Am 1. November ist Weltvegantag. In Tel Aviv, einer Hochburg der veganen Bewegung, stehen rein pflanzliche Gerichte auf nahezu allen Speisekarten. Selbst die Armee nimmt Rücksicht auf vegan lebende Soldaten.

Tel Aviv - Sonntagabends tanzt Tamara Elichakov noch immer auf den Tischen im Nanuschka. In einem georgischen Restaurant gehören Musik und Tanz einfach zu einem guten Essen. Wer darunter üppige Fleischportionen versteht, ist allerdings an der falschen Adresse. Im Nanuschka werden die Haschapuri nicht mit Rind, Lamm und Käse gefüllt, sondern mit Tofu und Spinat. Fleischlos sind auch alle anderen Spezialitäten, die im Nanuschka serviert werden.

 

Die Besitzerin Nana Shrier, 47, hat ihr  zweistöckiges Lokal in der Tel Aviver Lilienblumstraße komplett auf vegan umgestellt. Einfach war das nicht. Ihr Koch, wie die Chefin georgischer Herkunft, zog die Schürze aus und lief davon. Auch Stammgäste rieten ab, das sei „doch nicht mehr georgisch“. Beirren ließ sich Shrier nicht. Vor zwei Jahren habe sie Filme über Massentierhaltung gesehen. „Wenn man nur ein bisschen Mitgefühl hat, kann man danach keine tierischen Produkte mehr genießen.“  Manche Kunden blieben weg, viele neue kamen.   Wer vegan isst, liegt in Israel voll im Trend. Selbst die US-Kette Domino bietet hier seit vorigem Jahr eine reine Gemüse-Pizza überbacken mit Sojakäse an. Kein angesagtes Restaurant kommt mehr ohne pflanzliche Gerichte aus, erst recht nicht in Tel Aviv, das einige das „Mekka der Veganer“ nennen.

Vergleich der Tierschlachtung mit dem Holocaust

Als vorübergehende Mode  lässt sich die Vegan-Bewegung nicht mehr abtun, dazu hält sie sich in Israel schon zu lange. In den neunziger Jahren galt sie noch als alternativ-links, inzwischen breitet sie sich in der etablierten Mittel- und Oberschicht aus. „Das ist, was man mit der Welt von heute verbindet“, meint der Ernähungspsychologe Rafi Grosglik. „Man ist Gourmet, fühlt sich im Einklang mit der Natur und dazu kosmopolitisch.“    

Dass bei Israelis radikale Tierschutzaktivisten wie der jüdisch-amerikanische Vegan-Guru Gary Yourofsky so gut ankommen, hat noch andere Gründe. Yourofsky vergleicht die Schlachtung von Tieren mit dem Holocaust – eine Provokation, die einen israelischen Nerv berührt. „Unsere Gesellschaft neigt zu einem schrillen Diskurs, zu überzogenen Argumenten“, stellt Grosglik fest. Viele junge Israelis sind überzeugt, die Welt werde in fünfzig Jahren angewidert den Kopf darüber schütteln, dass die Menschheit je „Tier-KZs“ erlaubt habe. Sie wolle nicht wie jene Leute sein, die den Holocaust erlebt, aber später nichts davon gewusst haben wollten, bekannte eine 16-Jährige auf einem Vegan-Fest.  

Mehr Teilnehmer bei Kundgebung als bei Friedensdemo

„Man kann eine Menge Ideologie in den Veganismus packen“, sagt Grosglik, der über Bionahrung in Israel dissertiert hat. Enttäuscht vom Friedensprozess mit den Palästinensern, engagiere sich die heutige Generation lieber für Tierrechte. Eine Kundgebung von Vegan-Freuden und Tierschützern brachte Anfang Oktober etwa 10 000 Anhänger in Tel Aviv auf die Beine – mehr als dreimal so viel wie wenige Wochen darauf eine Friedensdemo.

  Tali, 41, wäre gerne auf beiden Veranstaltungen dabei gewesen. Sie lebt seit 15 Jahren vegan, eine Veteranin der Bewegung. „Heute muss man sich zumindest nicht mehr dafür entschuldigen“, stellt sie fest. Die politische Lage macht sie ratlos. „Wenn man gegen die Tierindustrie kämpft, setzt man sich doch auch für die Unterprivilegierten ein. Wir Veganer sind jedenfalls auf Seiten der Opfer“, betont sie.

Soldaten müssen keine Lederboots tragen

Die israelische Armee nimmt auf die Veganer längst Rücksicht. Zu Mittag bieten die Kasernenkantinen vegetarische Schnitzel aus Sojabohnen und Sojajoghurt an. Die paar Hundert Veganer unter den Soldaten müssen keine Lederboots mehr tragen, sondern bekommen Kampfstiefel aus tierfreiem Material. An den Farben der nicht-ledernen Kappen, Schulterriegel und Gürtel werde noch gearbeitet, sagt die Versorgungsoffizierin Liron Segal. „Damit sich die Uniformen der Veganer äußerlich nicht von regulären zu unterscheiden.“ Die Kosten scheut das Militär nicht, auch wenn die Extraausstattung dreimal teurer kommt.  Die Veganer – geschätzt auf fünf Prozent der Bevölkerung – sind in der Mitte der israelischen Gesellschaft angekommen.

In dem mediterranen Land, in dem ganzjährig frisches Gemüse und Obst gedeiht, sind viele vegane Mahlzeiten auch eine genussreiche Angelegenheit. Nicht wenige Israelis genießen sie zur Abwechslung des Speiseplans. Die jüdische Küche ist zwar nicht arm an Fleisch und berühmt für ihren „gefillten“ Fisch, aber die koscheren Speisevorschriften, die eine strenge Trennung von fleischig und milchig vorschreiben, erleichtern das vegane Leben, da es seit jeher Ersatzprodukte für Milch und Sahne gibt. Und die von den Arabern abgeschauten Falafelbällchen und der Hummus, beides aus proteinreichen Kichererbsen, sind an jeder Ecke zu haben.  

Vegane Ernährung verschönere die Haut und vertreibe Cellulitis, behauptet Nana Shrier. Die Kunden nehmen ihr das ab. Trotzdem ist der Umsatz kleiner als früher. Vor allem an der Bar wird weniger konsumiert. Veganer vertragen offenbar weniger Wodka als Fleischesser, die gerne Hochprozentiges für die Verdauung kippen.