Mineralwasser soll nicht nur sauber, sondern ursprünglich rein sein. Die Frage, was das genau bedeutet ist zurzeit heftig umstritten. Das Land hätte gerne scharfe Grenzwerte für Stoffe, die gesundheitlich unbedenklich sind. Die Mineralbrunnen und das Landgericht sind anderer Ansicht.

Vaihingen/Enz - Wer eine Flasche Mineralwasser öffnet, mag dies aus vielen Gründen tun. Weil er sich erfrischen will, sich eine Saftschorle zubereiten möchte, oder weil er an die gesundheitsfördernde Wirkung des Wassers glaubt. Dabei dürfte dem Normalverbraucher kaum bewusst sein, dass er gerade ein höchst kontroverses Lebensmittel genießt. Denn fernab der Öffentlichkeit, an den Schreibtischen von Mineralwasserabfüllern und Behörden, tobt ein heftiger Streit.

 

Es geht im Kern um die Frage, welche Quellen sich in Deutschland überhaupt Mineralwasser nennen dürfen, und vor allem: welche nicht. Im Auftrag des baden-württembergischen Verbraucherschutzministeriums hat das Regierungspräsidium Stuttgart fünf Herstellern im Südwesten, darunter auch Wasser aus der Region Stuttgart, das Gütesiegel „Mineralwasser“ abgesprochen. Dabei geht es nicht etwa um Fragen der Gesundheit. Es geht um eine Grundsatzfrage: Was bedeutet der Begriff „ursprünglich reines“ Mineralwasser?

„Die Stoffe sind nicht giftig oder bedenklich“

Jürgen Ammon hat darauf eine ziemlich komplexe Antwort. Der Referent beim Verbraucherschutzministerium definiert die ursprüngliche Reinheit so, dass ein Wasser bei der Abfüllung völlig frei von allen Stoffen sein muss, die darauf hindeuten, dass sie mit menschlichem Tun in Berührung gekommen sind. Bei den fünf Quellen, denen die Schließung droht, wurden Spuren von sogenannten nicht-relevanten Metaboliten gefunden (siehe „Frisch erforschte Stoffe“). Das sind Überbleibsel, quasi Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln. Es gehe seiner Behörde dabei keineswegs um die Abwehr einer Gesundheitsgefahr, beteuert Ammon. „Diese Stoffe sind nicht bedenklich oder giftig.“ Es gehe um das Grundsätzliche: „Mineralwasser hat frei von menschlichen Einflüssen zu sein.“

Thomas Fritz hat auf die Reinheitsfrage eine wesentlich alltagsnähere Antwort: Natürlich rein sei ein Mineralwasser dann, wenn es am Ursprungsort rein, also frei von gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen ist und dazu noch über einen überdurchschnittlich hohen Mineralstoffgehalt verfügt. Eigentlich könnte der Geschäftsführer der Ensinger Mineralquellen mit Sitz in Vaihingen/Enz die Debatte gelassen verfolgen. Seine Quellen sind von dem Streit gar nicht betroffen, sein Mineralwasser gehört nicht zu den fünf Sprudelmarken, deren Namen wie ein Staatsgeheimnis gehütet werden – aus Angst vor Imageschäden.

„Solche Vorschriften sind weltfremd“

Doch Fritz ist in dieser Sache der Sprecher der baden-württembergischen Mineralbrunnen und kann sich über den Vorstoß des Landes richtig echauffieren. „Solche Vorschriften sind weltfremd. So etwas gibt es bei keinem anderen Lebensmittel – nicht mal bei Säuglingsnahrung.“ Das Bild von der Urzeitquelle, die hermetisch abgeriegelt vom menschlichen Wirken sei, entspreche nicht der Wirklichkeit. „Irgendwann fließt auch bei der tiefsten Quelle jüngeres Wasser nach“, sagt Fritz.

Ihn stört besonders, dass für Trinkwasser, das aus der Leitung kommt, keine bindenden Werte für die strittigen Stoffe gelten. „Auch in Wein, Bier und Saft sind all diese Stoffe auch drin, sogar in deutlich höhere Mengen. Aber sie sind nicht feststellbar“, sagt der Ensinger-Chef. Gerne könnten die Behörden hier deutlich strengere Werte als beim Trinkwasser einführen. Die zurzeit diskutierten Grenzen seien jedoch deutlich zu rigide.

Gericht bremst das Ministerium

Auslöser für den Streit um ein neues Reinheitsgebot für Mineralwasser sind nicht etwa neuartige Stoffe, es ist der wissenschaftliche Fortschritt: Spezialisten des Karlsruher Technologiezentrums Wasser gelang es erstmals, auch nicht-relevante Metaboliten nachzuweisen. Bei anderen, trüben Getränken wie Apfelschorle, Bier oder Limonade funktioniert der Test allerdings nicht. Dass die fünf umstrittenen Brunnen ihr Mineralwasser zurzeit nicht unter dem weit weniger lukrativen Titel Tafelwasser abfüllen müssen, liegt am Verwaltungsgericht Stuttgart. Die Richter gaben den Betreibern Recht und sprachen dem Land die Kompetenz ab, diese Grundsatzfrage im Alleingang zu beantworten. Dazu seien nur die höheren politischen Ebenen, speziell die EU, befugt.

