Verbot ab 2035? Fünf Fragen zur Zukunft des Verbrenners
Hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt fordern Abgeordnete des EU-Parlaments in einem Brief auf, gegen das Verbrennerverbot zu stimmen. Warum? Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt fordern Abgeordnete des EU-Parlaments in einem Brief auf, gegen das Verbrennerverbot zu stimmen. Warum? Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt fordern Abgeordnete des EU-Parlaments auf, gegen das Verbrennerverbot zu stimmen. Warum? Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was fordert die Wissenschaft?
Wenige Tage bevor das Europaparlament über ein Verbrennerverbot ab 2035 abstimmt, wenden sich Hunderte von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt mit einem Appell gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene reine „E-Auto-Strategie“ an die Politik. In einem Brief, der unserer Zeitung vorliegt und an 705 Europaabgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten geht, warnen die Hochschullehrer, Institutsleiter und Sprecher von Sonderforschungsbereichen vor den Folgen des politisch verordneten Ausstiegs aus der Verbrenner- und Hybridtechnologie: Die Berechnung des CO2-Fußabdrucks von batterieelektrischen Fahrzeugen, die nach dem Willen der Kommission den Verbrenner ersetzen sollen, sei „nutzlos und irreführend“. Der Mehrbedarf an Elektrizität für die Flotte von E-Autos müsse zu weiten Teilen mit Energie aus Kraftwerken gedeckt werden, die mit fossilen Kraftstoffen befeuert würden. „Bevor eine Technologie verboten wird, muss man die Folgen einer solchen Maßnahme auf die Umwelt korrekt und systematisch erheben“, mahnen die Wissenschaftler.
Sie fordern, synthetische Kraftstoffe (E-Fuels), die nahezu CO2-frei hergestellt werden können, zur Dekarbonisierung des Fahrzeugbestandes einzusetzen. „Ein intelligenter Technologie-Mix (E-Autos und synthetische Kraftstoffe) wird zur wirksamsten Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen.“
Im Fall der reinen E-Auto-Strategie drohe Europa in eine gefährliche Abhängigkeit von China und anderen Weltregionen zu geraten, vor allem bei Rohstoffen und Prozessen. Durch ein Verbrennerverbot „gerät das Wissen der Verbrennertechnologie in Europa verloren und wandert auf andere Kontinente ab“. Technologieoffene Staaten wie etwa China verfolgten bereits intensiv den Pfad von CO2-neutralen Kraftstoffen in Verbindung mit anderen Technologien.
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Der Brief der Wissenschaftler, der von Thomas Koch, Chef des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), initiiert wurde, endet mit einem Appell für Technologieoffenheit: „Technologiefreiheit ist eine wichtige Säule unseres Gemeinwesens und muss von einer ausbalancierten und klugen Regulierung sichergestellt werden.“ Koch wird nicht nur unterstützt von Mitarbeitern an Instituten mit Verbrennerschwerpunkt. Der Stuttgarter Thermodynamik-Experte André Thess, Institutsleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Darmstädter Professor für Energie- und Kraftwerkstechnik, Johannes Janicka, und viele andere haben zugestimmt.
Worüber stimmt das EU-Parlament genau ab?
Vermutlich am Donnerstag stimmt das Europaparlament über zentrale Vorschläge der EU-Kommission zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch Kraftfahrzeuge ab. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass Hersteller von Pkw in der EU den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 bei Neuwagen von 2021 bis 2030 um noch einmal 55 Prozent reduzieren müssen. 2021 durften die Hersteller noch Fahrzeuge produzieren, die im Schnitt 95 Gramm CO2 je Kilometer Fahrt ausstoßen. Der CO2-Ausstoß entspricht dem Verbrauch von Kraftstoffen. Bei einem Verbrauch von vier Litern Benzin auf 100 Kilometern liegt der CO2-Ausstoß etwa bei 95 Gramm je gefahrenen Kilometer. Zudem schlägt die Kommission vor, dass im Jahr 2035 neu zugelassene Fahrzeuge der Hersteller gar kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Dies würde auf ein komplettes Verbot der Verbrennertechnologie hinauslaufen.
Statt des kompletten Verbrennerverbots ab dem Jahr 2035 schlägt der niedersächsische Europaabgeordnete Jens Gieseke (CDU) vor, eine Reduzierung des CO2-Flottengrenzwertes um lediglich 90 Prozent zu beschließen. Damit würde die Technologie nicht komplett verboten. Außerdem will er durchsetzen, dass Herstellern synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) bei den Flottengrenzwerten angerechnet werden. Diese Möglichkeit wollte die Kommission nicht einräumen.
Wie könnte die Abstimmung im Europäischen Parlament nächste Woche aussehen?
Die Debatte über das Verbrennerverbot findet am Dienstag statt, vermutlich wird am Donnerstag abgestimmt. Beobachter rechnen mit einem knappen Ergebnis.
Es wird wohl eine Kampfabstimmung zwischen zwei Vorschlägen geben: Der niederländische Liberalen-Abgeordnete Jan Huitema setzt sich für ein umfassendes Verbrennerverbot ab dem Jahr 2035 ein. Dies versucht der niedersächsische Wirtschaftspolitiker Jens Gieseke (CDU) zu verhindern, indem er für das Jahr 2035 eine Reduzierung um lediglich 90 Prozent vorschlägt. Außerdem will er, dass nahezu CO2-frei produzierte synthetische Kraftstoffe angerechnet werden. Wenige Tage vor der Abstimmung gibt sich Gieseke kämpferisch: „Ich bin optimistisch, dass wir eine Mehrheit erzielen.“
Beobachter gehen jedoch davon aus, dass es für den Niedersachsen schwer werden wird, eine Mehrheit unter den 705 Abgeordneten im Plenum zu erzielen. Gieseke muss dafür möglichst viele Abgeordnete aus dem Lager der liberalen und der sozialistischen Fraktion auf seine Seite ziehen.
