Der Streit ums Essen hat in Deutschland fast religiöse Züge. Besonders Veganer werden attackiert. Warum nur?

Stuttgart - Das Wort „vegan“ scheint auf manche regelrecht eine Triggerwirkung zu haben. Insbesondere wenn in den sozialen Netzwerken Artikel über Veganer gepostet und geteilt werden, lassen die ersten bösen Kommentare meist nicht lange auf sich warten. Veganer und Nichtveganer geraten regelmäßig aneinander. Auf Facebook war etwa die Entrüstung groß, als der Fanta-Vier-Manager Andreas Läsker ein Benefizfestmahl des Schlagerstars Frank Zander kritisierte, weil Gans auf der Speisekarte stand. Der Veganer Läsker war empört, dass für das Menü Tiere sterben mussten. „Der Stinke-Bär Läsker hat einen an der Waffel“ war daraufhin zu lesen. Es hagelte Kritik an der „radikalen Missioniererei“.

 

Kritiker sprechen von „Veganfaschismus“

Auch nicht vor Kritik gefeit ist der Kochbuchautor Atilla Hildmann, Aushängeschild der Vegan-Szene. Bei einer Lesung im Dezember belästigten vermummte Aktivisten die Besucher. „Ich weiß gar nicht, ob es militante Metzger waren oder sehr linke Veganer“, sagte Hildmann danach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Ich gerate mit beiden Gruppen aneinander.“ Die Veganerin, die sich im Februar über das Glockenspiel „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ im Limburger Rathausturm beschwert hatte, bekam ebenfalls mehr als Häme ab. Von „Veganfaschistinnen“ und „Nischenterroristen“ war die Rede.

Warum löst der kategorische Verzicht auf tierische Produkte so heftige Emotionen aus? In Deutschland ernähren sich laut dem Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) rund 5,3 Millionen Menschen (7,6 Prozent) vegetarisch. Etwa 800 000 Deutsche (1,1 Prozent) leben vegan. Dass die vegane Ernährung im Trend liegt, zeigt sich auch im Buchhandel: Im vergangenen Jahr wurden 211 vegane Kochbücher neu veröffentlicht, 2015 waren es 119. Zum Vergleich: 2010 waren es gerade mal drei Stück.

Fleischesser fühlen sich moralisch unterlegen

Veganismus umfasst nicht nur die Ernährung, sondern auch viele andere Bereiche. „Es gibt vegane Mode und Kosmetik, Hotels und auch Autohersteller setzen bereits auf tierleidfreie Materialien“, sagt Wiebke Unger vom Vegetarierbund (Vebu). Vorfälle wie in Limburg würden Veganer leider in ein falsches Licht rücken: „Es geht uns ja nicht um das Verbieten, sondern darum, auf die Folgen des Fleischkonsums aufmerksam zu machen und Lust auf pflanzliche Lebensmittel zu wecken.“

Unger weiß um die Vorurteile gegenüber Veganern und glaubt, dass sich Nichtveganer vermutlich moralisch unterlegen fühlten: „Ich glaube, dass Nichtveganer oftmals das Bedürfnis haben, sich erklären zu wollen, wenn sie einen Veganer treffen.“ Schließlich seien die Vorteile einer veganen Lebensweise vielen bewusst. Auch die vegane Kochbuchautorin Nicole Just (32), die aus einer Fleischerfamilie stammt, meint bei Fleischessern ein schlechtes Gewissen zu erkennen: „Als Veganer gibt man anderen unbeabsichtigt das Gefühl, dass man ethisch korrekter handelt.“

Die Fleischer geben sich gelassen

Just spricht aus eigener Erfahrung: Veganer hätten ihr früher ein Unterlegenheitsgefühl vermittelt. Deshalb sei sie genervt gewesen, wenn jemand in der Schule ein Referat über Massentierhaltung gehalten habe. Fleisch habe ihr eben geschmeckt: „Ich hatte immer das Gefühl, das ist ein Ausdruck der Überlegenheit, die wirklichen Gründe habe ich lieber ignoriert.“ Missionieren wollten die wenigsten Veganer, betonen Unger und Just. „Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen, was er essen und wie er leben will“, sagt Wiebke Unger. Man könne niemandem etwas vorschreiben, nur Anreize geben, Neues auszuprobieren.

Auf eine Diskussion über „moral correctness“ will sich der Deutsche Fleischerverband erst gar nicht einlassen. Zum Thema Veganismus habe der Verband keine Meinung, sagt dessen Sprecher Gero Jentzsch: „Es soll jeder machen, was er für richtig hält.“ Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Essen sei „grundsätzlich positiv“. Auf lange Sicht würden die Veganer den Fleischkonsum nicht nach unten treiben, dafür sei die Gruppe zu klein. Spürbarer sei der Einfluss von Muslimen, die auf Schweinefleisch ganz verzichten. Sven Eschweiler, Systemmanager bei Meatery, einer Restaurantkette mit Schwerpunkt auf Fleischgerichten, glaubt, dass Veganer sich auch in seinen Restaurants wohlfühlen können: „Die Gruppe der Veganer ist in der Esskultur willkommen wie jeder andere auch.“

Beide Seiten geben allerdings zu, dass die Toleranz im Internet wesentlich geringer ist. „In den sozialen Netzwerken sind die Auseinandersetzungen teilweise hart, die Fronten verhärtet“, sagt Jentzsch vom Fleischerverband. Auch die Veganerin Nicole Just erlebt Anfeindungen fast ausschließlich im Netz. Im „echten Leben“ sei sie noch nie so angegangen worden.