinen Ärger gibt“, dachte er. Keiner sagte was.

Keiner wohnt näher am Petersdom als Fischer. Ein paar Schritte, und er hat frühmorgens die Basilika, in der 10 000 Menschen Platz finden, für sich allein: Michelangelos Pietà, das Petrusgrab unter dem Goldenen Baldachin, die zubetonierte Heilige Pforte, die nur jedes Vierteljahrhundert einmal geöffnet wird. Eigentlich wäre es erst 2025 wieder so weit gewesen, aber Papst Franziskus hat 2016 zum außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. „Er erkannte: jetzt ist der Kairos. Der Zeitpunkt, den man nicht ungenutzt verstreichen lassen darf, um Liebe ins Herz zu legen“, sagt Fischer. „In der Barmherzigkeit erkennen wir uns ja auch selbst.“

Er ist im Jahr 2000 mit seinen Eltern durch die Heilige Pforte gegangen. Ein großes Erlebnis. Sein Vater wird wohl dieses Mal nicht dabei sein, er hatte einen Schlaganfall. Hans-Peter Fischer, Jahrgang 1961, ist mit sechs Geschwistern in Freiburg aufgewachsen, genoss eine „fromme, aber nie frömmelnde“ Erziehung. Der Vater war Pfarrgemeinderat und für die CDU in einem Stadtteilverband. Glaube und Welt gehörten für ihn immer zusammen. „Die Familie ist die wichtigste Ausbildungsstätte, in der Familie lernt man eigentlich alles“, sagt Fischer. Er studierte Philosophie und Theologie, promovierte in Kirchenrecht, wurde Diözesanrichter in Freiburg, Pfarrer in Donaueschingen. 2010 rief man ihn nach Rom. Italienisch lernte er schnell.

Die Geschichte beginnt im 8. Jahrhundert

„Das ist die einzige Privatsphäre, die ich habe“, sagt Fischer. In seiner Miniwohnung liegen CDs mit Beethoven-Sinfonien, auf dem Balkon wächst ein Zitronenbäumchen, in der Vitrine steht viel aus Glas, auf der Kommode thront eine Holzfigur, die Nikolaus von Flüe (1417–1487) darstellt. Der Mystiker ließ sein Leben als Bauer, Ratsherr, Ehemann und Vater hinter sich, um als Einsiedler in die Tiefe der göttlichen Seele zu blicken. „Ihn verehre ich stark.“

Fischer muss eine Gruppe deutscher Pilger empfangen. Er hatte ihnen gesagt, dass sie gerne vorbeischauen dürften, wenn sie in Rom seien. Jetzt sind sie da. „Aber bleiben Sie noch hier sitzen, trinken Sie in Ruhe Ihren Kaffee“, sagt er, lässt keinen Widerspruch zu und ist schon weg.

Die Geschichte des Campo Santo beginnt im 8. Jahrhundert. Karl der Große lässt neben der Petersbasilika eine Schola bauen, die Pilgern aus dem Frankenreich Herberge und Hospital sein soll. Seit dem 15. Jahrhundert ist der Campo Santo im Besitz der Bruderschaft der Schmerzhaften Muttergottes. 1876 wird daraus ein Kolleg für Priester aus deutschsprachigen Ländern. Heute steht es auch mal anderen Europäern offen, aber Haussprache ist Deutsch. Hier leben Gelehrte, die ihr Wissen an einer der theologischen Hochschulen Roms mehren. Künftige Führungsleute: wer hierher entsandt wird, ist oft für höhere Aufgaben bestimmt. Viele spätere Professoren und Bischöfe fanden in einem der 26 nach Bistümern benannten Zimmern ein Zuhause auf Zeit. Als er schon Präfekt der Glaubenskongregation war, wohnte Joseph Ratzinger einige Monate im Zimmer Köln.

„Es ist ein Luxus, wenn man angesichts des Priestermangels hier sein darf“, sagt Fischer. „Die Jahre im Campo Santo sind Freiheitsjahre, sie können einem geistige Weite schenken. Ich sage den Kollegiaten immer: Lasst euch nicht zu sehr einspannen. Besuche sind schön und gut. Aber nutzt die Zeit, um die Freiheit auszuschöpfen. Gebt euch ganz eurer Sache hin.“

Rosenkranz in den Vatikanischen Gärten

Da ist der junge zurückhaltende Mann aus Sarajevo, mit seinen 25 Jahren bereits zum Priester geweiht. Sein Bischof hat ihn dazu berufen, ein Zusatzstudium in Spiritualität zu machen, um ihn danach als Formator in einem Orden einzusetzen. Oder der junge höfliche Mann aus dem Bistum Regensburg. Er hat Theologie und Jura studiert, promoviert, nun widmet er sich vom Campo Santo aus ein paar Jahre dem Kirchenrecht. Für 600 Euro Monatsmiete bei freier Kost und spartanischer Ausstattung. Die meisten Zimmer sind ohne Toilette, und die Dusche dosiert das Warmwasser am Morgen nach Belieben. Zur Hausordnung gehört Mittagsruhe. Wer nach 23 Uhr heimkommt, wird vom Posten notiert.

