Die Kriminalität steigt, gewalttätige Überfälle sind an der Tagesordnung, und plötzlich häufen sich auch noch die Mordfälle. Die Einheimischen machen sich Sorgen. Die Touristen auch.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Barcelona - Die Via Laietana ist eine Prachtstraße quer durch die Altstadt von Barcelona, mit viel Verkehr und gut beleuchtet. Dort wurde am Sonntagabend gegen 21.40 Uhr der afghanische Botschafter in Spanien überfallen. Er war zu einem Privatbesuch in der katalanischen Hauptstadt, als ihn unvermittelt eine Gruppe junger Diebe einkreiste, ihn zu Boden schlug und ihm seine Armbanduhr abnahm. Sie war 17 000 Euro wert. Nicht weit entfernt und etwa zur selben Uhrzeit erlitt eine 91-jährige französische Touristin dasselbe Schicksal. Sie kam erheblich verletzt ins Krankenhaus; in ihrem Fall hatten es die Diebe auf eine Goldkette abgesehen. Ebenfalls in der Altstadt wurde am selben Abend ein Besucher von hinten angefallen, jemand drückte ihm mit dem Unterarm gegen den Kehlkopf, bis er für kurze Zeit das Bewusstsein verlor, und als er wieder zu sich kam, waren aus seiner Brieftasche Bargeld und Kreditkarten verschwunden.

 

So liest sich in diesem Sommer die beinahe tägliche Chronik krimineller Zwischenfälle in Barcelona, der wunderbaren Stadt am Mittelmeer im Nordosten Spaniens mit 1,6 Millionen Einwohnern. Der Bericht in der großen überregionalen Zeitung „La Vanguardia“ erwähnt auch noch den deutschen Touristen, der seit Freitag im Krankenhaus liegt, nachdem er sich einer Gruppe marokkanischer Angreifer zu erwehren versucht hatte, die ihm sein Telefon, eine Goldkette und eine Armbanduhr im Wert von 6000 Euro stahlen. Der Bericht hebt die unerwartete Aggressivität der Diebe hervor, die mit Stöcken auf den Mann einschlugen und ihm Schienbein und Wadenbein und ein Schlüsselbein brachen.

Anfang Juli begannen sich die Mord- und Totschlagfälle zu häufen

Was ist nur in Barcelona los?, fragen sich die Leute. Die Nachrichten aus der katalanischen Hauptstadt klingen immer bedenklicher. Der erste Schock in diesem Jahr kam Ende Juni, als eine hohe Repräsentantin des südkoreanischen Kulturministeriums, zu offiziellem Besuch in Barcelona, während eines Spazierganges mit Landsleuten von einem Motorradfahrer angegriffen wurde, der ihr die Handtasche wegzureißen versuchte. Die 65-Jährige stürzte und schlug mit solcher Gewalt auf dem Boden auf, dass sie drei Tage später starb.

Kurz darauf, Anfang Juli, begannen sich die Mord- und Totschlagfälle zu häufen. Streitereien, bei denen jemand ein Messer zückte, Abrechnungen im kriminellen Milieu. Acht Morde in sechseinhalb Wochen bis Mitte August. Das ist Barcelona nicht gewöhnt. Im gesamten Vorjahr waren in der Stadt zehn Menschen durch die Hand eines anderen ums Leben gekommen. Barcelona ist eine sichere Stadt. Eigentlich. Doch zurzeit macht den Einwohnern nichts größere Sorgen als die steigende Kriminalität. Denn die steigt tatsächlich.

Ein Anstieg aller angezeigten Straftaten um 17,2 Prozent im vergangenen Jahr

In der vom spanischen Innenministerium herausgegebenen Kriminalstatistik für das vergangenen Jahr stach Barcelona mit einem Anstieg aller angezeigten Straftaten um 17,2 Prozent hervor. Im ersten Quartal dieses Jahres kletterte die Kriminalität noch einmal um 12,2 Prozent. Auch beim Vergleich der Straftaten pro 1000 Einwohner ragt Barcelona heraus: Hier waren es im vergangenen Jahr 121, in Madrid 75, in ganz Spanien 46. Wenn die Statistik kein völlig verzerrtes Bild zeigt, dann hat Barcelona ein Problem.

Diese Erkenntnis ist in der Politik angekommen. Der stellvertretende Bürgermeister Albert Batlle wagte vergangene Woche zu sagen, dass Barcelona „ein Sicherheitsproblem“ habe. Welcher Kommunalpolitiker gesteht das schon gerne über seine eigene Stadt ein? Seine Chefin, Bürgermeisterin Ada Colau, versuchte die Dinge am Freitag zu relativieren: Ja, das Rathaus sei besorgt, aber bei den Messerstechereien gehe es um „vereinzelte Fälle“, und ansonsten habe Barcelona mit den selben Sicherheitsproblemen zu kämpfen „wie andere große Städte auch“.

Barcelona hat ein paar spezifische Probleme

Die Bürgermeisterin, die sich in Spanien einst einen Namen als Kämpferin für die Rechte von Krisenopfern gemacht hat, wird von ihren Gegnern persönlich für die ansteigende Kriminalität verantwortlich gemacht, weil sie in ihrer Stadt zu viel durchgehen lasse: illegale Straßenverkäufe zum Beispiel oder „Narcopisos“ – von Drogenhändlern besetzte Wohnungen. Allerdings gibt es die auch in Madrid, wo sie ein ebenso großes Ärgernis sind, ohne dass die Kriminalstatistik deswegen durch die Decke geht.

Barcelona hat ein paar spezifische Probleme. Eines ist die Überflutung mit Touristen, die bei Kriminellen Begehrlichkeiten wecken. Ein anderes ist der katalanische Unabhängigkeitsprozess, der die Politiker vom alltäglichen Politikgeschäft ablenkt – also auch von der Sicherheitspolitik. Sehr wahrscheinlich spielt auch die Anwesenheit besonders vieler unbegleiteter jugendlicher Immigranten eine Rolle. Das sind fast alles junge Männer aus Marokko. Nach Zahlen der katalanischen Regionalpolizei sind 18 Prozent der gut 5600 jungen Leute, die in den vergangenen drei Jahren in Barcelona angekommen sind, in dieser Zeit straffällig geworden. Als die Polizei in der Nacht auf Samstag eine Sonderpatrouille in Zivil losschickte, verhinderte die vier Raubüberfälle. Fast alle festgenommenen Täter waren junge Marokkaner, einer Algerier.