Berlin verbietet den Rockerclub Hells Angels. Doch die Mitglieder haben offensichtlich Wind davon bekommen und ihren Club aufgelöst. Nun sucht die Polizei nach einem Leck in den eigenen Reihen.

Berlin – Berlin hat zu einem Schlag gegen die Rockerszene in der Stadt angesetzt: Mit einem Vereinsverbot und einer groß angelegten Durchsuchungsaktion versuchen die Sicherheitsbehörden seit Dienstagabend, gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen – allerdings wurden die Ermittlungen von einer schweren Polizeipanne behindert. Offensichtlich hatten die Rocker vorab Wind von der Aktion bekommen. Verantwortliche in Sicherheitskreisen reagierten entsetzt. Die Polizei vermutet ein Leck in den eigenen Reihen und ermittelt wegen Geheimnisverrats.

 

Am späten Dienstagabend wurde das vom Innensenator Frank Henkel (CDU) verfügte Vereinsverbot gegen die mächtigen Hells Angels MC Berlin City und die Teilorganisation MG 81 dem Verein in seinem Hauptsitz im Stadtteil Reinickendorf zugestellt. 50 Beamte waren zu diesem Zeitpunkt vor dem Clubhaus. Den Mitgliedern werden unter anderem Gewalttaten, Waffendelikte und Drogenhandel vorgeworfen. Seit dem frühen Mittwochmorgen durchsuchten mehr als 500 Polizisten an 30 Orten in der Stadt Wohnungen und von Rockern betriebene Lokale, um Vereinsvermögen und Inventar sicherzustellen.

Die Zustellung des seit Monaten vorbereiteten Verbots war ursprünglich für Mittwoch früh geplant gewesen. Sie wurde vorgezogen, nachdem Informationen über den Plan vorab durchgesickert waren. Mit der Zustellung ist dem Verein mit sofortiger Wirkung jede Tätigkeit untersagt – dazu gehört auch das Verbot, Ersatzorganisationen zu gründen oder einem anderen Verein beizutreten. Genau diesem Punkt kamen die Rocker aber offenbar zuvor. Nach Informationen mehrerer Medien löste sich die Ortsgruppe der Hells Angels am Dienstagnachmittag auf. Vereinsschilder wurden demnach entfernt, Kutten gegen neutrale weiße Shirts getauscht. Der Innensenator erklärte, er sei entsetzt über Hinweise, wonach der Einsatz vorab bekannt gewesen sei. Dadurch sei nicht nur der Einsatzerfolg, sondern auch das Leben von Polizisten gefährdet. Er werde dies nicht akzeptieren. Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei zeigte sich sehr verwundert über den Vorfall. So etwas kenne er „sonst nur aus dem Kriminalroman“.

Auch in Norddeutschland hat die Polizei zugegriffen

Unklar ist, weshalb das Verbot erst jetzt umgesetzt wurde. Es war seit 24. Mai unterzeichnet. Kurz darauf liefen nach Berichten mehrerer Medien sowohl in Berlin als auch in Potsdam Mitglieder der konkurrierenden Vereinigung Bandidos zu den Hells Angels über. Die „Berliner Morgenpost“ berichtete, das Chapter South Central sei gewechselt. Ein Potsdamer Polizeisprecher bestätigte die Auflösung einer Gruppe. Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) sah sich zu einer Warnung an die Rocker veranlasst: Sein Bundesland sei ein ungemütliches Pflaster. „Wenn sich da jetzt Einzelne bei uns eine Art Rückzugsraum versprechen, dann haben sie sich komplett verrechnet.“ Ermittler fürchten, dass der Übertritt Auftakt zu einer Welle von Gewalttaten sein könnte.

Der Schlag gegen die Berliner Rockerszene folgt zeitlich auf eine groß angelegte Ermittlung in Norddeutschland. Etwa 1200 Beamte hatten vergangene Woche in Kiel, Hannover und Hamburg Bordelle, Kneipen und Wohnungen durchsucht, darunter auch das Haus des Hannoveraner Hells-Angels-Chefs. Dazu war die Sondereinsatztruppe GSG9 eingesetzt worden. In dem Fall geht es auch um den Verdacht eines Tötungsdeliktes. Bei der Razzia wurde nach der Leiche eines seit zwei Jahren vermissten Türken aus Kiel gesucht. Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein ehemaliger Hells Angel als Kronzeuge auftreten wird. Sein Mandant sei im Zeugenschutzprogramm, sagte sein Verteidiger der dpa. In Kiel wird auch gegen drei Beamte wegen Bestechlichkeit ermittelt.

Bundesweit gibt es etwa 3500 Rocker

Die Sicherheitsbehörden sehen die Aktivitäten von Rockern in den vergangenen Jahren mit wachsender Sorge. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, schätzte die Zahl der Rocker bundesweit auf 3500. Die Gruppierungen seien im Drogen- und Waffenhandel und im illegalen Rotlichtmilieu aktiv, sagte er Anfang des Jahres im Rahmen der Berliner Sicherheitsgespräche. Allein der Anteil an Rockergruppierungen bei den Ermittlungsverfahren wegen organisierter Kriminalität spricht dabei Bände: Laut Ziercke wird inzwischen in jedem zehnten Verfahren in diesem Zusammenhang gegen Rocker oder deren Verbindungsleute ermittelt.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, sagte auf derselben Tagung: „In Hannovers Steintorviertel gehen Hells Angels in Ruhe ihren Geschäften nach und beherrschen ganze Häuserblocks. Auch in Hamburg, Flensburg oder Berlin sind sie aus den Rotlichtbezirken nicht wegzudenken.“ Kriminelle Rockergruppen versuchten gleichzeitig, ihren Einfluss auf legale Geschäfts- und Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel das Wach- und Speditionsgewerbe, Gastronomie, Tattoo-Studios und die Erotikbranche auszubauen. Parallel wollten sie durch Wohltätigkeitsveranstaltungen und Spenden gesellschaftsfähig werden und suchten die Nähe zur Prominenz. Schulz bezeichnete dies als klare mafiöse Verhaltensmuster.