Fischer geht abends gern in den Vatikanischen Gärten spazieren, vorbei an den Granatapfelsträuchern, den alten Kakteen und Agaven. Betet den Rosenkranz, meditiert dabei, sieht den Aras, Sittichen und anderen Paradiesvögeln zu, die hier leben. „Schauen Sie dieses schöne Exemplar.“

Vorbei am Vatikan-Bahnhof, der nie in Betrieb ging. Der Tunnel ist zugemauert, das prächtige Gebäude ein kleines Einkaufszentrum mit Elektroartikeln, Chanel-Düften und Swarovski-Schmuck. Augustiner Bräu hat einen Werbestand aufgebaut. Fischer interessiert das wenig.

Vorbei am Hubschrauberlandeplatz und an der leoninischen Mauer aus dem 9. Jahrhundert. In einem ihrer Türme verbrachte Papst Johannes XXIII. gern die Sommer. „Da ist es schön schattig, da hat er sich oben reingehockt.“ Vorbei an einer prunkvollen Glocke, wie ein Denkmal in den Rasen gepflanzt. Fischer findet, sie sollte verschenkt werden: „Eine Glocke muss doch klingen, eine Glocke will doch einladen, versammeln, etwas zusammenbringen, etwas verkünden, etwas ins Schwingen bringen, erwärmen . . .“ Er kann gar nicht aufhören.

Fischer will Hirte sein

Vorbei am früheren Kloster „Mater Ecclesiae“, wo Benedikt nach seinem Rücktritt sehr zurückgezogen lebt. Manchmal macht er sich auf den Weg hinab zum Campo Santo und hält dort die Frühmesse. Er gehört schließlich dazu. 120 Mitglieder hat die Erzbruderschaft der Schmerzhaften Muttergottes: Männer und Frauen, Deutsche, Österreicher, Schweizer, Elsässer, Lothringer, Südtiroler und Flamen, die in Rom oder Umgebung leben. Sie versammeln sich regelmäßig bei Fischer, um zu beten. Er ist Seelsorger, besucht Kranke, gratuliert zu Geburtstagen. An Fronleichnam machen sie eine Prozession und einmal im Jahr einen Ausflug. „Es soll eine lebendige Gemeinde sein“, sagt Fischer.

Sein Gehalt zahlt die Deutsche Bischofskonferenz, das Haus muss sich durch die Spenden und Einnahmen tragen. Ein paar Zimmer hat Fischer frisch streichen lassen und mit Klimaanlage ausgestattet. „Aber das muss alles grundlegend saniert werden, da reichen hunderttausend Euro nicht.“

Fischer will Hirte sein für die Kollegiaten, die Pilger, die Mitbrüder. Er will eine „Willkommenskultur“ schaffen. Er hat eine Ausstellung über das Zweite Vatikanische Konzil gemacht, die zurzeit in der kleinen Kirche zu sehen ist. So eine Aufbruchsstimmung wie damals täte heute wieder gut, glaubt er: „Die Kirche muss frommer werden. Nichts gegen die Wissenschaft, aber das Herz der Kirche ist die Liebe.“

Mit seiner offenen Art, seiner fast kindlichen Herzlichkeit ist der große, schlanke Mann auch ein Paradiesvogel im Vatikan. Einmal war er zum Baden am Lido di Ostia. Als er vom Strand zurückkam, war das Auto aufgebrochen. Die Diebe hatten nicht nur die Brieftasche, sondern gleich alle seine Kleider gestohlen. So musste er nur mit kurzer Hose am Steuer die Schweizer Garde passieren und schnell ins Haus huschen. Das kann jedem passieren. Aber irgendwie passt es auch zu Hans-Peter Fischer.

Die Leiden eines Priesters

„Ein Priester ist kein Supermann“, sagt er. „Leiden gehört dazu. Vielleicht kann man dann liebevoller und barmherziger zu den anderen sein.“ Ein Priester ist nicht immer ein Fels. „Man ist manchmal auch einsam hier“, sagt Fischer. Echte Freunde hat er nur wenige gefunden. „Der Vatikan ist ein Dorf mit ein paar Hundert Bewohnern. Und jeder weiß alles über jeden. Man muss vorsichtig sein, wem man sich anvertraut.“ Auch ein Priester hat Zweifel. Wird er dem Vergleich mit seinem Vorgänger Erwin Gatz je irgendwie standhalten können? „Ich weiß, ich kann der Bruderschaft nicht so viel wissenschaftlichen Input geben. Es gibt Mitbewohner, die sind viel intelligenter als ich. Vielleicht kann ich ja andere Sachen.“

Mehr als 1400 Namen sind in die Grabplatten des Campo-Santo-Friedhofs gemeißelt. Der älteste Stein gehört einem Junker Hans zu Rodenstein, der im Jahr 1500 den Tod fand. Bis heute haben alle deutschen Pilger, die in Rom sterben, und alle Mitglieder der Erzbruderschaft das Recht, auf dem Heiligen Feld bestattet zu werden. Ein kleiner Bub aus Argentinien fand hier auch die letzte Ruhestätte. Er war unheilbar krank und hatte nur einen letzten Wunsch: ein Grab im Vatikan. Papst Franziskus fragte Hans-Peter Fischer.

„Tod ist für mich heimkommen“, sagt Fischer. „Ich glaube, dass ich dann Menschen wiedertreffe, die mir lieb waren. Wenn es die Auferstehung nicht gäbe, wäre meine Tätigkeit nur die eines Clowns. Und ich will nicht ewig den Clown spielen.“