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Für das Verbrennerverbot dürften vor allem die Abgeordneten der Fraktionen von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen stimmen. Zusammen kämen sie auf 336 Stimmen. Im Europaparlament wird nicht mit Fraktionszwang abgestimmt. Einige liberale Abgeordnete wie der baden-württembergische FDP-Politiker Andreas Glück dürften nicht für den Antrag des Liberalen Huitema stimmen, sondern für den Gieseke-Antrag. Bei den Sozialdemokraten, die 154 Abgeordnete stellen, könnten einige Stimmen ebenfalls an Gieseke gehen – etwa aus Spanien, wo es noch eine nennenswerte Produktion von Verbrennern gibt. Bei den deutschen Sozialdemokraten, die 16 Abgeordnete stellen, wird allenfalls mit einem Abweichler gerechnet.
Giesekes Antrag wird vor allem von der EVP-Fraktion, die die Abgeordneten aus den christdemokratischen Parteien vereint, sowie von der konservativen ECR-Fraktion unterstützt. Die EVP stellt 176 Abgeordnete im Straßburger Parlament, die ECR kommt auf 64 Abgeordnete. Insgesamt gelten ihm damit weniger als 240 Stimmen als sicher, da wohl auch einige Christdemokraten ihm die Stimme verweigern werden. Die restlichen Sitze werden von Parteilosen, Linken und Extremen auf beiden Spektren gestellt, deren Abstimmungsverhalten schwer einzuschätzen ist. Als der Umweltausschuss kürzlich über das Verbrennerverbot abstimmte, war Gieseke nur knapp gescheitert.
Was passiert nach der Entscheidung?
Die Abstimmung im Europaparlament stellt eine wichtige Vorentscheidung dar. Wie bei jedem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission gilt auch beim Verbrennerverbot: Es ist erst dann amtlich, wenn beide Kammern auf EU-Ebene zugestimmt haben. Die beiden Co-Gesetzgeber der EU sind zum einen das Europaparlament und zum anderen der Ministerrat, in dem die Umweltminister aller 27 Mitgliedstaaten vertreten sind. Die Unterhändler von Parlament und Ministerrat einigen sich im sogenannten Trilog auf den endgültigen Gesetzestext. Da sich die Länderkammer bis zur Sommerpause wohl nicht auf eine gemeinsame Linie festlegen wird, werden die Trilog-Verhandlungen frühestens im Herbst beginnen.
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Nach dem Votum des EU-Parlaments für oder gegen ein Verbrennerverbot richten sich dann alle Augen auf den Ministerrat. Auch hier ist die Lage schwer einzuschätzen.
Lediglich einige ost- und mitteleuropäische Staaten wie Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei, die selbst über Autoindustrie verfügen, haben sich gegen das Verbrennerverbot positioniert. Die Niederlande, mehrere skandinavische Länder und Österreich haben sogar Sympathien für frühere Verbote.
Üblicherweise hat das Abstimmungsverhalten von den beiden Ländern Frankreich und Deutschland Gewicht – zumal beide Länder in hohem Maße über Autoindustrie verfügen. Doch die Bundesregierung hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie in Brüssel nicht für die Interessen der deutschen Hersteller kämpfen will. Sie will den Vorschlag der Kommission für das Verbrennerverbot mittragen und wird sich nicht starkmachen für die Anrechnung von synthetischen Kraftstoffen auf die CO2-Flottengrenzwerte. Die FDP hat ihre Wahlkampfversprechen zu den synthetischen Kraftstoffen gegen Grüne und SPD nicht durchsetzen können. Frankreichs Regierung hat durchblicken lassen, dass sie sich für die Hybridtechnologie starkmachen will.
Wofür kämpft die Industrie?
Die deutschen Hersteller halten sich mit dem Lobbying zum drohenden Verbrennerverbot weitgehend zurück. Nur BMW-Chef Oliver Zipse, der auch der Präsident des europäischen Automobilverbandes Acea ist, setzt sich offensiv für Technologieoffenheit und gegen ein Verbrennerverbot ein.
Mercedes-Benz ist der Hersteller, der am offensivsten den Abschied vom Verbrenner vertritt. Mercedes erklärt, bereits Ende des Jahrzehnts keine neuen Verbrenner mehr in den Markt bringen zu wollen. Der Stuttgarter Konzern macht jedoch eine kleine Einschränkung: Das Ende des Verbrenners werde nur in Ländern vollzogen werden können, wo die Krach in Koalition wegen E-Auto-Kaufprämie ausreichend ausgebaut ist. Ola Källenius, Chef von Mercedes-Benz, hat sogar bei der Klimakonferenz in Glasgow eine Erklärung zum Verbot des Verbrennungsmotors unterschrieben.
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Damit steht Källenius in der Industrie aber einigermaßen alleine da. Audi, VW, Porsche, Honda, Renault, Mazda, Toyota und der Peugeot- und Opel-Muterkonzern Stellantis haben sich darauf nicht verpflichtet.
Porsche ist zudem der einzige Hersteller, der sich offensiv für synthetische Kraftstoffe einsetzt. Der Stuttgarter Sportwagenbauer beteiligt sich an einer Fabrik in Chile, wo an einem windreichen Standort mit Hilfe von erneuerbaren Energien CO2-frei synthetische Kraftstoffe im industriellen Maßstab hergestellt werden. Porsche will damit auch in Zukunft die fabrikneuen Sportwagen mit Verbrennermotor betanken. Außerdem sind die synthetischen Kraftstoffe dafür gedacht, dass die historischen Porsche ohne CO2 -Fußabdruck betrieben werden können.