Obwohl Präsident Nicolás Maduro Venezuela komplett heruntergewirtschaftet hat, wird er am Sonntag wohl wieder gewählt. Warum nur?

Caracas - Als Nicolás Maduro die Straße in Caracas entlang schreitet, fliegen rote Papierschnitzel und die Menschen rufen eher gequält als frenetisch: „Viva Nicolás, Viva Chavez!“ Ordnungsgemäß feiern die Anhänger der Sozialisten den Präsidenten, der lobt mal wieder die venezolanische Revolution und verspricht: „Die besten Jahre liegen vor uns.“ Die neue Krypto-Währung Petro soll die Kehrtwende bringen.

 

Seit Jahren leiden die Venezolaner unter der Wirtschaftskrise, die Not wird immer größer. Mehr als drei Viertel der Menschen hungern, sie schlachten Zootiere und durchwühlen den Müll nach Essbarem. Acht bis neun Kilogramm Gewicht habe jeder Venezolaner vergangenen Jahr verloren, sagen die Ärzte vor Ort. In den sozialen Netzwerken nennen sie es La dieta Maduro – die Maduro-Diät.

Maduro feuert Breiseiten gegen Trump

Der Präsident behauptet, schuld an der tiefen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise seien keinesfalls die politischen Institutionen im Land, nicht die Misswirtschaft in den verstaatlichten Betrieben. Nein, schuld an der Misere seien allein die USA, die einen Wirtschaftskrieg steuerten. Maduro feuert bei seinen Auftritten Breitseiten gegen US-Präsident Donald Trump und dessen jüngste Sanktionen, die Staatsmedien übertragen live. „Trump, lass Venezuela in Frieden“, brüllen Maduros Anhänger, überwiegend Angestellte im Staatsdienst und in staatlichen Unternehmen, die ihrem Präsidenten glauben. Maduro sieht zufrieden aus.Es ist Wahlkampf in Venezuela, jedenfalls offiziell. Diejenigen, die den Präsidenten wirklich herausfordern könnten, sitzen in Haft, in Hausarrest oder sind im Exil. Leopoldo Lopez etwa, seit fünf Jahren hinter Gittern beziehungsweise in Hausarrest. Oder Henrique Capriles, beim letzten Urnengang knapp unterlegener Kandidat der Opposition und inzwischen mit einem Berufsverbot belegt. „Jeder Gegenkandidat tritt nicht nur gegen den Präsidenten an, sondern gegen Militär, Justiz, Medien und den gesamten Staatsapparat. Wer kann es mit dieser Front korrumpierter Institutionen aufnehmen?“, fragt Reiner Wilhelm, Venezuela-Experte des Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat. „Die Opposition sitzt im Gefängnis, ist ins Ausland geflohen oder macht mit dem sozialistischen Regime gemeinsame Sache, um sich zu bereichern“, beschreibt er die desolate Lage.

Maduro überlässt nichts dem Zufall

Nicolás Maduro, der ehemalige Busfahrer und Gewerkschaftler, hat vor den Wahlen an diesem Sonntag nichts dem Zufall überlassen. Wer ihm gefährlich werden könnte, ist aus dem Weg geräumt. Die Wahlen wurden vor ein paar Wochen so überstürzt ausgerufen, dass der Rest der Opposition nicht einmal mehr Zeit hatte, in Vorwahlen einen eigenen Kandidaten zu bestimmen. Das Oppositionsbündnis „Tisch der Einheit“ (MUD) boykottiert den Wahlgang gleich ganz, weil es nicht an freie und faire Wahlen glaubt.

Damit ist der Weg frei für Maduro. Seinen Wahlsieg hat er schon im vergangenen Jahr vorbereitet. Damals ließ er das frei gewählte Parlament entmachten, in dem die Opposition die Mehrheit bildete. Doch Maduro pfiff auf den Wählerwillen und ersetzte die Nationalversammlung durch eine verfassungsgebende Versammlung, besetzt mit linientreuen Sozialisten. Die riss alle Kompetenzen an sich. Plötzlich waren die Wahlverlierer wieder am Drücker und regierten, als habe es die Parlamentswahlen nie gegeben.

Wenn Maduro am Sonntag antritt, gibt es dennoch Gegenkandidaten. Henri Falcon, ehemaliger Gouverneur der Provinz Lara, geht für die Avanzada Progresista ins Rennen, eine Partei, die sich als solidarisch und progressiv bezeichnet. Wenn der 56-Jährige zur Pressekonferenz in Caracas bittet, spult er das ganze Programm ab, das von einem Gegenkandidaten erwartet wird. Er nennt es die „große Transformation Venezuelas“.

Ist der Gegenkandidat Falcon gekauft?

Falcon will die Hyperinflation von rund 1300 Prozent, die den Venezolanern jede Lebensgrundlage nimmt, mit Hilfe des US-Dollars bekämpfen – ausgerechnet mit der Währung des ideologischen Todfeindes USA. „Es muss wieder möglich sein, an einen Geldautomaten zu gehen und auch tatsächlich Geld zu bekommen“, sagt Falcon. Er verspricht Privatisierungen und ausländische Investitionen, die nach einem Regierungswechsel wieder ins Land strömen würden. Millionen Landsleute dürften ihm zustimmen – zumindest theoretisch. Doch Falcons Rolle ist umstritten. Oppositionspolitiker werfen dem ehemaligen Mitstreiter des Revolutionsführers Hugo Chavez vor, eine Marionette der Regierung zu sein: Er solle den Wahlen einen demokratischen Anstrich verleihen. Und zumindest nach außen hin solle es so aussehen, als hätten die Venezolaner eine Wahl. Allein der Verdacht, Falcon mache hinter dem Rücken gemeinsame Sache mit seinen ehemaligen Weggefährten und sei in Wahrheit gekauft, macht ihn nahezu chancenlos. Während Maduro laut Umfragen auf rund 55 Prozent der Wählerstimmen zählen kann, dürfte Falcon nur auf 25 Prozent kommen.

Völlig chancenlos ist demnach der evangelikale Priester Javier Bertucci, dem knapp 16 Prozent vorausgesagt werden. Dennoch spekulieren einige venezolanische Medien darüber, dass es im letzten Moment noch eine Überraschung geben könnte – etwa wenn das Bündnis MUD doch zur Teilnahme an der Präsidentschaftswahl und zur Unterstützung Falcons aufruft.

Sehr wahrscheinlich ist ein solches Szenario indes nicht. Stattdessen geht die schier endlose venezolanische Krise in die nächste Runde. Zahlreiche lateinamerikanische Staaten haben bereits angekündigt, die Wahlen nicht anzuerkennen.