Der Schriftsteller Sherko Fatah und der Philosoph Julian Nida-Rümelin begeben sich auf die Suche nach den Wurzeln des religiösen Terrorismus. Beide sehen eine Trennung von Politik und Kirche als essenziell an.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Radikale Islamisten haben dem Westen den Kampf angesagt. Erst am Freitag haben Terroristen in einem Hotel in Tunesien und einer Moschee in Kuwait im Namen Allahs Menschen niedergemetzelt. „Die Veranstaltung „Kampf der Werte“ hat eine sehr traurige Aktualität bekommen“, bemerkte Rainer Pörtner, Moderator und Politik-Chef der Stuttgarter Zeitung.

 

„Ich wusste, dass die Welt von dieser Entwicklung eingeholt wird“, sagte Sherko Fatah zum Einstieg in die Diskussion im Schauspielhaus Stuttgart, die von der Robert-Bosch-Stiftung und der Stuttgarter Zeitung organisiert wurde. Der Schriftsteller mit Wurzeln im Irak erinnerte daran, dass die radikalen Islamisten schon vor etwa zehn Jahren mit Entführungen und Enthauptungen Schrecken in der Welt verbreitet haben. Fatah: „Wir haben das Ganze einfach verdrängt.“

Gleich zu Beginn formulierte Pörtner jene Frage, die sich durch das Gespräch zog: „Wie sehr geht es um Macht, wie sehr um Religion?“ Natürlich gehe es bei dieser Auseinandersetzung auch um Werte, erklärte der Philosoph Julian Nida-Rümelin. Die Werte des Westens seien durch Menschen herausgefordert, die sich mit ihrem Tun auf den Koran berufen. Er weigert sich aber, alles auf einen Krieg zwischen den Religionen zu reduzieren. „Was hier in Frage steht, sind die Grundlagen einer menschlichen Weltordnung.“

Warnung vor einem überheblichen Westen

Im selben Atemzug warnte er den Westen vor Überheblichkeit. „Es lohnt ein Blick auf unsere eigene Geschichte“, sagte er. Die Religionskriege im 17. Jahrhundert hätten Europa an den Abgrund der Existenz geführt. „Die religiöse und weltanschauliche Überhöhung machte diese Konflikte so unendlich grausam.“ Erst als der Einfluss des Religiösen zurückgedrängt worden ist, sei eine Lösung des 30-jährigen Krieges möglich geworden. Seine Forderung: „Wir sollten nicht über den Koran oder Bibelstellen diskutieren. Die Herausforderung ist die Zivilisierung der Religion.“

Auch Sherko Fatah hofft auf eine Trennung von Politik und Kirche. „Das ist das zentrale Versäumnis des Islam“, sagte der Schriftsteller. Doch wollte er den Westen nicht aus der Verantwortung entlassen. Grund für den Aufstieg der Islamisten sei auch die schwache Staatlichkeit der Länder in der Region – woran auch die modernen Industrieländer Schuld hätten. So erinnerte Fatah an die Verstrickungen der USA in den Krieg zwischen dem Irak und dem Iran.

Kampf gegen die Moderne

Der Kampf der Dschihadisten sei nicht nur religiös motiviert, sondern auch ein Kampf gegen die Moderne, warf Moderator und StZ-Redakteur Stefan Kister einen weiteren Aspekt in die Diskussion. Man müsse sich in die Situation der Menschen im Irak oder in Syrien versetzen, wand Sherko Fatah ein. „Die USA erklären, sie wollen im Irak, Syrien oder Afghanistan die Menschenrechte verankern, töten dann aber Menschen mit Drohnen.“ Das Kriegsziel sei für die Menschen eine abstrakte Sache, das andere aber erlebten sie als gezielte Mordaktionen. Die großen Worte passten nicht mit dem Geschehen auf dem Boden zusammen, so der Schriftsteller.

Nida-Rümelin warnte davor, den Westen als den „Erfinder“ der allgemeingültigen Menschenrechte zu sehen. So habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg Großbritannien gegen eine Erklärung der Menschenrechte gewehrt, weil London sein Weltreich vor dem Zusammenbruch retten wollte. Erneut warnte der Philosoph den Westen vor Hochmut und garnierte seine Aussage mit einem Beispiel. Im Grundgesetz sei 1948 gegen Widerstände die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau festgeschrieben worden – und war nicht mit dem Familienrecht vereinbar, das erst nach Jahrzehnten geändert wurde. Damals durften Frauen viele Verträge nicht selbst abschließen. Nida-Rümelin: „Wenn nun jemand sagt, die Menschenrechte seien nicht mit dem Koran vereinbar, dann behandeln wir das einfach ebenso.“