Dafür, dass viel Verantwortung auf seinen Schultern lastet, macht Klaus Kempter einen erstaunlich vergnügten Eindruck. Wenn er von den notwendigen und zum Teil dramatischen Veränderungen in der katholischen Kirche spricht, bleibt der 55-Jährige stets positiv, lächelt immer wieder, betont die Chancen. „Ich bin grundsätzlich ein Typ, der Lust hat, strategisch zu denken und etwas zu entwickeln“, sagt Kempter, der seit Anfang 2023 als einziger Pfarrer den vier katholischen Gemeinden in Böblingen vorsteht, „aber manchmal gibt es schon Momente, in denen ich mich frage, ob die Kraft reichen wird.“ Denn neben seinen Aufgaben als „Change Manager“, wie Kempter es selbst nennt, hat er pro Monat 25 bis 30 Gottesdienste zu gestalten und viele weitere seelsorgerische Aufgaben zu erfüllen – ein Mammutprogramm. „Mein Team unterstützt mich hervorragend“, betont er dabei.
30 Prozent der Räume soll bis 2040 wegfallen
Ob evangelisch oder katholisch, derzeit müssen sich die großen Kirchen neu erfinden. Ein Schwund an Gläubigen, weniger Pfarrer, sinkende Einnahmen – dies alles erfordert grundlegende Reformen, neben inhaltlichen Fragen stellen sich insbesondere organisatorische. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat bereits Ende 2023 vorgegeben, dass 30 Prozent der beheizten und nicht sakralen Räume bis 2040 wegfallen sollen, womit vor allem Gemeindehäuser und Büros gemeint sind. „Die Entscheidungen sollen wir bereits bis 2027 liefern“, erläutert Kempter, „was ich für unglücklich halte, weil ein zweiter Prozess eigentlich voranstehen müsste.“
Damit meint der Böblinger Pfarrer die Neustrukturierung der Gemeinden und Verantwortlichkeiten. Im Herbst will die Diözese Vorschläge machen, welche Größenordnungen sie sich in Zukunft vorstellt, die tatsächliche Veränderung würde dann in den folgenden fünf Jahren umgesetzt. „In Böblingen werden die Gemeinden mit Sicherheit fusionieren, aber womöglich sogar darüber hinaus, also zum Beispiel mit Sindelfingen“, wagt Kempter einen Blick in die Glaskugel. Klar ist wohl auch, dass in zehn Jahren etwa ein Drittel weniger pastorales Personal zur Verfügung stehen wird, Tendenz weiter sinkend. Um eins nach dem anderen sinnvoll hinzubekommen, will Klaus Kempter in Böblingen also den Räume-Prozess eher verlangsamen und den Struktur-Prozess eher forcieren. Gleichzeitig muss sich die evangelische Kirche ebenso mit gewichtigen Raumfragen auseinandersetzen. Womöglich ergibt sich die Möglichkeit, Gemeindehäuser gemeinsam zu nutzen. „Wenn die evangelische Kirche diesbezüglich schneller sein sollte als wir, sind wir offen, bereits Optionen auszuloten.“
Sowieso hat Klaus Kempter mehrere Projektgruppen in Böblingen initiiert. Eine davon wird sich demnächst ganz pragmatisch damit auseinandersetzen, aus den vier Gemeindebüros organisatorisch eines zu machen. „Das ist einfach sinnvoll“, betont Kempter. Wo und wie, sei aber noch völlig unklar. Ein weiteres Team soll sich ab Herbst mit den Immobilien in Böblingen befassen. Ein dritter Arbeitskreis beschäftigt sich mit geistlichen Inhalten und hat den Auftrag, eine „pastorale Vision für Böblingen“ zu entwickeln. Zudem gibt es noch eine Gruppe, die den gesamten Prozess steuert.
Gemeindefusion und Gebäudefrage lösen Emotionen aus
„Bei allen Veränderungen auf verschiedenen Ebenen – für die Menschen besonders spannend sind die Fragen der Gemeindefusion und der Gebäude“, sagt Kempter. Was in vielen Fällen große Emotionen auslösen wird, wie der Pfarrer weiß. Wie will er dem begegnen? „Es geht letztlich um Wahrheit, der Blick darauf befreit – das ist meine Erfahrung“, sagt der 55-Jährige. Maximale Transparenz im gesamten Prozess sei wichtig und der Blick auf die Notwendigkeit der Reformen. „Wir werden größere Einheiten haben und uns zentralisieren“, sagt der Pfarrer. Kempter betont dabei auch neue Chancen, zum Beispiel könnte sich eine Art geistliche Stadtteiltreffs ohne Anspruch auf das kirchliche Vollprogramm entwickeln. „Vielleicht wäre das zum Beispiel etwas für das Flugfeld.“
Bei allen Überlegungen und Grobkonzepten wird es in einem Fall demnächst ganz konkret: Die St.-Klemens-Kirche am Herdweg musste im Dezember geschlossen werden. Ein statisches Gutachten hatte ergeben, dass das Dach nicht mehr standsicher sei. Seitdem weichen die Gläubigen ins Gemeindehaus oder in andere Kirchen aus. Die Reparatur wird wohl eine höhere sechsstellige Summe verschlingen. Soll man das tatsächlich in diesem Jahr noch machen? Oder angesichts der anstehenden Reformprozesse lieber abwarten? „Das muss der Gesamtkirchengemeinderat im Sommer abstimmen“, so Kempter, der aber betont, dass mit der Frage der Dachreparatur nicht das Wohl und Wehe von St. Klemens grundsätzlich beschlossen sei – im Gegenteil. „Man könnte sich das Geld jetzt sparen und dort irgendwann in etwas ganz Neues stecken – aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt eben noch unklar.“
Nur eine von vielen kniffligen Entscheidungen, die die Katholiken in Böblingen in naher Zukunft zu treffen haben.
Kirchenwahl am 30. März
Böblinger Gemeinden
Die vier katholischen Kirchengemeinden in Böblingen zählen etwa 9000 Mitglieder: Davon fallen rund 2000 auf St. Klemens, 2100 auf St. Bonifatius, 2700 auf St. Maria und 2200 auf die Vater-unser-Gemeinde auf der Diezenhalde.
Kirchengemeinderatswahl
Am Sonntag, 30. März, steht die Kirchenwahl bei den Katholiken an, dann werden vor allem die Kirchengemeinderäte gewählt. Die Wahlperiode dauert fünf Jahre.