Im Stuttgarter Filmtheater 451 berichtet der Regisseur Dominik Graf vom Scheitern seiner Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ im Fernsehen.

W Stuttgart - as im Fernsehen möglich wäre und was im Fernsehen de facto zu sehen ist – mit dieser immergrünen Diskrepanz beschäftigte sich in der vergangenen Woche eine prominent besetzte Veranstaltungsreihe im Filmtheater 451 . Was Dominik Graf und sein Team im Zusammenhang mit seinem Mehrteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ erlebte, mag bitter gewesen sein, eine neue Erfahrung war es indes nicht.

 

Als der epische Krimi im Frühjahr 2010 im Rahmen der „Berlinale“ an zwei Tagen hintereinander vorgeführt wurde, entfaltete die komplexe Erzählung mit ihren vielen Figuren und verschachtelten Nebenhandlungen einen Sog, dem sich die Anwesenden nicht entziehen konnten. Der Mehrteiler wurde als Event umjubelt und stahl so manchem Spielfilm im Wettbewerb glatt die Show. Während sich die Jubelarien der Kritik im Vorfeld und in Nachbereitung der Erstausstrahlung des Mehrteilers auf „Arte“ häuften, programmierte die ARD die Ausstrahlung im öffentlich-rechtlichen Flaggschiff auf den späten Freitagabend, wo für gewöhnlich circa 3,5 Millionen Zuschauer sich von „Tatort“-Wiederholungen fesseln lassen.

Nun mag es mitunter ambitionierte „Tatort“-Episoden“ geben, aber grundsätzlich besteht ein Unterschied zwischen einer einzelnen, abgeschlossenen Folge einer konventionalisierten Krimireihe und einem komplexen Mehrteiler, der sich den Luxus leistet, auch mal ein paar Handlungsfäden fallen zu lassen und Spannungen erst über mehrere Folgen hinweg aufzulösen. Der weitere Verlauf der Geschichte dürfte noch bekannt sein: Als sich die Zuschauerzahlen des Meisterstücks sich um die zwei Millionen einpendelten, entschied sich der Programmdirektor der ARD „Im Angesichts des Verbrechens“ rasch zu versenden und terminierte die Schlussfolge auf die Zeit nach Mitternacht.

Als diese Distanzierung der ARD von der eigenen Qualitätsproduktion öffentlich wurde, ging die Quote massiv in den Keller. Ältere Zuschauer mochten sich angesichts dieses Verfahrens noch daran erinnern, wie vergleichbar borniert das öffentlich-rechtlich Fernsehen einst mit „Qualitätsproduktionen“ wie Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ oder Edgar Reitz’ „Die zweite Heimat“ umgesprungen ist. Merke: selbst, wenn man – selten genug – Qualität“ produziert, heißt das noch lange nicht, dass man Qualität auch qualitätsbewusst versendet.

Der Sendeplatz besiegelte die Quote

Im Grunde genommen, so der Regisseur Dominik Graf in einem Podiumsgespräch am vergangenen Mittwoch, sei die Quote von „Im Angesicht des Verbrechens“ besiegelt gewesen, als der Sendeplatz am Freitagabend beschlossen wurde. Andreas Schreitmüller, der „Arte-Leiter „Spielfilm und Serien“, weigerte sich allerdings standhaft, von einem „Flop“ zu sprechen. Immerhin hätten konstant zwei Millionen Zuschauer sich auf das Krimiabenteuer eingelassen; dies sei eine Zahl, von der die meisten deutschen Kinofilme nur träumen könnten.

Trotzdem stellte sich die Frage, inwieweit das Fernsehen mittlerweile avancierte Formate produziert, für die dann ein Fernsehpublikum und entsprechende Sendeplätze fehlen. Graf gab zu bedenken, dass die Normalproduktion das Publikum für Unkonventionelles verdorben habe. Er, der sich sonst gerne als Handwerker präsentiert, der sich von Genre-Konventionen kreativ herausfordern lasse und den hehren Status des „Autorenfilmers“ für sich gar nicht beansprucht, gab angesichts des Produktionsaufwandes des Mehrteilers zu, dass ihm persönlich die Quote ziemlich egal gewesen sei. Die Hauptsache sei, dass es „Im Angesicht des Verbrechens““ überhaupt gäbe. Am Donnerstagabend schwärmte Christoph Dreher, Filmemacher und Professor an der Merz Akademie, davon, wie ihm die einschlägigen US-Serien wie „Oz“, „Deadwood“, „The Wire“ oder „Breaking Bad“ den Glauben an das Fernsehen zurückgegeben hätten. Er wertete die von ihm als „Autorenserien“ charakterisierten Produktionen als „Neuerfindung des Fernsehens“ und berichtete von seinen Begegnungen und Gesprächen mit einschlägigen Machern wie Tom Fontana und David Simon. Dreher schwärmte von der Freiheit, die den Kreativen seitens der Produzenten eingeräumt worden seien, Dinge anders zu machen, und wie diese Möglichkeiten genutzt worden seien.

Allerdings: dass die pfiffigen „Autorenserien“ hierzulande zu einem veritablen Kult wurden, geschah nicht dank des, sondern im besten Sinne gegen das Fernsehen. Mag es bei einem Format wie „Lindenstraße“ noch hinreichen, einmal in der Woche vorbeizugucken, so verlangen die komplexen, widersprüchlichen und mehrdimensionalen Dramaturgien der „Autorenserien“ nach anderen Rezeptionsweisen. Erinnert sei daran, dass auch Klassiker wie „Twin Peaks“ oder „The Sopranos“ ihre Suchtwirkung erst entfalteten, als sie auf DVD unabhängig vom Fernsehen greifbar waren. Dominik Graf bestätigte diese These: Woche um Woche erreichten ihn Nachrichten über die glänzende Verkaufszahlen der DVD-Edition seines Fernsehflops.