Bauwagen und selbstverwalteten Jugendtreffs kann das Aus drohen, wenn der Bund einen neuen Jugendschutzparagrafen beschließt. Jugendverbände laufen Sturm gegen die Gesetzesnovelle.

Stuttgart - Sie treffen sich in Bauwagen oder in Räumen der Kirche oder der Gemeinde. Einfach um zusammen zu sein, oder auch, um vielleicht ein gemeinsames Projekt zu machen. Die lockeren Treffs der sogenannten offenen Jugendarbeit - ohne Gruppenleitung und Programm - sind bei vielen Kindern und Teenagern sehr beliebt. Besonders in den Stadtteilen und auf den Dörfern.

 

Diesen Treffs droht jetzt das Aus durch die von der Bundesregierung geplante Novelle des achten Buches des Sozialgesetzbuches. Das Familienministerium will den Schutz der Kinder und Jugendlichen besonders vor sexuellen Übergriffen erhöhen und hat in den Bauwagen und vergleichbaren Treffpunkten eine so genannte Schutzlücke ausgemacht. Künftig sollen alle Einrichtungen der offenen Kinder – und Jugendarbeit einer Meldepflicht unterliegen, vermutlich auch Bauwagen. So sieht es der neue Paragraf 48b vor. Die Vorschrift könnte geschätzt 20000 selbstverwaltete Gruppen betreffen.

Konzertierte Aktion der Jugendverbände

Dagegen laufen Jugendverbände von den Stadtjugendringen über die Landesverbände bis zum Bundesjugendring Sturm. Jürgen Dorn, der Geschäftsführer des Landesjugendrings hat etwa an den CDU-Fraktionschef und Tuttlinger Abgeordneten Volker Kauder appelliert, sich gegen den neuen Paragrafen auszusprechen, der Stadtjugendring Geislingen hat seine Bundestagsabgeordneten angeschrieben und ist auf positive Resonanz gestoßen. Die konzertierte Aktion der Jugendverbände zieht sich durch die ganze Republik.

Der geplante Paragraf habe keinen Schutzeffekt, argumentieren die Verbände. „Das Gesetz löst viel Bürokratie und Unsicherheit aus“, kritisiert Michael Scholl, der Medienreferent des Bundesjugendrings.

Es sei nicht einmal klar, was eigentlich eine Einrichtung sein soll. Bauwagen, meint Scholl, würden wahrscheinlich schon unter den Begriff fallen. Ist der Jugendraum im Gemeindehaus ein Cliquentreff, oder offene Jugendarbeit?

Bürokratie bremst Bürgermeister

Martin Bachhofer, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg, geht davon aus, dass die selbstverwalteten Jugendräume ein Problem bekommen werden. Er befürchtet, dass Bürgermeister Jugendlichen keine Räume mehr überlassen werden, aus Angst vor der Bürokratie. Gemeldet werden muss, wo die Einrichtung ist, wann sie angefangen hat, wer verantwortlich ist. „Das Gesetz produziert einen hohen bürokratischen Aufwand, der steht in keinem Verhältnis zu Wirksamkeit“, sagte Bachhofer dieser Zeitung.

Das Gesetz sei so wenig durchdacht, dass nicht einmal klar sei, wer melden müsste. „Muss die Gemeinde sehen, welche Treffs es gibt oder macht das das Kreisjugendamt?“ Wer auch immer zuständig sein könnte, bei Verstoß gegen die Meldepflicht droht eine Ordnungswidrigkeit. Offen sei auch, was der öffentliche Träger machen müsse, wenn er die Meldung bekomme. Müsse er regelmäßig kontrollieren, in welchen Abständen? Bachhofer hält das ganze Vorhaben für nicht praktikabel.

Kein Übergriff im Land bekannt

Eine Schutzlücke, die das Bundesfamilienministerium mit dem neuen Paragrafen schließen will, erkennen die Verbände nicht. In Baden-Württemberg ist kein Übergriff aus dem Bereich der offenen Jugendarbeit bekannt. Auch die 200 Fachkräfte aus allen Ländern, die im bundesweiten Kooperationsverbund offene Kinder- und Jugendarbeit zusammengeschlossen seien, hätten noch nie von einem Fall berichtet, sagt Bachhofer. Jedoch sei bundesweit ein Fall bekannt geworden, und zwar aus Schwerin, dem Wahlkreis der bisherigen Familienministerin Manuela Schwesig. Verschiedene Experten argwöhnen, an diesem einen Fall könnte der ganze Paragraf hochgezogen worden sein.

Bachhofer ist angesichts des bürokratischen Aufwands und der undurchsichtigen Lage besorgt: „da machen die Jugendräume lieber zu“. Das wäre aus Sicht der Jugendarbeit fatal. Die Jugendverbände warnen schon jetzt davor, dass Jugendliche davor zurückschrecken könnten, in diesen selbstverwalteten Treffs Verantwortung zu übernehmen. „Die Regelung bremst das ehrenamtliche Engagement aus. Da werden Sachen bedroht, die man echt brauchen kann“, meint der Sozialpädagoge Bachhofer und meint damit den gesellschaftlichen Nutzen der Treffs.

Unterstützung statt Kontrolle verlangt

Die Jugendverbände erkennen in der Meldepflicht ohnehin keinen wirkungsvollen Schutz vor Übergriffen. „Man sollte die selbstverwalteten Treffs nicht stärker kontrollieren, man sollte ihnen Unterstützungsangebote machen“, rät Bachhofer. Er fände es hilfreicher, wenn die Jugendämter zum Beispiel wenn sie den Treffs etwa bei der Kassenführung unter die Arme greifen, auch den Kinderschutz ansprechen.

In dasselbe Horn stößt auch Lisi Maier, die Vorsitzende des Bundesjugendrings. „Wenn die Bundesregierung Kinder und Jugendliche wirksam schützen will, muss sie in Prävention und Beratungsangebote investieren, statt Gesetze beschließen zu lassen, die viel Bürokratie und absehbar Chaos für offene Einrichtungen bringen“, erklärte sie gegenüber dieser Zeitung.

Bundesrat gegen den neuen Paragrafen

Das Kabinett hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen schon im April beschlossen. Die erste Lesung im Bundestag war im Mai. Anfang Juni hat der Bundesrat sich aber auf die Seite der Jugendverbände gestellt und vorgeschlagen, den kritisierten Paragrafen zu streichen. Innerhalb der Bundesregierung wird nach Auskunft des Familienministeriums jetzt die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats abgestimmt. Wann sich das Bundeskabinett mit der Gegenäußerung befasse, stehe noch nicht fest.