Zwölf Jahre nach dem Verschwinden der neunjährigen Peggy sucht die Polizei erneut nach der Leiche des Mädchens. Der Anwalt des Verurteilten Ulvi K. wirft den Ermittlern vor, Zeugenaussagen ignoriert zu haben.
Lichtenberg - P
eggys Grab ist leer. Seit zwölf Jahren. Der 7. Mai 2001 steht als Todesdatum auf ihrem Grabstein. An jenem Tag verschwand das neunjährige Mädchen im oberfränkischen Lichtenberg auf dem Nachhauseweg von der Schule. Seit Montag flattert das rot-weiße Absperrband der Polizei vor einem rosafarbenen Haus am Marktplatz in Lichtenberg, nur wenige Meter von Peggys damaligen Elternhaus entfernt. Zwölf Jahre nach Peggys Verschwinden sucht die Polizei mit einem Großaufgebot und schwerem Gerät erneut nach der Leiche des Mädchens. Am Montag durchsuchten Polizisten das Haus von Robert E., sie sollen Computer und Akten mitgenommen haben. Am Dienstag gruben sie im Hof, fanden einen Hohlraum und suchten nach Brunnen oder einer Zisterne. Bis Redaktionsschluss blieb die Suche nach Peggy erfolglos.
Unter den Anwohnern und Journalisten, die die Grabungsarbeiten am Dienstag verfolgen, ist Gudrun Rödel. Sie gehört zum Unterstützerkreis von Ulvi K. Der geistig behinderte 35-Jährige ist wegen Mordes an Peggy nach einem Indizienprozess verurteilt worden. Zu Unrecht, wie viele glauben. Ulvi K. hat unter fragwürdigen Umständen und ohne Anwalt 2005 ein Geständnis abgelegt. Später hat er es widerrufen. Seit seiner Verurteilung ist er in der geschlossenen Psychiatrie.
„Ich bin überzeugt davon, dass Peggy lebt“
Gudrun Rödel verfolgt das Geschehen am Marktplatz im 1100-Einwohner-Ort Lichtenberg mit gemischten Gefühlen. „Ich bin überzeugt, dass sie nichts finden“, sagt sie vor dem Haus von Robert E. Gudrun Rödel glaubt nicht an einen Leichenfund, weil sie nicht an einen Mord glaubt. „Ich bin davon überzeugt, dass Peggy lebt“, sagt sie. Es habe nach ihrem Verschwinden Hinweise gegeben, dass das blonde Mädchen nach Tschechien entführt worden sei. Nach der Verhaftung von Ulvi K., seinem angeblichen Geständnis und seiner Verurteilung sei diesen Hinweisen aber nicht weiter nachgegangen worden.
„Ich glaube nicht, dass sie etwas finden werden“, sagt auch Michael Euler, der Frankfurter Anwalt von Ulvi K. Vor gut zwei Wochen hat er beim Landgericht Bayreuth einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Es gebe neue entlastende Beweise für seinen Mandanten. Zudem sei es absurd zu glauben, dass ein geistig Behinderter ein perfektes Verbrechen begehen könne. Schon 2001 haben Polizisten das Grundstück von Robert E. mit Leichenspürhunden durchsucht und nichts gefunden, sagt Euler. Der Anwalt habe auch mit Nachbarn gesprochen. Auch sie bezweifelten den Erfolg der Suchaktion, sagt er. Sie hätten es doch bemerkt, wenn Robert E. tagsüber ein Loch gräbt, hätten sie dem Anwalt gesagt. Und nachts wären ihnen Grabungsarbeiten erst recht aufgefallen, hätten sie gemeint.
Robert E. ist wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vorbestraft
Am Dienstag schlägt ein Leichenhund an. Die Polizei erklärt es mit einem offenen Kanalrohr. Sie finden einen Hohlraum und Mauerreste. Neben der Stelle suchen sie auch „in kleineren Objekten“ in Mittelfranken und Thüringen. Doch bislang gibt es keinen Hinweis auf Peggy.
Robert E. ist wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vorbestraft. 2008 wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er soll Anfang des Jahrtausends zwei Mädchen missbraucht haben. Peggy verschwand im selben Zeitraum. Die beiden Kinder sollen etwa in Peggys Alter gewesen sein. Robert E. sei nicht festgenommen worden, betont die Polizei. Seine Vernehmung dauerte am Dienstag noch an. Es würden neben E. noch „weitere Personen, die mit dem Anwesen in Zusammenhang stehen“ befragt.
Der Anwalt ist bei den Recherchen auf vier Verdächtige gestoßen
Einen direkten Zusammenhang mit seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und der aktuellen Suche sieht Euler nicht. Er sagt aber auch: „Ohne die Arbeit am Wiederaufnahmeantrag hätte nach dem Ulvi keiner mehr gefragt.“ Für die Justiz sei der Fall erledigt gewesen. Bis jetzt. Die aktuelle Suche habe ihn überrascht, nicht aber die Person, um die es geht, sagt Euler. Schon in seinen eigenen Recherchen sei er auf „vier Verdächtige“ im Fall Peggy gestoßen. Einer von ihnen sei Robert E. gewesen.
Ulvi K. weiß von der aktuellen Suchaktion. Seine Eltern hätten lange mit ihm telefoniert und ihm davon erzählt, sagt Gudrun Rödel. „Doch Ulvi kann gar nicht verstehen, was hier vorgeht“, sagt sie. Und ergänzt: „Eigentlich geht es uns nicht anders.“ Selbst wenn die Polizei Peggys Leiche nun finden würde, käme Ulvi K. wohl nicht umgehend aus der Klinik. „Denn dann bleibt immer noch die Frage: Wie kommt das Mädchen da hin?“, sagt Rödel. Sie hofft auf eine juristische Aufarbeitung mit dem Ergebnis der Rehabilitation von Ulvi K. „Unsere große Hoffnung ist, dass unserem Antrag auf Wiederaufnahme stattgegeben wird“, sagt sie.
Ulvi K. bräuchte ein Gutachten, um frei zu kommen
Ulvi K. sitzt seit seiner Verurteilung 2004 in der forensischen Psychiatrie in Bayreuth. Er sitzt dort, weil er Kinder sexuell missbraucht hat. Doch sein Anwalt sagt, dass auch die Verurteilung wegen Mordes eine Rolle dabei spielt, dass Ulvi K. bis heute nicht wieder frei ist. Doch selbst wenn jemand anderes den Mord an Peggy nun gestehen würde, müsste erst ein psychiatrisches Gutachten erstellt werden, damit Ulvi K. möglicherweise die Klinik verlassen könnte. Vorerst aber bleibt Peggys Grab leer.