Die Exponate der 1936 in Berlin geborenen Vera Mercer sind derzeit die Hingucker in der Galerie Stihl Waiblingen – und zieren nun auch das neue Programmheft der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Eine Wiederentdeckung.

Dieser Tage fanden Kulturinteressierte aus der Region Stuttgart das brandneue Programmheft der Ludwigsburger Schlossfestspiele in ihren Briefkästen. Für Freunde der Bildenden Kunst und speziell der Galerie Stihl Waiblingen ergab dies einen besondere Nanu-Effekt: „Die Fotos kenne ich doch!“. Denn die Motive auf dem Titelbild und in der gesamten Broschüre kamen einem sehr bekannt vor. Es sind Werke der betagten Fotografin Vera Mercer – in ihrer Farbkraft aktuell die absoluten Hingucker der Waiblinger Ausstellung „Ein Fest für die Augen“.

 

Mehrere Fischköpfe, Rosen, Krabben, eine brennende Kerze – das alles ist auf „Crab“ aus dem Jahr 2009 zu sehen. Als großes Gemälde ziert es (neben dem zweiten Foto „The Table“) die Ausstellungsräume am Waiblinger Remsufer. Und im Ludwigsburger Katalog haben es die Programmmacher für die innere Rückseite des Covers auserkoren.

Vera Mercer in ihrem Atelier mit den Fotokunstwerken Foto: Gerhard Kassner

Geboren in Berlin

Vera Mercer ist zweifelsohne eine Legende in ihrem Metier. Geboren wurde sie im November 1936 in Berlin, als die Nazis nach der Blend-Schau der Olympischen Spiele wieder so richtig mit ihrem Treiben loslegten. Später machte sie, wie sie in ihrer Biografie schreibt, ihr Tanz- und Gymnastikdiplom. 1958 heiratete sie den Schweizer Eat-Art-Künstler Daniel Spoerri (er ist auch in Waiblingen mit einem Exponat vertreten), zog mit ihm nach Paris, begann zu fotografieren, erstellte wandgroße Fotogemälde, porträtierte Hochkaräter wie Marcel Duchamp, Niki de Saint-Phalle und Jean Tinguely, erstellte Reportagen über Samuel Beckett und Andy Warhol. Ihre Studios beziehungsweise Wohnorte befinden sich in Omaha (Nebraska) und Paris.

Wer von Vera Mercers großformatiger Pracht in Waiblingen nicht genug bekommen kann, darf sich in einigen Monaten nach Ludwigsburg aufmachen. Unter der Regie des neuen Intendanten Lucas Reuter erweitern die Schlossfestspiele – ähnlich dem Pendant in Salzburg – in dieser Spielzeit erstmals ihr Programm um den Bereich Bildende Kunst: „Jedes Jahr werden Arbeiten einer Künstlerin oder eines Künstlers unsere Bildwelt prägen und im Residenzschloss ausgestellt“, heißt es im Programmheft. Die 15 wundervollen Fotokunstwerke haben quasi sprechende Titel – etwa „Peaches and Apples“, „Sardine in Sauceboat“, „Big Bouquet“ oder „Flowers in our Apartment“.

Wichtig für die Ausstellungen in Waiblingen und Ludwigsburg ist die Kooperation mit der Galerie Schlichtenmaier (Stuttgart und Schloss Dätzingen). Der promovierte Kunstwissenschaftler Günter Baumann hatte diesbezüglich die Fäden in der Hand. Er setzt auf die Wiederentdeckung einer Künstlerin „mit einer faszinierenden Vita“, die noch deutlich mehr Aufmerksamkeit gerade in Deutschland verdient hätte.

Arrangements aus Fisch und Blumen

Baumann erläutert mit Verweis auf ein Interview Vera Mercers: „Für die Fotografien inszeniert sie nach dem Einkauf frischer Zutaten die Arrangements aus Fisch, Geflügel und Wild, Früchten, Kräutern und Brot, die sie mit wertvollen Gläsern, Blumen und brennenden Kerzen kombiniert.“ Die Ausstellung „Ein Fest für die Augen“ in der Galerie Stihl ist noch bis Sonntag, 2. März, zu sehen, von 11 bis 18 Uhr, am Donnerstag bis 20 Uhr. Bei den Schlossfestspielen Ludwigsburg ist dann eine Auswahl der weltweit präsentierten Arbeiten von Vera Mercer vom 1. Juni bis 17. Juli in der alten Porzellanmanufaktur des Residenzschlosses zu sehen.

Die (Wieder-)Entdeckung einer fast 90-jährigen Fotokünstlerin, ein Gemeinschaftsprojekt in Waiblingen und Ludwigsburg – phänomenal.