Doch in Brüssel hält man dieses Problem nicht für dringlich, teilt eine Sprecherin der Kommission mit. Es gebe zurzeit wichtigere Fragen, man habe schlicht nicht das Personal, um solche Details zu regeln, ist zu hören. Inzwischen hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz begonnen, die Mineralwasserverordnung zu reformieren. Auch hier findet der südwestdeutsche Verbraucherschutzminister Alexander Bonde offenbar kaum Gehör. Im ersten Entwurf kamen die umstrittenen Metaboliten zwar noch vor. Doch inzwischen ist davon keine Rede mehr. Wohl auch, weil die Länder unterschiedliche Vorstellungen haben.

Stolze Preise – hohe Reinheitsansprüche?

Das Land hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart Berufung eingelegt. „Wir halten diese Argumentation für grottenfalsch“, sagt Jürgen Ammon vom Ministerium. Rückendeckung erhält das Land von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Der Verband sei der Ansicht, dass die höheren Reinheitsansprüche gerechtfertigt seien, „da die Wässer doch zu recht stolzen Preisen – verglichen mit Trinkwasser aus dem Wasserhahn – verkauft werden“, sagt Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin sieht die Sache gelassener. Die strittigen nicht-relevanten Metaboliten seien zu allgegenwärtig, um sie völlig auszuschließen, sagt Heike Itter, Biologin und Mineralwasserexpertin. „Der Zusatz ‚nicht-relevant’ bedeutet, dass sie gesundheitlich unbedenklich sind.“

Frisch erforschte Inhaltsstoffe

Namen –
Die beiden strittigen Stoffe, die in fünf Quellen im Land gefunden wurden, tragen sperrige Namen: Es geht um Desphenyl-Chloridazon und N-Dimethylsuflamid. Ersteres ist ein Umwandlungsprodukt des Unkrautvernichters Chloridazon, letzteres entsteht durch Umbau des Pilzschutzmittels Tolyfluamid. Die Stoffe sind als nicht-relevante Metaboliten (Umbauprodukte) eingestuft, weil die toxischen Bestandteile des Ursprungsstoffs komplett abgebaut sind. Sie gelten als stabil und extrem wasserlöslich und deshalb als ubiquitär – also praktisch allgegenwärtig.

Wirkungen –
Beide Stoffe wurden bereits in zahlreichen Trinkwasserquellen gefunden. Allerdings zumeist in geringer, gesundheitlich unbedenklicher Konzentration. Das Umweltbundesamt hat sich mit der Thematik befasst, da N-Dimethylsulfamid in Wasser, das mit Ozon desinfiziert wird, potenziell Krebs erregende Nitrosamine bilden kann. Die Ozonierung ist bei Trinkwasser grundsätzlich zugelassen – Leitungswasser muss desinfiziert werden. Mineralwasser muss schon ab Quelle mikrobiologisch sauber sein, wenn es ozoniert wird, muss es auf das Etikett geschrieben werden.

Mit Kanonen auf Spatzen geschossen

Die amtlichen Lebensmittelüberwacher sind mit allen Wassern gewaschen. Die Qualität des hiesigen Leitungswassers gilt als gut und wird regelmäßig überwacht. Und die Vielzahl der Stoffe, die in Mineralwasser gemessen und danach regelmäßig überprüft werden müssen, füllt ganze Aktenordner. Gut so.

Doch neuerdings scheint die Regelungsfreude des Verbraucherschutzministeriums in Regelungswut umzuschlagen. Der Umgang der Behörde mit fünf heimischen Mineralbrunnen mutet an wie das sprichwörtliche Schießen mit Kanonen auf Spatzen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: die strittigen Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln sind im Wasserkreislauf unseres Planeten kein Novum. Es gibt sie, seit Menschen mit industriellen Mitteln Landwirtschaft betreiben. Das einzig Neue daran ist, dass man sie nachweisen kann.

Es ist zu begrüßen, dass das Ministerium mit dem wissenschaftlichen Fortschritt geht und diese Metaboliten im Blick hat. Doch die Reaktion auf neue Funde der uralten Stoffe in fünf Brunnen scheint überzogen. Die Fachleute hätten gut daran getan, zusammen mit den Abfüllern zunächst über mögliche Ursachen und Gesundheitsgefahren zu diskutieren, statt gleich die Keule eines Entzugs der Zulassung zu schwingen. Dass so der Verbraucher geschützt wird, darf bezweifelt werden. Denn die umstrittenen Abbauprodukte kommen noch viel häufiger in normalem Trinkwasser vor. Hier zeigen sich die Behörden aber weitaus kulanter – dabei ist Leitungswasser erst Recht in aller Munde.